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Ein opferloses Delikt und ein Todesfall

Das Schaustück eines Korruptionsverfahrens. Eine Stadt, ein Flughafen, Geld, Gier und bella figura. Möglicherweise hat es sich so zugetragen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind beabsichtigt.

(Von der öffentlichen Hauptverhandlung wurde keinen Tag versäumt und dabei mitgeschrieben.)

Teil 1

Sami Goldstein war ein gefeierter Mann. In seiner Heimatstadt kannte ihn beinahe jeder. Seine Anwesenheit schmückte die Vernissagen der großen und der kleinen Galerien und Museen. Keine wichtige Feier in der Stadt, ohne dass nicht auch Sami Goldstein geladen war. Er kam stets umgeben von Gefolge und war schnell umringt von einem Tross von Leuten. Jeder suchte seine Nähe, wollte gesehen werden, wie er Goldstein auf die Schulter klopfte und gehört, wie er ihn duzte.

Goldstein selbst gab ebenfalls rauschende Feste. Wer es zu etwas gebracht hatte in der Stadtgesellschaft, wer wissen wollte, ob er als jemand galt, ob man ihn für einen Vordenker hielt, sah es auch daran, ob Goldstein ihn einlud. Kein Wunder also, dass sich heftig darum gedrängelt wurde, zu seinem Kreis zu gehören. Als Visionär nämlich sah sich Goldstein selbst.

Als Visionär für Stadtentwicklung. Und zu Recht sah er sich so. Der Immobilienentwickler sprach von sich selber lieber als Stadtteilregisseur.

Goldstein hatte die Gabe, das Potential brachliegender Flächen und ganzer Viertel zu erkennen, mit unkonventionellen Ideen heruntergekommenen Gebäuden ein neues Leben einzuhauchen. Mit seinem Enthusiasmus und Mut überzeugte er andere, die ihm an diese Orte nachzogen. Wo Sami Goldstein investierte, wollte jeder investieren anschließend. Selbst seine Neider und diejenigen, die sein Auftreten, das sich um Konventionen wenig scherte, nicht mochten oder die es gar abstieß, bescheinigten ihm die visionäre Begabung und die Erfolge in der Entwicklung ganzer Stadtteile. Er verwandelte unbelebte, abgewirtschaftete Industrieviertel der Stadt in begehrte Lagen, zum Arbeiten, zum Leben und zum Ausgehen. Er feierte nicht nur gerne, er schuf auch die Orte, an denen jeder feiern wollte. Clubs, Hotels, Restaurants. Ideen dazu holte er sich auf ausgedehnten Reisen ins Ausland. Nicht nur für Architektur, neue Arten zu bauen, auch, um Künstler zu entdecken, die er in seine Heimatstadt locken konnte.

Das Geld, dass er machte mit seinen Immobilien, floss nicht nur in die nächsten Projekte. Er unterstütze damit auch großzügig die freie Kunstszene in der Stadt. Kunst im öffentlichen Raum zu etablieren, war ihm ein Lebensbedürfnis.

Sami Goldstein fiel auf, man übersah ihn nicht. Ob zwischen Herrschaften im Businessdress oder zwischen Cocktailkleidern - ein nicht sehr großer Mann mit schulterlangen Haaren, bunten Anzügen und Schals und stets mit Hut. Er gab sich auch äußerlich so unangepasst wie er sein wollte und wie er war. Gegen uniformiertes Denken lautete passenderweise der Untertitel seiner Website. Baulöwe und Paradiesvogel hießen sie ihn in der Stadt. Und manchmal auch nur, hinter vorgehaltener Hand, der Jude.

Sami Goldsteins Vater war ein Überlebender des Warschauer Ghettos. Als Sami drei Jahre alt war, verunglückte er mit dem Auto und seinen Kindern darin. Zwei Schwestern von Sami und der Vater waren sofort tot. Der kleine Sami überlebte schwerverletzt als einziger. Seine Mutter war danach ein psychisches Wrack und blieb es. Sie zog mit ihrem ihr gebliebenen Kind nach Israel, wo sie Verwandtschaft hatte und Sami sorgte sich um sie. Als er erwachsen wurde, trat er sein Erbe an. Drei Häuser in seiner Heimatstadt hatte sein Vater ihm hinterlassen. Sami streunte zunächst ziellos durch die Welt, überließ die Verwaltung der geerbten Immobilien Angestellten, feierte sein Leben, seine Freiheit.

Mit Mitte zwanzig war es genug. Er zog in seine Heimatstadt, machte eine Ausbildung zum Kaufmann, um sich Rüstzeug anzueignen und übernahm die Leitung der Firma Goldstein. Die Häuser des Vaters waren die ersten Sicherheiten für Bankkredite zum Erwerb neuer Immobilien.

Auf dem Gelände einer stillgelegten Brauerei schuf er ein kleines Quartier mit Büros im Industriedesign, Wohnungen und Gastronomie. Auf dem Dach eines der Gebäude errichtet er sich ein Haus aus Holz mit viel Grün, sehr viele Jahre, bevor von Nachhaltigkeit, natürlichem Baumaterial die große Rede war. Er sanierte gesichtslose Bürogebäude aus den sechziger Jahren und ließ sie mit Gedichten zieren.

Er war überzeugt von seinen Ideen und überzeugte andere. Ganz und gar unbescheiden, mitreißend, laut, witzig. Jungenhaft und sehr lebendig. Zwanzig Jahre ging das.

Dann begann der Fall. Die Hybris, raunt es nickend und vermeintlich verstehend. Und die Gier. Ja ja, die Geldgier. Das musste ja einmal so kommen.

Kategorie Vor Gericht

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