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Heiter, trotz alledem

Angst. Ich spüre sie, wie ein inneres Zittern. Ich liege im Bett und kann mich nicht bewegen. Kälte in der Brust, trockener Mund. In der Stille dieses Morgens ist sie da, die Gedanken rasen in alle Richtungen, Schreiben fällt schwer, auch wenn’s sonst immer hilft. 

Da ist dieses Bild vor meinem inneren Auge von den CDU-Politiker:innen, wie sie am Mittwoch nach der Abstimmung im Bundestag saßen. Still, leere Gesichter, als könnten sie selbst nicht glauben, was sie gerade getan haben. Ich frage mich, ob einige von ihnen an ihren Parteifreund Walter Lübcke denken. Lübcke, der von einem Rechten in den Kopf geschossen wurde, weil er die deutsche Verfassung verteidigt hatte. Nein, wahrscheinlich denkt keiner in diesem Moment an Lübcke. 

Ich muss an diese Fotos der jubelnden AfD-Politiker:innen denken. Daran, dass das nicht irgendwelche Rechtspopulisten sind, einfach nur machthungrig und rassistisch. Diese Menschen führen eine Partei an, die sich positiv auf die SS bezieht – die Männer mit den langen Mänteln und den Totenkopfemblemen, die die Gaskammer erfanden und betrieben, die lange Gräben aushuben, Menschen hinein trieben, mitten rein schossen, und die noch lebendigen einfach mit den Toten begruben. 

“Alles für Deutschland” riefen die Männer der SS. 

“Alice für Deutschland” riefen die AfDler:innen auf dem Parteitag in Riesa. 

“Alles für Deutschland”, rief Björn Höcke. 

Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen, meine Atmung geht flach. 

Ich denke an meine Freundin K. aus Leipzig, die mir am Telefon erzählt hat, dass sich um sie herum gerade viel bewegt, viele Menschen etwas machen wollen. Andere Freund:innen sagen mir, dass es sie alles vor allem wütend mache, und dass es doch auch gut sei, weil jetzt endlich glasklar sei, woran man ist.

Und dann sehe ich auch so viele andere Freund:innen, die dieses Wochenende verbringen, wie jedes andere, und ich will sie nicht verurteilen, ich hoffe einfach nur, dass es alles reicht, denn zum ersten Mal habe ich wirklich die Angst, dass Deutschland wieder zur Diktatur wird. 

Es gibt keine Brandmauer mehr. Die CDU wird ab jetzt immer öfter mit der AfD kooperieren. Erst bei kleinen Dingen auf kommunaler Ebene. Dann kommt das erste Mal auf Landesebene, bei dem es noch einen kleinen Aufschrei gibt, aber beim zweiten Mal juckt es schon nicht mehr. Derweil versuchen sich CDU, SPD und Grüne nochmal zusammenzutun, bilden vielleicht sogar eine Regierung, aber es klappt nicht mehr – zu groß die Unterschiede. Bei den nächsten Wahlen ist die AfD dann noch stärker, und die CDU – gedrängt vom eigenen “Unternehmerflügel” – geht mit den Faschisten in eine Koalition “für die Stabilität des Landes und aus Verantwortung für den Wirtschaftsstandort Deutschland”. 

Schon jetzt werden Menschen festgenommen, weil sie den falschen Pass haben. 

Schon jetzt werden Menschen auf offener Straße gejagt und verprügelt, weil sie die falsche Hautfarbe haben.

Schon jetzt werden Menschen ins Gefängnis gesperrt, weil sie gegen die ganze Scheisse protestieren. 

Und dann: Oury Jalloh, Said Nesar Hashemi, Hamza Kenan Kurtović, Ferhat Unvar, Sedat Gürbüz, Fatih Saraçoğlu, Gökhan Gültekin, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov.

Das ist ja alles schon da.

Ein AfD-Innenminister wird die Polizei missbrauchen, so wie es jetzt schon in den USA passiert.

Ein AfD-Justizminister wird rassistische Gesetze durchlassen.

Ein AfD-Außenminister wird die Europäische Union zerstören. 

Ich habe Angst, ins Gefängnis zu gehen. Nicht in einen dieser Knäste, wie sie jetzt sind: nicht schön, auch gefährlich, aber machbar. Nein, in ein Gefängnis, wo auch die Wärter prügeln, wo Andersdenkende extra bestraft werden, wo Knast einen bricht. 

“Sieh, daß du Mensch bleibst. Mensch sein ist von allem die Hauptsache. Und das heißt fest und klar und heiter sein, ja heiter, trotz alledem.” Rosa Luxemburg hat das geschrieben in ihren Briefen aus dem Gefängnis. 

Ich kenne diesen Satz schon einige Jahre, aber jetzt hat er nochmal eine andere Bedeutung angenommen. Heiter, trotz alledem. 

Ich weiß, dass nichts so kommen muss, wie ich es oben beschrieben habe. Dafür passieren zu viele Dinge zu schnell, und vieles ist auch gut. 

Vor zwei Wochen war ich beim Berliner Treffen unserer Bezugsgruppe. 30 Leute im Raum, und als Einstieg: eine schonungslose Bestandsaufnahme all der Scheisse, die gerade passiert. 

Ich dachte, jetzt versinken alle in Depression. Stattdessen brauchte es nur ein paar Wortmeldungen, dann sammelten sich die Anwesenden in zwei Gruppen. Die eine plante einen Protest gegen Springer, die andere Aktionen für den Wahlkampf. 

Heiter, trotz alledem. So stark bin ich nicht, nicht heute. Aber ich fahre jetzt erstmal in den Wald, durchatmen. Und dann wird sich etwas ergeben.

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