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Liebe Pfefferhasis, lieber Leser*innen,

jetzt ist es schon neun und ich sitze immer noch am Rechner, statt mit einem heißen Teller Nudeln auf der Couch. Das Wochenende ist erledigt und so bin ich. Und das liegt nur zum Teil an den sehr anstrengenden letzten Tagen, die ich u.a. in Hattingen (Arbeit (Öffnet in neuem Fenster)) und Mannheim (Theater (Öffnet in neuem Fenster)), insbesondere aber in Zügen der Deutschen Bahn verbracht habe. Es liegt vor allem an den immergleichen Meldungen von Gewalt und Rassismus, Transfeindlichkeit und Misogynie. Es fühlt sich an wie der berühmte "Kampf gegen Windmühlen" und ich denke bei der Arbeit am Wochenrückblicks häufig: Das habe ich doch neulich erst geschrieben! Aber ist das so? Ändert sich tatsächlich nichts?! Oder geht nur alles furchtbar langsam? Und während ich darüber nachdenke, verbünden sich transfeindliche Radikalfeministinnen mit antisemitischen Verschwörer*innen, evangelikalen Christ*innen und der extremen Rechten. "How the far-right is turning feminists into fascists" (Öffnet in neuem Fenster) ist der Titel einer lesenswerten Analyse von Jude Ellison S. Doyle, die bereits im April im Xtramagazine veröffentlicht wurde. Wenn ihr Englisch versteht, solltet ihr das unbedingt lesen.   

Nachdem am Sonntagabend ein 22-Jähriger in einem Kopenhagener Einkaufszentrum drei Menschen erschossen und mindestens 27 verletzt hatte (Öffnet in neuem Fenster), tötete am Montag ein 21 Jahre alter Mann in Chicago sieben Menschen und verletzte mehr als 30 weitere (Öffnet in neuem Fenster). Nach Polizeiangaben schoss er mit einem Sturmgewehr auf die Menschenmenge, die den Unabhängigkeitstag feierte.

In beiden Fällen, Kopenhagen und Chicago, waren die Täter junge weiße Männer, bei denen laut Ermittlungsbehörden „kein terroristisches Motiv“ festgestellt werden konnte. Doch der Chicagoer Attentäter war der Polizei bereits bekannt. Im September 2019 wurden bei ihm 16 Messer, ein Dolch und ein Schwert sichergestellt, nachdem der damals 18-Jährige damit gedroht hatte, „alle zu töten“. Trotzdem besaß er bis zu dem Attentat am Montag mindestens fünf Schusswaffen, die er zwischen 2020 und 2021 legal erworben hatte. Beim Kopenhagener Attentäter wird nun von „psychischen Problemen“ gesprochen.

Ich kritisiere an der Berichterstattung im Wesentlichen zwei Dinge. Zum einen wird mit dem Narrativ des „psychisch kranken Einzeltäters“ das strukturelle Problem verschleiert: männliche Gewalt. Und zum anderen wird so das Stigma verstärkt, psychisch Erkrankte seien gefährlich. Durch ersteres wird gleichzeitig verharmlost und entpolitisiert. Hätten alle Attentäter und Terroristen etwas anderes gemeinsam als ihr Geschlecht, würde die Debatte grundsätzlich anders verlaufen, davon bin ich überzeugt. Aber die Tatsache, dass es (so gut wie) immer Männer sind, die Anschläge verüben, Amok laufen, wird gesellschaftlich kaum thematisiert.

