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Über die Hoffnung, die zuletzt stirbt.

Die Unesco versammelt sich ab heute bis zum 25. September in Riad (?!) und wird dabei darüber diskutieren, ob Venedig jetzt auf die Liste der gefährdeten Welterbestätten gesetzt wird - womit sich die Stadt auf dem gleichen Rang wie Städte wie Timbuktu oder Damaskus befinden würde: Städte in Kriegszonen. Und ja, es wird Krieg geführt gegen Venedig, und das seit Jahrzehnten. Aber wie bereits erwähnt (Öffnet in neuem Fenster), haben wir wenig Hoffnung, dass sich die Unesco zu diesem Schritt durchringt.

Beim letzten Mal hat die Unesco sich damit gerechtfertigt, dass dank der Entscheidung der italienischen Regierung ja nun die Kreuzfahrtschiffe aus der Lagune verbannt seien. Stimmte zwar nicht, aber egal, der Vorwand reichte und Unesco knickte wie geplant ein. Jetzt wurde eine ähnliche Fake-Entscheidung mitgeteilt - auf die, wie immer praktisch alle Medien (Öffnet in neuem Fenster) reingefallen sind: Das Eintrittsgeld für Venedig soll jetzt wirklich kommen!, schallt es von allen Seiten. Mal abgesehen davon, dass es die wer-weiß-wievielte Ankündigung und sie schon deshalb nicht ernst genommen werden kann, soll sie nur der Unesco einen Vorwand liefern, um daraufhin wie geplant erneut einzuknicken. Wir Venezianer haben schon umfänglich unsere Argumente klargelegt, weshalb wir gegen das Eintrittsgeld sind (Öffnet in neuem Fenster): Es würde keinen einzigen Tagestouristen davon abbringen, Venedig zu besuchen.

Angesichts der Unesco-Tagung haben wir in Venedig eine Petition auf die Beine gestellt - über die auch die Repubblica (Öffnet in neuem Fenster) berichtet hat: Wir fordern von der Unesco: Setzt Venedig, diese missbrauchte Stadt, auf die Unesco-Liste des gefährdeten Welterbes: Zeigt der Welt, wie sie heruntergekommen ist. Unsere Petition sollten alle unterschreiben, die Venedig lieben:

https://www.change.org/p/salviamo-venezia-ed-i-suoi-abitanti?recruiter=false&utm_source=share_petition&utm_campaign=psf_combo_share_message&utm_medium=whatsapp&utm_content=washarecopy_37339957_it-IT%3A4&recruited_by_id=4c918820-4bd4-11ee-a156-ef2cdb0b1a21&share_bandit_exp=message-37339957-it-IT&fbclid=IwAR382guptBWHtts-kPF4p8pwtlHToHgtxh6m3ZHw4KdIOJLoERS0PIUdSbM_aem_ATw6lLiwf259RozyHdk-LKl-fu9OY-03iOi0wucHObWHRTY2AxffpaBWTPmOlMmnNDA&fbclid=IwAR2gn8Qq8ujaJCZgsisZLwo2qoxej43-I81sI-8EaWFBVewq6KQiqAj6syU (Öffnet in neuem Fenster)

Falls der Text der Petition nur auf Italienisch angezeigt werden sollte, hier ist die Übersetzung:

In New York wurde jetzt ein Gesetz gegen Airbnb (Öffnet in neuem Fenster) erlassen, von dem wir in Venedig träumen: Dieses Gesetz soll verbieten, mehr als zwei Personen (unabhängig von der Größe der Wohnung) für mehr als zwei Nächte in der Wohnung übernachten zu lassen, in dem unter anderem auch der Eigentümer wohnen muss. Der Grund dafür ist, dass heutzutage Airbnb-Hosts leere, nicht bewohnte Wohnungen (oft sogar mehr als eine) mieten (oder kaufen), während sie anderswo wohnen, so dass es sich dabei um ein echtes Gewerbe handelt und nicht um eine „Aufrundung des Einkommens“, wie es in der Anfangszeit dargestellt wurde, als die "sharing economy" (höchster Ausdruck von Heuchelei) propagiert wurde. Und das alles für maximal 30 Tage im Jahr.

Tatsächlich haben wir in Venedig bereits die erste und praktisch einzige Airbnb-Gesetzesnorm in Italien: Sie sieht vor, die Vermietung von Wohnungen als Airbnb auf 120 Tage zu beschränken. Aber genau diese Gesetzesnorm wird nicht angewendet. Weil ihre Anwendung dem Bürgermeister freigestellt ist. Haha.

Inzwischen haben wir hier mehr Touristenbetten (49 649) als Einwohner (49 304) - nachzulesen hier (auch auf Englisch) bei Ocio (Öffnet in neuem Fenster), der venezianischen NGO, die sich der Wohnungsfrage widmet – die für Venedig eine Frage des Überlebens ist.

Weil der Wellengang Venedig praktisch auffrisst - haben die venezianischen Ruderer bei der Regatta storica letzten Sonntag mit schwarzen Masken protestiert (Öffnet in neuem Fenster), die an eine Totenfeier gemahnen - und das in dem Augenblick, an dem sie sich vor der schwimmenden Tribüne vor Bürgermeister und Honoratioren präsentierten, um hier traditionell die Ruder zu heben. Um nicht missverstanden zu werden, rief eine Ruderin dabei: "Für Venedig - ganz bestimmt nicht für den Bürgermeister", und ein Gondoliere ergriff das Megafon und brüllte Richtung Bürgermeister: "Es ist eine Schande, wo ist der Beschützer der Stadt? Stoppt den Wellengang!".

