Kontingenz und Dezision
Liebe zahlende Kunden,
liebe lesende Hörerinnen und Hörer,
ich bin ziemlich früh aufgewacht an diesem regnerischen Samstagmorgen und habe dabei an Euch gedacht. Vielleicht warten die Leute nach dem Newsletter vor ein paar Wochen auf ein neues Stück in ihrer Inbox, zumindest würde sich der eine oder die andere vielleicht freuen - und im allermindesten gehört das für uns zum Business Development, also: steh auf, TF, schreib was!
Es steckt allerdings kein großer Plan hinter dieser Tatsache, sondern ein zufälliger Gedankengang, den ich nicht mehr so recht rekonstruieren kann. Ist aber auch egal. Denn ich hatte ein Thema, das plötzlich im Gehirn stand. "Erzähl den Leuten doch mal, wie es überhaupt zu '101 Dinge, die ein Rennradfahrer wissen muss' kam." Das wiederum hat sehr viel mit Zufall zu tun. Und Entscheidungsfreude.
Vielleicht klang es mal durch im Podcast. Weder David (Geschichtswissenschaft) noch ich (Politikwissenschaft) "kommen vom Sport", wie wir Sportler gern sagen. Ich habe zwar mit 14 schon meine eigene Sportzeitung veröffentlicht und jahrelang bundesweit auf dem Postweg vertrieben, aber eigentlich wollte ich diesen Nimbus irgendwann loswerden. Spätestens mit dem Eintritt ins Studium war ich so ernsthaft geworden, dass der alte Wunsch nach Sportjournalismus in meiner moralisierten Vorstellung verschütt gegangen war. Stattdessen richtiger Journalismus, das war meine Idee, und konsequenterweise machte ich mein erstes Praktikum in der zentralen Redaktion für Politik und Wirtschaft bei der Bild-Zeitung in Hamburg. Vielleicht musstest Du jetzt schmunzeln? Immerhin. Ich musste.
Und da sind wir bei meinem Hochschulprofessor Michael Th. Greven. Der Mann war auch sportinteressiert (Golfer), hatte viel von der Welt gesehen, war (wie ich) Vertreter der Atomenergie als Brückentechnologie und hatte ein wahnsinnig kompliziert klingendes Wort-Duett eingeführt, um seine späte Haupttheorie ins Feld zu führen, seine Theorie von der "politischen Gesellschaft". Dafür brauchte er Kontingenz, also: Zufall. Und er brauchte Dezision, also: Entscheidungen. Zack hat man ein theoretisches Besteck, um politische Realität zum Fassen zu bekommen.
Dass Du, lieber vielleicht auch noch nicht zahlender Nicht-Hörer, diese Zeile liest, hat wiederum mit kompletter Kontingenz zu tun.
A) Ich hatte niemals vor, über den Radsport ein Buch zu schreiben, ehe ich durch Zufall dazu kam.
B) David und ich wären zusammen zumindest nicht zu Radsport-Podcastern geworden, wenn der Verlag, der mein Buch veröffentlich hat, in der digitalen Welt besser aufgestellt wäre. Dann hätte er nämlich gleich auch ein Hörbuch rausgehauen.
C) Ich wäre vermutlich gar nicht zum Radsport gekommen, wenn es an der Universität Hamburg keine sehr engagierte Radsportgruppe gegeben hätte, die sehr offensiv um neue Mitfahrer warb.
D) Beim Radsportmagazin TOUR, dem relevantesten ever, wäre ich 2005 nie aus eigener Planung gelandet. Es war der Weg, den ich bis dahin gegangen war, auch mehr oder weniger planlos, der mir diesen Kontakt eröffnete. In einer internen Gruppe der Deutschen Journalistenschule (München, da hatte ich meine Redakteursausbildung gemacht) war nämlich ein Autor für ebendieses Magazin gesucht worden. Dass ich dann ein Porträt über einen belgischen Superstar recherchieren durfte, von dem ich ebenso wenig gehört hatte wie von der Nische, in der er seine Millionen verdiente, war vielleicht gar nicht schlecht. Für TOUR schreibe ich bis heute.
E) Als mich im Frühling 2019 der Lektor des Bruckmann-Verlags anrief und fragte, ob ich mir vorstellen könnte, das Radsport-Buch in der "101 Dinge"-Reihe zu schreiben, war ich vom Zufall überrascht. Er anscheinend auch. Er wusste nämlich gar nichts über mich, über TOUR, über den Radsport. Er suchte einfach nur jemanden, der den geplanten Titel schreiben würde. Der stand nämlich schon im Verlagsprogramm, war bei den Händlern geplant und auch schon bei Amazon gelistet.
