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Liebe Pfefferhasis und Newsletter-Abonnent*innen,

es ist spät und schon fast dunkel - ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Herbst mit großen Schritten näher rückt. Das Thermometer zeigt noch immer 29° an und ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, bald wieder zu frieren, aber es ist wie es ist.  Während sich die Jahreszeiten oft schneller ändern, als uns lieb ist, ändert sich manches leider nie. 

Ein Beispiel für letzteres ist die offenbar unerschütterliche Liebe der Deutschen zu Karl May. Am Donnerstag startete „Der junge Häuptling Winnetou“ in den Kinos. Ich frage mich, ob an den Beteiligten die jahrelangen Debatten vollständig vorbeigegangen sind, oder ob es ihnen schlichtweg egal ist, dass sie mit diesem Kinofilm alle kolonialrassistischen Register ziehen. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll. „Winnetou“, ausgedacht von einem Sachsen im späten 19. Jahrhundert, ist eine Figur, die das Bild der Deutschen von den indigenen Menschen Nordamerikas geprägt hat und bis heute dafür sorgt, dass die Kultur der Native Americans hierzulande in Form von Karnevalskostümen und skurrilen „Festspielen“ gleichermaßen ausgebeutet und verhöhnt wird. Wie selbstverständlich verwenden Deutsche die rassistische Fremdbezeichnung mit I und sehen kein Problem damit, die sich mit Federn und Lederfransen als „S***w“ oder „Häuptling“ zu verkleiden. Überall in Deutschland finden jedes Jahr große Spektakel (man spricht von „Festspielen“) statt, bei denen sich weiße Schauspieler*innen als indigene Menschen verkleiden (Red Facing) und ihre Version vom „wilden Westen“ spielen, die sowohl gänzlich an der historischen Realität indigener Leben vorbeigeht als auch kolonialistische und rassistische Narrative und Stereotypen reproduziert. Aber zurück zu „Der junge Häuptling Winnetou“, dem Kinofilm, der die rassistischen Festspiele als Leinwandspektakel adaptiert. Unrechtsbewusstsein? Fehlanzeige. Die Produzent*innen, Ewa Karlström und Andreas Ulmke-Smeaton, sind von der Kritik „sehr mitgenommen“ (Öffnet in neuem Fenster), aber „nicht willens […] beschämt oder zu Reue gedrängt zu werden, die wir nicht empfinden“

Die Gruppe „Natives in Germany“ (Öffnet in neuem Fenster), eine Selbstorganisation „von und für Natives auf Turtle Island und Abya Yala“ sagt auf Instagram: „Wir sind fassungslos, dass im Jahre 2022 dieser Film für Kinder erscheint. Um eins klar zu machen: Der Film ist rassistisch.“ Es muss unfassbar ermüdend und verletzend sein, immer wieder das gleiche zu sagen und den Deutschen ist es einfach egal, weil sie „Winnetou“ so lieben und sich das nicht von den Gefühlen marginalisierter Menschen verderben lassen wollen. Insofern wundert es mich gar nicht, dass 2022 ein solcher Film in die Kinos kommt. Die Kasse wird klingeln, daran habe ich keinen Zweifel. Die Frankfurter Rundschau stellt die – meiner Meinung nach – entscheidende Frage: „wie kann es sein, dass ein Film, der schon in seinem Drehbuch kolonialistische und rassistische Stereotypen transportiert, mit Bundes- und Landesmitteln in Millionenhöhe gefördert wird?“ (Öffnet in neuem Fenster) Eine Antwort gibt es nicht. Dafür haben die beiden erwachsenen Hauptdarsteller, Mehmet Kurtuluş („Apachen-Häuptling Intschu-tschuna“) und Anatole Taubman (Bösewicht „Todd Crow“) eine ganze Menge Bullshit zu sagen. Das Interview in der FR ist eine Aneinanderreihung unangenehmer Peinlichkeiten (Öffnet in neuem Fenster). Anatole Taubman betont in bester „Ich sehe keine Hautfarben“-Manier: „Wir sind eine Menschenrasse. Bei mir geht es, eigentlich bei allen Menschen, um Prinzipien und dass man kategorisch alle Menschen, egal welchen Geschlechts, welcher sexuellen Orientierung und welcher Religion gleich behandelt mit Respekt, Anstand und Toleranz.“ Warum spielt er dann selbst eine Rolle, die jeden Anstand und Respekt vermissen lässt? Der „Todd Crow“ im neuen Winnetou-Film ist laut Kritik in der ZEIT (Öffnet in neuem Fenster) „eine Figur, die nicht nur versucht, durch Beringung, Hut, Gewand und Kajalstift eine Art Discounterversion von Jack Sparrow aus Fluch der Karibik zu sein. Vielmehr wird das Queere an diesem Todd Crow mehrfach explizit als Verweiblichung markiert, wenn er in Abwesenheit als ‚Tante Todd’ bezeichnet wird“. Queercoding von Bösewichtern ist nichts Neues, perfekt also für eine filmische Aneinanderreihung althergebrachter Klischees. Anatole Taubmanns Performance von „Tante Todd“ ist die queerfeindliche Kirsche auf der rassistischen Sahnehaube. Wie es bei der ZEIT weiter heißt, zahlt „die fluide Genderperformance von Crow direkt auf die Bösartigkeit der Figur ein: Seht mal, Kinder, Homosexualität ist halt gefährlich. Weshalb der Fingerzeig ‚Schau mal, so geht Familie‘ am Ende das konservative bis reaktionäre Familienbild des Films gut zusammenfasst.“

Uff! Ein Wort, das auch als Überschrift des Wochenrückenblicks funktioniert hätte. Aber ich habe mich für "Grauen und Gewöhnung" (Öffnet in neuem Fenster) entschieden. Es geht diese Woche u.a. darum, wie das Vermächtnis der kürzlich verstorbenen Holocaust-Überlebenden Esther Bejarano missbraucht wird und natürlich um Mouhamed, der in Dortmund von der Polizei erschossen wurde. 

Mouhamed kam erst vor vier Monaten nach Deutschland. Er wurde nur 16 Jahre alt. 

Ich danke Euch, dass ihr den Newsletter gelesen habt und allen Steady-Supporter*innen für die Unterstüzung. Ich hoffe, die kommende Woche ist gut zu Euch. 

Ich radel jetzt nach Hause, bevor die Sonne ganz untergegangen ist.
Bis nächste Woche,
Ulla

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