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Der Ri:Newsleisure

Liebe Leserinnen und Leser,

auch in dieser Woche hat sich wieder Elektrisierendes zugetragen, worauf wir mit dem Newsleisure #9 hinweisen möchten.

Wir wünschen eine trotz aller Spannung entspannte Wochenendlektüre!

Das Ri-Team

News in a nutshell

1. No more (R)Evil?

Das Böse lauert überall. Überall ist auch das Internet oder das Internet ist überall. Daher wundert es auch schon lange nicht mehr, dass Kriminelle das Internet nicht nur für ihre althergebrachten Aktivitäten nutzen, sondern sich auch ganz neue Geschäftsfelder erschließen. So kann mittlerweile jeder Hinz und Kunz dank Ransomware-as-a-Service (Öffnet in neuem Fenster) selbst zum gefürchteten Cyberkriminellen werden. Dafür können wir seit der letzten Woche - auch dank Manuel Atug von der AG KRITIS – im Percepticon Podcast (Öffnet in neuem Fenster) hören, wie man am besten gar nicht erst zum Opfer wird, und diese Woche lesen, wie die Strafverfolgung dank intensiver Zusammenarbeit auch Erfolge in Sachen REvil verzeichnen (Öffnet in neuem Fenster) kann.

2. Algorithm is a dancer

Spannendes liest man diese Woche auch vom OLG Dresden (4. Zivilsenat, Beschluss vom 18. Oktober 2021, Az.: 4 U 1407/21 (Öffnet in neuem Fenster)), worüber die Kollegen von Löffel Abrar aus Düsseldorf berichteten (Öffnet in neuem Fenster). V.a. der erste Leitsatz seines Beschlusses vom 18. Oktober 2021 lässt einen Kunstgriff bei Löschungen von Beiträgen in sozialen Netzwerken in Richtung Privilegierung durch Automatisierung erahnen, wenn auch das OLG Dresden diese am Ende seiner Entscheidung im Grundsatz ablehnt:

Die Beklagte kann sich ihrer Verantwortung durch den Einsatz einer algorithmusgesteuerten künstlichen Intelligenz grundsätzlich nicht entziehen.

Werden Beiträge in einem sozialen Netzwerk automatisiert gelöscht und auf die Beschwerde des Betroffenen wieder eingestellt, so entfalle nach Ansicht des OLG Dresden die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr. Von dieser könne im Einzelfall - sozusagen die Ausnahme vom Grundsatz - nicht ausgegangen werden, wenn

die erstmalige Überprüfung der durch den Algorithmus eingeleiteten Löschung unmittelbar zur Wiederherstellung eines Posts führt (...), weil die Beklagte hierdurch zu erkennen gibt, dass die Löschung auf einem Fehler im Algorithmus beruht und die Wiederherstellung die tatsächliche Vermutung begründet, dass der Beitrag zukünftig von Löschungsalgorithmen nicht mehr erfasst wird.

Etwas anderes gelte, wenn die Löschende durch ihr Verhalten Anlass zu der Annahme gebe, dass sie an der Löschung festhalte. Das sah das OLG Dresden hier als nicht gegeben an, weil folgende Benachrichtigung über die erfolgte Prüfung - entgegen ihres Wortlauts - lediglich eine automatisierte Eingangsbestätigung sei und daher eine (menschliche) Entscheidung für das Festhalten gerade nicht erkennen ließe:

"Wir haben bestätigt, dass dein Beitrag nicht unseren Gemeinschaftsstandards entspricht. Wir haben deinen Beitrag noch einmal geprüft, und er entspricht nicht unseren Gemeinschaftsstandards. Wenn du mit der Entscheidung von XXX nicht einverstanden bist, kannst du bei OversightBoard Einspruch einlegen..."

Diese auf einer Sachverhaltsumdeutung gründende Feststellung ist interessant. Die Löschende muss sich offenbar nicht an ihren Erklärungen festhalten lassen, wenn diese automatisiert erfolgen. Insofern weicht das OLG Dresden erneut vom eigenen Grundsatz ab, dass sich die Löschende ihrer Verantwortung nicht durch Automatisierung entziehen könne. In der Folge schafft das OLG Dresden mit seiner die Berufung zurückweisenden Entscheidung eine Rechtsunsicherheit, welche Betroffene von Löschungen infolge des unkalkulierbaren (Kosten-)Risikos von der Wahrnehmung von Betroffenenrechten abhalten könnte.

Die geschaffene Rechtsunsicherheit zulasten Betroffener unterstreicht das OLG Dresden abschließend mit den Worten:

Die Wiederholungsgefahr ist auch nicht deshalb zu bejahen, weil die Beklagte denselben Post bei einer Vielzahl von anderen Nutzern gelöscht hat. Wie bereits ausgeführt, ist auf das Verhalten der Beklagten im konkreten Fall abzustellen. Es kann hierbei offen bleiben, ob die Beklagte ihren Algorithmus neu programmiert oder nur im Einzelfall eines jeden Nutzers eine Änderung vornimmt.

Die Wiederholungsgefahr wird durch den Verweis auf die Löschung gleichlautender Beiträge (!) gerade bestätigt. Offensichtlich vermag der Löschungsalgorithmus nicht zu "entscheiden", was gegen Gemeinschaftsstandards verstößt und was nicht. Die somit manuelle Wiederherstellung ausschließlich auf anwaltliche Abmahnung, deren Kosten nach Vorstehendem ausschließlich Betroffene tragen, erlaubt es Löschenden im Ergebnis, Recht und Betroffene gegeneinander auszuspielen. 

Die Entscheidung des OLG Dresden macht hoffentlich nicht Schule.

TBT

Manuel Atug hatte übrigens in der Ri 2021, 1 ff. (Öffnet in neuem Fenster) (kostenfrei zugänglich auf der Ri-Website (Öffnet in neuem Fenster)) das Konzept des Cyber-Hilfswerks der AG KRITIS vorgestellt.

Fast Forward

In Kürze erscheint der angekündigte Ri-Beitrag von Künstner, Ri 2021, 96-100: Hält der Blockchain-Hypetrain in Antitrustville? Eine Besprechung von Thibault Schrepels „Blockchain + Antitrust – The Decentralization Formula“

Ein schönes Wochenende wünscht

das Ri-Team