Da sind wir also bei einem Riesenset an Kontingenz, aus dem man das Beste machen kann, wenn man entschlussfreudig/entschlossen ist. Achtung, kleiner Cross-Sell: Freitagssprint #6: Entschlossenheit - 101 Dinge, die ein Rennradfahrer wissen muss – der Podcast (steadyhq.com) (Öffnet in neuem Fenster)
Inzwischen ist "101 Dinge, die ein Rennradfahrer wissen muss" ein Longseller mit meinem Namen auf dem Titel. Vergangene Woche habe ich noch ein Exemplar auf Mallorca an einen lächelnden Neu-Leser abgegeben, der im Gegenzug eine Flasche "Säntis Malt"-Whisky überreichte. Dessen Aroma habe ich gerade in der Nase, weil das Glas noch neben dem Rechner steht, an dem ich gestern relativ spät noch rumgeschrieben habe.
Das Buch befindet sich beim Abverkauf der mittlerweile dritten Auflage, ich halte auch eine vierte für nicht unwahrscheinlich, auch wenn ich nicht weiß, was da überhaupt geplant ist. Aber mit dieser Art Kontingenz kann ich leben, denn ich bin ja längst bei den nächsten Aufgaben. Dennoch freue ich mich immer wieder darüber, dass ich mich und später dann wir uns mit diesem Thema so ausgiebig beschäftigt haben und noch beschäftigen, dass daraus eine Marke geworden ist, unter der man uns auch selbst identifiziert. Auch da steckte keine Vision drin, kein Plan, kein Business Model Canvas und kein Unternehmensberater. Merkt man vielleicht, denn reich werden wir damit natürlich nicht. Aber ein Erfolg, so stellen wir fest, ist unser Podcast schon.
Kontingenz und Dezision. Als Autor für "101 Dinge..." war, so fand ich erst später heraus, eigentlich Guido Eickelbeck vorgesehen. Den kenne ich, weil ich ihn ein paarmal für Geschichten übers Rennradfahren mit Führungspersönlichkeiten (das ist sein Job, das macht er auf Mallorca) interviewt habe. Aber wieso stand sein Name auf dem Titel des Buchs und noch lange im Internet beim Listing für das Manuskript, das ich doch gerade abgabefertig gemacht hatte? Ich fragte nach und fand heraus, dass ich nur eine Notbesetzung gewesen war. Dass der Verlag (wenig Ahnung vom Sujet, klare Pläne für den Markt) sich jemanden gesucht hatte, mit dem es aber wohl irgendwie nicht weitergegangen war, und dass nun ein Ersatzautor gefunden werden musste. Ich weiß noch, wie überrascht der Lektor damals war, als ich ihm erklärte, wie knietief ich inzwischen im Rennradthema steckte, beinahe anderthalb Jahrzehnte nach meinem ersten Job für TOUR.
Man kann also vieles nicht planen. Ich bin sowieso kein Überplaner, bringt doch alles nix. Zumal dann eine Pandemie daherkommt und eine Lage, die ich bis heute nicht verstehe. Erinnerst Du Dich an den März/April 2020? Wie erinnerst Du Dich daran? Ich bin bis heute überrascht und überfordert damit, wie der Lockdown und das Herunterfahren des Meisten (für mich: kompletter Geschäftseinbruch, Homeschooling) bei anderen Kapital freisetzte, Freizeit erhöhte und ein neues Hobby anstieß. Das Hobby hieß: Radsport. Und das Buch "101 Dinge" erschien genau in diesen Wochen, in die erste bundesweite Lockdown-Situation. Es war - in der Nische - ein Renner und schon im Herbst erschien die zweie Auflage. Ich kann jetzt nicht behaupten, dass ich deshalb finanzielle Sorgen verloren hätte. Aber es war enorm schön zu sehen, wie etwas Neues entstand, an das ich und an das David und ich dann später als Team andocken konnten. Das, liebe Leute, ist Kontingenz. Die Dezision war es, aus diesem Zufall an verschiedenen Stellen Entscheidungen abzuleiten und durchzuziehen. Das machen wir weiterhin. Versprochen!
Jetzt weiß ich auch wieder, wie ich auf diesen Newsletter gekommen bin. Ich habe tatsächlich heute Nacht von der Liste der zahlenden Kunden geträumt. Im Traum waren einige neue Mitglieder dazugekommen, deren Zahlungen noch nicht hinterlegt waren, da sie sich in der Steady-Probephase befanden. Und dann kam ich beim Aufwachen auf die Sache mit der Community, die wir ja weiter builden können, also Business Development. Das habe ich hiermit vielleicht getan. Einen Versuch mag es wert gewesen sein. Sonst: Zufall. Fehlentscheidung. Weitermachen.
Mit frühen Grüßen
Tim (und auch David, das sage ich einfach mal)