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Von der hoffnungsspendenden Unabsehbarkeit der Zukunft - 21.11.2022

Von der hoffnungsspendenden Unabsehbarkeit der Zukunft

Oft habe ich das Gefühl, dass der Zusammenbruch unserer Lebensgrundlagen unweigerlich kommen wird.

Wenn wieder ein COP zu Ende geht, ohne dass ernsthaft Emissionen reduziert werden.

Wenn ich neben der Klimakrise ans Artensterben denke.

Wenn ich unter Leuten bin, von denen kaum einer kapiert hat, was gerade passiert.

Wenn ich daran denke, wie unsere Kultur seit ein paar tausend Jahren verinnerlicht hat, dass wir die Natur unterwerfen müssen.

Wenn wieder mal etwas passiert, das laut IPCC-Prognosen erst in Jahrzehnten hätte passieren sollen, und mir Zweifel kommen, ob die Kipppunkte wirklich erst irgendwo hinter der 1,5 Grad-Grenze lauern – oder ob wir nicht schon lange kippen.

Wenn es mir persönlich nicht gut geht, und die Zukunft dadurch noch düsterer wirkt.

Wenn ich daran denke, wie wenig Zeit selbst im besten Fall noch bleibt.

Kürzlich saß ich auf einem Panel in Frankfurt, wieder mal ging es um nicht weniger als die Apokalypse, und die Stimmung im Raum war, ja, schon dringlich, aber irgendwie auch gelöst und nett. Eine Kollegin, Sara Schurmann, die seit einigen Jahren kämpft wie eine Löwin, sagte beim anschließenden Abendessen im Restaurant:

„Ich weiß einfach nicht, woher der Schub für die nötige Veränderung kommen soll.“

Vor einigen Jahren stand ich in der Londoner Tufton-Street, vor mir auf einer improvisierten Bühne hielten Idole wie George Monbiot, Zadie Smith und Rupert Read Brandreden. Einige hundert Menschen saßen auf dem Asphalt, hörten gebannt zu. Die Gruppe Writers Rebel, also Autor:innen, Filmemacher:innen, Poet:innen, die bei Extinction Rebellion mitmachen, hatte die Straße besetzt.  weil sich die Büros der großen Öllobbys in ihr befinden.

Es nieselte leicht, mir war kalt, aber die Luft knisterte. Es war elektrisierend, dabei zu sein, und als die letzte Rede vorbei war, schnappte Rupert Read sich einen Eimer und kippte einen großen Schwall Farbe gegen eine der Häuserfassaden. Polizist:innen stürmten vorwärts, Read wurde verhaftet und abgeführt, und in meiner Erinnerung hielt er eine Hand hoch, die Finger zum Victory Zeichen ausgestreckt.

© RONJA RØVARDOTTER (Öffnet in neuem Fenster)

Zu der Zeit waren Theresa Leisgang und ich für unser Buch Zwei am Puls der Erde (Öffnet in neuem Fenster) unterwegs, und wir dachten nach der Aktion:

„Das wollen wir auch.“

Doch wir wussten, die UK ist radikal, so etwas würde in Deutschland nicht funktionieren, die Schreibenden sind nicht bereit für sowas – also machten wir einen kleineren Schritt: Wir luden einige Journalist:innen ein, die das mit dem Klima kapiert haben, und starteten die Klima-Sessions, um erstmal mit Gästen intern darüber zu diskutieren, wie wir die Klimakrise besser kommunizieren können.

Den ersten Input gab Jonathan Franzen, und so in kleiner Gruppe offen sprechen zu können, war für alle Beteiligten befreiend, und wir trafen uns monatlich und Wolfgang Blau gab Inputs, genau wie Eva von Redecker, und irgendwann sagte ein Teilnehmer:

„Das müssen wir doch größer machen, mehr Leute müssen hier teilnehmen können.“

Kurze Zeit später gründeten wir das Netzwerk Klimajournalismus Deutschland, die monatlichen Calls führten wir weiter, jetzt aber teils mit über hundert Leuten. Wir vernetzten Redakteur:innen, damit sie sich aus der Deckung trauen konnten, veröffentlichten eine Charta für guten Klimajournalismus, auf die ich stolz bin, weil sie in weiten Teilen der Krise angemessen ist.

Unser Partnernetzwerk aus Österreich übernahm sie, und kürzlich veröffentlichten Kolleg:innen in Frankreich ebenfalls eine Charta, die sich stark an unserer orientierte – 1500 Journalist:innen und über siebzig Medienhäuser haben sie unterzeichnet. Auch in den Niederlanden, schrieb uns jemand, will sich ein Netzwerk gründen.

Vor einigen Wochen dann brachte mich eine Freundin mit Rupert Read zusammen. Ich freute mich vor allem deshalb auf das Gespräch, weil ich ihm erzählen können würde: Was er und die anderen in der Tufton Street veranstaltet hatten, führte zu all diesen wundervollen Ergebnissen, und es war schön, sein Lächeln zu sehen.

Ich kenne so viele Menschen, die so viel tun. Und fast allen scheint es zu wenig zu sein. Das liegt zum einen daran, dass die Klimakrise wirklich so groß und abgefuckt ist, aber auch daran, dass wir so selten sehen, was unsere Handlungen bewirken.

Alles verästelt sich tausendfach und verschwindet im Schatten, der unser Sichtfeld begrenzt, und auch wenn das frustrierend ist, weil ich die Ergebnisse meiner Arbeit natürlich spüren will, macht mir das auch irgendwie Hoffnung: Wir wissen einfach nicht, was auch die kleinste Handlung bewirken kann.

Bei unserer Arbeit mit dem Klimanetzwerk habe ich oft das Gefühl, dass wir trotz Charta und allem gar nichts ausrichten, bis dann mal wieder eine Kolleg:in kommt und sagt, wir hätten die Branche ja ganz schön umgekrempelt, was ich dann zur Kenntnis nehme. Vielleicht stimmt es ja wirklich, ich weiß es nicht. Und vielleicht ist Deutschland langsam reif für seine eigene Writers Rebellion. Das Gefühl, dass es so ist, habe ich.

Ob es den Zusammenbruch unserer Lebensgrundlagen verhindern wird?

Keine Ahnung.

Ob auch die kleinsten Schritte uns meilenweit nach vorne bringen können?

Ja – ich glaube schon.

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