Die RAI dokumentierte die Regatta ausgiebig - ohne ein Wort über den Protest der Ruderer zu verlieren, dem einzigen echten Moment der Veranstaltung: "Der Kaiser ist nackt, aber die RAI verschweigt es" (Öffnet in neuem Fenster) schrieb daraufhin der venezianische Journalist Silvio Testa über diese Zensur - die uns nicht wundert, beobachten wir doch täglich, wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen jetzt auf Regierungslinie gebracht wird.

Hier in diesem Video fordert dieser Gondoliere den Bürgermeister auf, nach Venedig zu kommen (!) und sich den Wellengang anzusehen - anstatt den "Sheriff" in der Fußgängerzone von Mestre zu spielen, wo er von den venezianischen Medien dafür gelobt wurde, Fahrradfahrer eigenhändig am Weiterfahren gehindert zu haben.

"Ich habe Angst vor dem Wellengang", sagt dieser Gondoliere.

https://www.youtube.com/watch?v=oaVqerVDTKQ (Öffnet in neuem Fenster)

Und ich kann das nachvollziehen, bei meinem letzten Bootsausflug wurde mir im Markusbecken und im Canal Grande ziemlich mulmig, zwischen Unmengen von Wassertaxis, Vaporetti und Gondeln.

Ich war natürlich auch beim Filmfest, den Goldenen Löwen hat wie üblich (Öffnet in neuem Fenster)ein Film gewonnen, den ich nicht gesehen habe: Poor Things (Öffnet in neuem Fenster) des griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos.

Mir hat der polnische Film „Green Border“ von Agnieszka Holland (Öffnet in neuem Fenster) am besten gefallen - er bekam immerhin den Spezialpreis der Jury.

https://www.youtube.com/watch?v=m-f_tZQjXT0 (Öffnet in neuem Fenster)

Es geht um die Pushbacks an der Grenze zwischen Polen und Belarus (Öffnet in neuem Fenster). Dafür wurde die Regisseurin in Polen als Vaterlandsverräterin beschimpft und vom Justizminister als Nazi-Propagandistin (Öffnet in neuem Fenster) bezeichnet. Es ist ein grandioser und anstrengender Film (Öffnet in neuem Fenster). An dessen Ende man sich fragt: Was ist bloß mit Europa passiert, dass es so heruntergekommen ist?

Dass sich der Nationalismus nicht nur in Polen, sondern in ganz Europa ausbreitet, haben wir auch während des Filmfests gemerkt.

Unter anderem bei dem Film "Il Comandante" (Öffnet in neuem Fenster): Die Produzenten des Films haben weder Kosten noch Mühen gescheut, um ihren Film über die - wahre - Geschichte des U-Boot-Kommandanten Salvatore Todaro zu bewerben, der im Zweiten Weltkrieg ein belgisches Schiff versenkt, die Überlebenden aber gerettet hat. Um auf die Weltpremiere aufmerksam zu machen, legte ein U-Boot, das dem Kommandanten Salvatore Todaro gewidmet ist und zu Ausbildungszwecken in der Adria eingesetzt wird, an der Riva dei Sette Martiri an.

Mit meinen deutschen Kritikerkolleginnen war ich mir uneins über die Botschaft des Films „Il Comandante“: War das jetzt ein Fratelli D‘Italia-Film oder ein Appell an die Menschlichkeit zur Aufrechterhaltung der Seenotrettung?

Ich plädierte erst für den Appell an die Menschlichkeit. Und fand deshalb den Satz überflüssig, mit dem der U-Boot-Kommandant auf die Frage des belgischen Kapitäns antwortet, warum er sie gerettet hat: “Weil wir Italiener sind.” In dem Moment ging im Kino ein Ächzen durch die Reihen. In dem Sinne: Hätte auch gereicht, wenn der Kommandant an dieser Stelle „Weil wir Seeleute sind“ gesagt hätte - wie er es praktisch den ganzen Film über gesagt hatte.

Genau das habe ich dann in einem Post auf Facebook (Öffnet in neuem Fenster) kund getan. Und dann ging es los, mit den Beschimpfungen, ich sollte mal schnell wieder in mein Nazi-Deutschland zurückkehren, etc. pp., die Brüder Italiens waren empört. Tja. Viele der Kommentare sind nicht mehr zu lesen, weil ich sie blockiert habe - Tatsache aber ist, dass sich die Stimmung auch in Italien gedreht hat.

Für mich war diese kleine Episode sehr interessant und aufschlussreich - praktisch Recherche für mein Italienbuch, wo ich dem "Italiani-Brava-Gente-Mythos" (Öffnet in neuem Fenster)auch ein Kapitel widmen werde.

Mit einem Blick auf das vor der Giudecca schwimmende Freiluftkino grüßt Sie - unverbesserlich widerspenstig - Ihre Petra Reski. Die sich darüber freut, jetzt auf die Unterstützung von 161 Ehrenvenezianern zählen zu können! Werden auch Sie Ehrenvenezianer (Öffnet in neuem Fenster)!

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