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Ein bisschen Magie - 12.06.2023

Von den vielen Ereignissen seit den Hausdurchsuchungen wird mir eins besonders in Erinnerung bleiben.

Wir hatten Olaf Scholz einen offenen Brief geschrieben, dass er den Rechtsstaat vor übereifrigen Justizminister:innen und der Klimakrise schützen soll. No rule of law on a dead planet. Er hat nicht darauf reagiert, also entschieden wir den Brief erneut persönlich zum Kanzleramt zu bringen. Hundertfach, mit allen Teilnehmer:innen eines Protestmarschs. Die Polizei machte gleich anfangs klar: Wir lassen euch nicht bis ins Regierungsviertel laufen, nach einer Stunde wird Schluss sein.

Wir hatten das erwartet, passten es so ab, dass wir nach Ablauf der Zeit vor einer U-Bahnstation zum Stehen kamen, sagten von vorne durch, dass der Protest an dieser Stelle ende, aber die Bahn durchfahre bis zu unserem Ziel. Wer seinen Brief also persönlich überbringen wolle, das sei die Chance. Hunderte strömten runter auf den Bahnsteig.

Ich war in der letzten Gruppe, die ankam. Wir stiegen am Brandenburger Tor aus, liefen mit Westen und Bannern durch den Tiergarten und dann über die große Wiese vorm Bundestag, bis die Polizei uns spottete und eine lange Kette vor uns bildete. Schon wieder sagten sie, dass an diesem Punkt Schluss sei. Aber wir waren zu viele, als dass sie uns gut hätten an dieser Stelle festsetzen können, also kam ein Angebot: Ihr dürft bis zu den anderen an den Zaun des Kanlzeramts laufen, aber wer das macht, riskiert eine Anzeige, also Gerichtsverfahren und gegebenenfalls Verurteilung. Das Regierungsviertel ist befriedetes Gebiet, unterliegt damit besonderer Gesetzgebung.

Ich bekam Angst, weil ich die Konsequenzen nicht absehen konnte, guckte mich in dem Moment um, um zu sehen, was die anderen machen. Alle anderen blickten sich auch um – Gerichtsstrafe oder Klimakrise – und dann war klar: Wir gehen weiter. Und das war der Moment, in dem ich die Magie von Zivilem Ungehorsam gespürt habe.

Wir liefen zu den anderen in den Polizeikessel, hunderte von uns mit den Briefen in der Hand, begleitet von Kameras und Fotograf:innen, und vielleicht wollte die Polizeiführung schlechte Bilder vermeiden, oder vielleicht gab es da jemanden, der mit uns sympathisierte, auf jeden Fall hieß es auf einmal: Wenn die Briefe alle einer Person übergebt, wird die Poststelle des Kanzleramts sie annehmen.

Zwei von uns, ein Banner in der Hand, umringt von der Presse liefen schlussendlich zum Eingang und gaben das Bündel unterzeichneter Briefe ab. Ein symbolischer Sieg, ja, aber einer der gezeigt hat, was möglich wird, wenn wir entschlossen und friedlich durchziehen.

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