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Über Touristen auf Grabplatten und andere Kleinigkeiten.

Ja, die Hitze. Also die hier in Italien, sie besorgt auch den Deutschlandfunk, der mich zu einer Diskussion mit dem FAZ-Reisejournalisten Jakob Strobel y Serra eingeladen hat:

https://www.deutschlandfunk.de/sehnsuchtsort-sueden-aus-der-traum-petra-reski-vs-jakob-strobel-y-serra-dlf-e93371d1-100.html (Öffnet in neuem Fenster)

Glücklicherweise denkt der Reisejournalist Jakob Strobel y Serra praktisch und schlägt vor, einfach mal die Saison zu verlängern, während mir in meiner Rolle als Partypupserin zukam, darauf aufmerksam zu machen, dass ich mir, anders als der Vorspann des Gesprächs andeutet, nicht nur Sorgen um meine "Wahlheimat" Venedig mache, sondern um ganz Italien, das gerade dabei ist sich in ein gigantisches Disneyland zu verwandeln: Der Tourismus mit seinen Billiglöhnen gilt hier inzwischen als einzig förderungswürdiger Wirtschaftssektor.

Im Guardian habe ich diesen Artikel (Öffnet in neuem Fenster)über die Auswirkungen der touristischen Monokultur in Europa gefunden, unbedingt lesenswert.

Zur italienischen Tourismusindustrie hier auch zwei Bilder aus Apulien, genauer aus dem Salento, der südlichen Spitze Italiens.

Hier bin ich im Jahr 2017 in dem Olivenhain Sarparea (Öffnet in neuem Fenster), seit 1443 ist seine Existenz dokumentiert, er ist der älteste natürlich gewachsene Olivenhain Apuliens:

Und das ist der Olivenhain Sarparea heute:

Über den riesigen Schwindel (Öffnet in neuem Fenster), der sich hinter den vertrockneten Olivenbäumen des Salento verbirgt, redet heute niemand mehr. Also kann endlich vollzogen werden, was von Anfang an geplant war: Die jahrhundertealten Olivenbäume zu beseitigen, um Platz zu schaffen für Hotelanlagen - so wie es hier geschieht mit der Sarparea, dem Olivenhain, über den jetzt die Bagger hinwegrollen.

2017 haben mich Naturschützer aus Nardò zum ersten Mal darauf aufmerksam gemacht, dass dieses Naturdenkmal Opfer der Immobilienspekulation werden sollte. 2019 kehrte ich wieder zurück und schrieb in meinem GEO-Artikel (Öffnet in neuem Fenster) über die gar nicht so rätselhaften Hintergründe der vertrockneten Olivenbäume im Salento: »Ganz zu schweigen vom Tourismusboom, den der Salento seit einigen Jahren erlebt – und der zur Folge hat, dass Olivenbäume Hotelanlagen, Golfplätzen und Resorts im Weg stehen? Einige Grundstücke wurden an große Gesellschaften verkauft, zum Beispiel der 20 Hektar große Olivenhain von Sarparea an der Bucht von Sant’Isidoro. Seit 1443 ist seine Existenz dokumentiert, er ist der älteste natürlich gewachsene Olivenhain Apuliens und gehört nun britischen Investoren, die ein Luxusresort auf dem karstigen Boden bauen wollen: die „Oase Sarparea“: 30 Villen zwischen teils tausendjährigen Olivenbäumen, zwei Schritte entfernt vom Meer und vom Naturschutzpark Porto Selvaggio. Dieser entstand, weil die Gemeinderätin Renata Fonte (Öffnet in neuem Fenster) den Küstenstreifen in den 1980er Jahren Bauspekulanten entriss und dafür mit ihrem Leben bezahlte, im Jahr 1984 wurde Renata Fonte von zwei Killern mit Pistolenschüssen hingerichtet.

Die Bauindustrie ist ein klassisches Standbein der Mafia. Nicht nur der Camorra und der ’Ndrangheta, die Apulien kolonisiert haben, sondern auch der apulischen Sacra Corona Unita, der jüngsten, sich im Aufwind befindlichen Mafiaorganisation Italiens. Das Institut für Politik-, Wirtschafts- und Sozialforschung „Eurispes“ und die vom Bauernverband Coldiretti eingerichtete Beobachtungsstelle für Agrarkriminalität widmeten der „Eigenartigen Geschichte der Xylella“ in ihren Berichten aus den Jahren 2015 und 2016 ganze Kapitel. Und weil die Geschichte der Xylella eben so eigenartig ist, entschloss sich das italienische Parlament nicht nur zu einer umfassenden parlamentarischen Anhörung zum Thema Xylella, sondern beantragte auch eine parlamentarische Untersuchungskommission.

