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Die kleine Insel - 26.10.2023

Die kleine Insel

In jedem Newsletter reagiert Mara Klein bildlich auf das Geschriebene. Ihr Assistent: Dall-E.

Egal, ob ich Zeit linear oder zyklisch begreife, der Blick in die Zukunft gibt mir keinen Halt. Das gleiche gilt für den Blick zurück. Ja, die vergangenen 500 Jahre haben uns Demokratie, Liberalismus und Menschenrechte gebracht. Und sie wurden erkauft durch 500 Jahre Kolonialismus, Sklaverei und Ausbeutung.

„Die große Beschleunigung“ wird das Wachstum der vergangenen 70 Jahre genannt. „Die große Vernichtung“ würde besser passen.

Vor und zurück, in beide Richtungen ist kaum Freude und Stolz – stattdessen Scham und Schuld. Also nicht hingucken, Augen zu, und es fühlt sich schnell an, als stünde ich auf einer einsamen Insel, denn da ist ja auch links und rechts niemand, der mich stabilisiert.

Neoliberal individualisiert, gehöre ich nirgends dazu. Klar sind da Freund*innen, Familie, vielleicht ein Sportverein, ein Musikgenre. Aber das sind kleine Räume. Oftmals zu klein für die große Frage nach dem: Wer sind wir?

Und so vereinzelt sind wir den Stürmen der Welt schutzlos ausgeliefert, Doom Scrolling am Handybildschirm, bis alles dunkel, alles sinnlos erscheint.

Immer wieder treffe ich Menschen, die sich als Antwort darauf in einer postmodernen moralischen Verwahrlosung eingerichtet haben, sagen: Alles ist gleich gut, nichts ist wichtig, alles nur ein soziales Konstrukt – und immer wieder denke ich: Das ist nur das intellektuelle Geschwisterkind des Zynismus.

Den „Prozess der Zivilisation“ wiederaufnehmen, fordern Bruno Latour und Nikolaj Schulz, und auch wenn ich eine Kritik am Begriff der Zivilisation habe, halte ich das Kollektive daran für wichtig: Wir gehören zusammen, wir haben geteilte Interessen ­– das zu artikulieren und dafür zu kämpfen, aus der Vereinzelung auszubrechen, zeichnet die ökologische Klasse aus.

Die vergangenen Wochen lief nicht alles rund in der Letzten Generation, und ich war überrascht zu merken, wie sehr das auf mein eigenes Wohlbefinden durchgeschlagen hat. Uns als Gruppe ging es nicht gut, und mir plötzlich auch nicht. Teils lag ich nachts wach, grübelte über das Problem nach, vielleicht auch aus Angst vor der erneuten Vereinzelung, denn die kenne ich: Reporter*innen treten selten in Rudeln auf, sie leben – neoliberal vereinzelt – fast nur in der Konkurrenz.

Dann erzielte Extinction Rebellion Niederlande diesen genialen Erfolg: mit einer monatelangen Autobahnbesetzung setzte sie ihre Regierung so unter Druck, bis die einknickte und versprach alle fossilen Subventionen zu streichen.

Wir sprangen sofort darauf auf – Momentum nutzen, in der Hoffnung, dass das auch in Deutschland klappen wird und vielleicht eine Dominoeffekt in anderen Ländern verursacht.

Gleich riefen mich Freund*innen aus anderen Klimagruppen an und sagten, sie würden bei der massenhaften Straßenbesetzung am 28. Oktober mitmachen. Die Scientist Rebellion, XR Niederlande, die Seebrücke und viele mehr. Täglich kommen hundert neue Leute in unseren Telegram-Kanal – und ich bin wieder gehyped.

Der Gedanke, dass da so viele Menschen sind, die zusammen auf die Straße gehen wollen – als normale Versammlung, als Blockade, mit Kleber und ohne – vor allem aber mit der Überzeugung, dass es falsch ist, dass die Bundesregierung 65 Milliarden jährlich für fossile Subventionen ausgibt, das fühlt sich großartig an. Das fühlt sich an, wie von der vereinsamten Insel zurück in den Strom des Lebens zu steigen.

Und Du bist natürlich eingeladen, mitzukommen:

Samstag, 28. Oktober

12.00 Uhr 

Straße des 17. Juni

Alle Infos: https://t.me/+6R6ggFA1nbVlZjcy (Öffnet in neuem Fenster) 

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