Das ist halt so, denken viele. Männer seien eben gewalttätiger als Frauen, überall auf der Welt sei das so. Schulterzucken, nicht zu ändern. Dabei geht es hier um nichts weniger als die Grundstruktur der patriarchalen Gesellschaft. Doch das nicht-benennen von Männlichkeit liegt nicht nur an der Gewöhnung an männliche Gewalt. Es hat viel mehr damit zu tun, dass Männlichkeit noch immer als Standard verstanden wird, als „default Einstellung“. Erst die Abweichung wird als erwähnenswert angesehen. Der weißeMann ist die gesetzte Norm. Es ist daher kein Zufall, dass bei nicht-weißenAttentätern direkt über eine religiöse oder politische Motivation spekuliert wird, denn hier liegt eine Abweichung vor, die es wert ist, genannt zu werden. Der weiße Täter bietet diesen Ansatzpunkt nicht, er ist „normal“. Margarete Stokowski schrieb 2016 (Öffnet in neuem Fenster): „Männlichkeit an sich erklärt diese Taten zwar nicht, aber wir können sie bei der Frage, wie weitere Taten verhindert werden können, nicht außer Acht lassen.“ Ich fordere einen Nationalen Aktionsplan Toxische Männlichkeit, um endlich da anzusetzen, wo die Gewalt entsteht, statt immer nur die Opfer in den Blick zu nehmen. Klar ist es wichtig, die zu unterstützen, die unter der Gewalt leiden (durch bessere Beleuchtung in Stadtparks, verstärkte Kontrollen bei Großveranstaltungen, bessere Finanzierung von Schutzräumen oder Aufklärung über die Gefahr von Spiking (Öffnet in neuem Fenster)), aber ich habe es so satt, dass der Ursprung des Problems ignoriert wird. 

Was sonst so los war in dieser Woche, könnt ihr wie immer im Wochenrückblick aus feministischer Perspektive nachlesen. Dieses Mal geht es u.a. um den Sprengstoffanschlag auf das „Linke Zentrum“ in Oberhausen, einen aussichtslosen PR-Move des EU-Parlaments und die Reaktionen auf einen abgesagten Vortrag an der HU Berlin.

In Mannheim war ich übrigens nicht nur im Theater, sondern auch in der Kunsthalle. Ich war beeindruckt von der Sammlung, die überraschend viele Künstler*innen abseits des weiß-männlichen Kanons zeigt und zudem die Provenienzforschung transparent und zugänglich macht, wie sie Museumsbesucher*innen normalerweise verwehrt bleibt.

"Feminismus und Kunst bedeutet: Nach Jahrhunderten der männlichen Kanonisierung diese Welt zu zerlegen und neu zu erschaffen", schreiben mein*e Freund*in Franca Bohnenstengel und Judith Geffert in einem Artikel für das feministische Magazin "Anschlaege" (Öffnet in neuem Fenster). Sie zeichnen darin nicht nur die Rolle von Frauen in der männlich dominierten Kunstszene vom Mittelalter bis heute nach, sie stellen auch radikalere Forderungen auf, als die nach mehr Anerkennung für Künstlerinnen:

Eine aktuelle feministische Auseinandersetzung mit Kunst muss daher über die bloße Beschäftigung mit Geschlechterbeziehungen und finanzieller Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen hinausgehen. Sie muss nicht nur den männlichen Blick in einen weiblichen umkehren, sondern das Blicken an sich queeren. Sie muss die zahlreichen Verschränkungen von Machtstrukturen – z. B. Sexismus, Rassismus, Kolonialismus, Klassismus, Ableismus, Antisemitismus und Eurozentrismus – in den Blick nehmen und das gesamte kapitalistische System hinterfragen, in dem Kunst geschaffen, gezeigt und verkauft wird. Statt „Wie können wir den Kanon erweitern?“ lautet die drängende Frage: „Warum brauchen wir überhaupt einen Kanon?“ 

Ich verabschiede mich für heute und danke euch fürs Lesen und für euren Support! Wenn ihr könnt und mögt, gibt es via PayPal (Öffnet in neuem Fenster) die Möglichkeit, eine kleine Spende dazulassen und wenn ihr regelmäßig unterstützen wollt, werdet doch Teil der Pfefferhasen-Familie als Zwergkaninchen, Feldhase oder Belgischer Riese.  

Habt es gut und passt auf euch und einander auf,

Ulla

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