Die eingesetzte parlamentarische Kommission hat zwar alles zu Tage gefördert, darunter die Beteiligung der Wissenschaftler an dem Schwindel - aber natürlich wurde daraus nichts: Einer guten italienischen Tradition folgend, mussten die Verantwortlichen keinerlei Konsequenzen befürchten.

Die Kulturlandschaft des Salento hingegen wurden durch die Abholzungsaktionen praktisch zerstört.

Und weil es hier immer noch so heiß ist, suchten sich zwei Touristen in Venedig auf dem Friedhof von San Michele ein schattiges Plätzchen auf den Grabplatten:

Ich habe dieses schockierende Foto auf Facebook (und auf Instagram) als Story und auch auf Twitter gepostet - und ich war nicht mal die einzige, die dieses Foto verbreitet hat.

Daraufhin kontaktierte mich eine Journalistin der Nuova Venezia - und mein Facebook-Post wird zur Schlagzeile der Nuova:

und zum Aufsteller, auf dem steht: »Touristen ruhen sich auf den Gräbern aus. Große Aufregung«. (Bufera ist ein Lieblingswort der italienischen Medien)

Tatsächlich hat mich die Journalistin korrekt zitiert (nicht immer üblich in Italien), nachzulesen hier unter der Überschrift: »Massentourismus ohne Respekt vor der Stadt, schockierende Gleichgültigkeit selbst gegenüber den Toten«

Und, ja, ich finde diesen Anblick der beiden Touristen immer noch schockierend, weil es zeigt, dass es nicht mal mehr eine ethische Grenze gibt - für das, was man anderen zumutet. Keinen Respekt für eine Kultur, keinen Respekt für ein anderes Land, keinen Respekt für die Toten.

Diese Respektlosigkeit ist aber vor allem das Ergebnis einer Politik, die Venedig seit 30 Jahren als Freizeitpark verkauft - und die letzten verbliebenen Venezianer nur noch als störende, zu beseitigende Hinternisse betrachtet. Danken wir also all denjenigen, die für Venedigs Schicksal in den letzten 30 Jahren politisch verantwortlich waren. Das habe ich auch noch in einem Interview (Öffnet in neuem Fenster) eines venezianischen Fernsehsenders gesagt - nach dem Motto: Bloß keinem Streit aus dem Weg gehen.

Interessant fand ich auch, dass sich einige auf Twitter (Öffnet in neuem Fenster), wo ich mehrheitlich deutsche Follower habe, vor allem Sorgen um das Persönlichkeitsrecht der beiden auf den Gräbern liegenden Touristen gemacht haben, das mit diesem Foto ja verletzt worden sei. Und dass der Nordfriedhof in München ja schließlich auch zum Sonnenbaden genutzt würde. Im Unterschied zum Münchener Nordfriedhof wird der Friedhof von San Michele aber noch genutzt. Und: Wir sind hier in Italien, wo man mit der Totenruhe respektvoll umgeht.

Aber dann belohnt mich Venedig auch wieder mit einem Anblick wie diesem:

Das ist der Windjammer "Flying Clipper", angeblich weltweit größtes Segelschiff (Öffnet in neuem Fenster), das gestern vor unseren Augen an San Giorgio vorbeifuhr, worauf sich ein kleiner, neben mir im Vaporetto stehender Junge vor Begeisterung gar nicht mehr einkriegen konnte und immer wieder "Es kommt näher, es kommt auf uns zu!" rief, weshalb ich, wegen seiner Begeisterung und der Schönheit dieses Augenblicks fast in Tränen ausgebrochen wäre.

Ich freue mich, dass ich in den letzten Wochen einige neue Ehrenvenezianer begrüßen durfte, inzwischen befinden sich unter den 1114 Lesern meines Newsletters 158 Ehrenvenezianer (Öffnet in neuem Fenster), die Reskis Republik mit 3 Euro im Monat (bei jährlicher Zahlung) unterstützen. Ich würde mich freuen, wenn Sie dazu beitragen könnten, Reskis Republik weiter zu verbreiten, indem sie entweder einfach diesen Link zum (kostenlosen) Abo des Newsletters an ihre Freunde, Verwandte oder sonstige Italienliebhaber weiterschicken:

https://steadyhq.com/de/petrareski/newsletter/sign_up (Öffnet in neuem Fenster)

Das Ehrenvenezianertum kann auch verschenkt (Öffnet in neuem Fenster)werden (ist vielleicht eine Geschenkidee für diejenigen, die gerade ihren Urlaub in Italien verbracht haben).

Hoffe damit genügend die Werbetrommel gerührt zu haben und grüße Sie mit einem neuen, schön ausgeleuchteten Autorenfoto des Meisterfotografen Paul Schirnhofer!

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