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Von wackeligen Tasten und Zielgeraden

Das Foto zeigt die Autorin vor ihrer Pinnwand beim Überarbeiten eines Buch-Plots. Links daneben steht auf hellbraunem Grund: "Das Ziel ist das Ziel. (Nicht der Weg dorthin.)"

Diese Statistik wurde schon so oft ohne Quellenangabe zitiert, dass ich die Umfrage, auf der sie beruhen muss, schlicht und ergreifend nicht mehr finden konnte. Aber wenn namhafte Zeitungen, Hochschulen und Verlagshäuser sich darauf berufen können, kann ich es zur Einleitung dieses Blogartikels allemal. Also, die Theorie ist folgende: Angeblich träumen 81 % aller Menschen davon ein Buch zu schreiben, aber nur 10 % dieser Menschen tun es. Das ist ein ziemlich kleiner Anteil für so einen weit verbreiteten Wunschtraum und es klingt wie ein schlechter Scherz. Trotzdem bin ich geneigt, es zu glauben. Es verwundert mich nicht, denn ich denke, ich weiß, wo Traum und Wirklichkeit auseinanderdriften.

Zunächst einmal haben nicht alle Menschen, die davon träumen, auch die Zeit ein Buch zu schreiben. Sicherlich, man kann die Zeit finden: Fünf Minuten hier, zehn Minuten da. In der Schlange an der Supermarktkasse, beim Warten auf den Bus, auf der Toilette ... Klappt bestimmt wunderbar! Die Menschen, die zwischen Tür und Angel einen Roman fabrizieren, müssen dieselben sein, die sich nach einem zwanzigminütigen Power Nap genauso erholt fühlen wie nach acht Stunden Schlaf. Ich halte sie für Fabelwesen.

Und dann geht es ja nicht nur darum übrig gebliebene Minuten aufzusammeln. Man muss sie auch nutzen können! Fürs Schreiben braucht man Fokus, Energie und Platz im Kopf. Das entscheidet darüber, ob man die mühsehlig gefundene Zeit auch wirklich produktiv nutzen kann. Man braucht regelrecht einen inneren Schalter, mit dem man seine Kreativität an- und wieder aussschalten kann. Eben dann, wenn sie gerade gebraucht wird. Profis können das vielleicht. Aber können es Debütautor*innen auch? Ich wage es zu bezweifeln.

Auf die Gefahr hin, dass es hier jetzt Abschnitt für Abschnitt demotivierender wird (ich verspreche, die hoffnungsvolle Pointe kommt noch) muss man auch sagen, dass das Beginnen ja nur der erste Schritt ist. An einer Buchidee dranzubleiben, sich immer wieder zum Weiterarbeiten aufzuraffen, ist viel schwieriger als sich im Zauber des Anfangs an die Story zu setzen. Der Weg von der Idee zum fertigen Manuskript ist einer für den man einen langen Atem braucht. Man erlebt in diesem Prozess zu keinem Zeitpunkt "Instant Gratification", also eine sofortige Belohnung oder Befriedigung. Die gibt es erst viel später, wenn das fertige Buch jemandem gefällt. Also ... Falls es jemandem gefällt.

Und trotzdem gibt es uns: Autor*innen. Wir sind die Privilegierten, die genug Zeit haben. Wir sind die Hartnäckigen, die genug Energie und Durchhaltevermögen haben. Wir sind die Profis, die ihre Kreativität bündeln und aufs Papier bringen können. Wir sind die Motivierten, die auf irgendeine Form von Wertschätzung hinarbeiten, egal wie lange es dauert. Wir sind diese 10 %.

Und wir sind manchmal selbst verwundert darüber.

Also, ich bin es zumindest.

Mein fünftes Buch mit dem klangvollen Titel "Der Blick, den wir riskieren", befindet sich jetzt gerade im Lektorat. Zum fünften Mal habe ich aus einer Idee eine Geschichte gemacht, zum fünften Mal habe ich ein Manuskript fertig gestellt. Und es fällt mir schwer zu glauben, dass das wirklich ich gewesen sein soll.

Wenn ich in meine Schreibsoftware schaue, sehe ich meine Mühen akribisch aufgedröselt: Am 5. Juni 2023 habe ich mein Buchprojekt erstellt, seitdem habe ich mich an 32 Tagen eingeloggt. Meistens am Abend, meistens für 1 Stunde und 37 Minuten. In jeder Sitzung sind durchschnittlich 1.036 Wörter hinzugekommen. Und irgendwann hatte ich die 32.000 Wörter, die ich mir als Minimum für meine nächste Novelle vorgenommen hatte, geknackt. Das klingt sehr routiniert, sehr geradlinig, sehr nach jemandem, der Power Naps macht und so einen An-Aus-Schalter für seine Fantasie hat.

Ich verrate dir, was meine persönliche Schreibstatistik nicht zeigt:

Sie zeigt nicht die Tage, an denen ich mich einfach nicht dransetzen konnte. An denen es mir an Motivation, Fokus, Kreativität oder schlichtweg Zeit gefehlt hat.

Sie zeigt nicht die Stunden am Reißbrett, an denen ich mit Zettel und Stift über dem Plot der Geschichte gegrübelt habe, an denen ich mir Figuren ausgedacht und wieder gestrichen habe.

Sie zeigt nicht die Zeit, in der ich beim Recherchieren in die unendlichen Weiten des Internets abgeschweift bin oder lieber nach einem Song gesucht habe, der mich in die richtige Stimmung für die nächste Szene bringt, anstatt diese Szene tatsächlich zu schreiben.

Diese saubere Statistik unterschlägt die schlaflosen Nächte, die bei mir zu jedem Buchprojekt dazugehören. Nächte, in denen ich tausende Wörter lösche und neu schreibe. In denen ich den Plot nochmal umschmeiße oder eine Figur in ihren Grundfesten verändere. Die kleinen Stunden, in denen ich geradezu obsessiv in die Tasten schlage und erst im Morgengrauen merke, dass die Nacht um ist.

Die Zahlen meines Schreibprojekts lassen mich professioneller und zielstrebiger dastehen, als ich es bin. Im Grunde hangele ich mich auch nur von Wort zu Wort, Satz zu Satz, Szene zu Szene, Kapitel zu Kapitel - immer mit Blick auf einen Plot, der (zumindest bei mir) nicht in Stein gemeißelt ist. Es ist ein äußerst wackeliger Weg, den ich auf den Tasten gehe.

Aber ... Es ist eben auch nicht immer der Weg das Ziel.

Beim Schreiben ist das Ziel das Ziel.

Ein unfertiges Buch, ein Work in Progress, haben möglicherweise 81 % aller Menschen. Aber ein vollendetes Buch, das haben nur 10 % von uns.

Also, wenn du selbst schreibst oder davon träumst: Verliere dich nicht in den kleinen Schritten und glaube nicht, dass alle anderen eine elegantere Gangart haben als du. So nett es sein kann sich über Schreibroutinen auszutauschen, es ist wirklich nicht so wichtig, wie du am Ende eines Buchprojekts ankommst. Hauptsache, du kommst an!

In diesem Sinne: Frohes Schreiben an alle Kolleg*innen und Träumer*innen!

Deine Phillippa

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