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Die Sonne hinter dem Nebel

In Venedig sieht es immer noch so aus und irgendwie spiegelt der Nebel die Stimmung in der Welt wieder. Als ich im Radio die Worte "Putin" und "tot" hörte, dachte ich schon: Echt jetzt? Ist es endlich wahr? Bis ich zwei Sekunden später kapierte, dass ich mich verhört hatte und nicht Putin, sondern Nawalny tot ist. Und wenn ich im Radio die Worte “Polarkreis”, “Straflager”, “Sibirien” höre, fühle ich mich in meine Kindheit im Kalten Krieg zurückversetzt. Wobei der Kalte Krieg übersichtlicher war als die Gemengelage heute.

Aber da müssen wir durch. Wie meine Mutter immer sagt: Irgendwie muss es ja weitergehen. Und es geht weiter: Venedig hat den grauenvollen Karneval überstanden, der mit seinen 90 000 Besuchern am Karnevalssamstag allgemein als “Flop” betrachtet wurde. Dazu auch dies:

“Marco Polo’s City is dying” In der Tat. Genau darüber habe ich in der Taz geschrieben. Hier auch der Link zum Artikel (Öffnet in neuem Fenster).

Mir war wichtig, klarzumachen, dass Venedigs Dilemma keine Naturkatastrophe ist, sondern eng mit den Interessenkonflikten des venezianischen Bürgermeisters verbunden ist. Dies um so mehr, als wenige Journalisten umreißen, was in Venedig los ist, wenn sie für zwei Tage anreisen und dann einen “Es könnte so sein, aber auch so sein”-Artikel über Venedig verfassen. So geschehen zuletzt in dem Artikel der stets hochgelobten Washington Post (Öffnet in neuem Fenster). Mir ist ein Rätsel, wie Journalisten auf die Idee kommen können, es würde reichen, beide Seiten zu Wort kommen zu lassen, um Objektivität vorzuspiegeln - wenn die eine Seite ungleich mächtiger ist als die andere.

An Karneval bin ich nach San Donà di Piave gefahren, wo der sizilianische Chirurg Attilio Manca (Öffnet in neuem Fenster) zur Welt gekommen ist. Weil sich sein Todestag am 11. Februar zum zwanzigsten Mal jährte, hatte mich seine Familie gebeten, eine Konferenz zu moderieren, in der es um die bis heute nicht geklärten Umstände seiner Ermordung ging: Attilio Manca war ein junger erfolgreicher sizilianischer Chirurg, einer der ersten, der Prostata-Operationen mit Laparoskopie durchführte - und der in seiner Wohnung tot aufgefunden wurde. Todesursache “Selbstmord”: Er habe sich eine Überdosis Heroin zusammen mit Beruhigungsmitteln gespritzt. Ins linke Handgelenk.

Mal abgesehen davon, dass Attilio Manca Linkshänder war und er sich kaum mit rechts hätte spritzen können, wäre ein drogenabhängiger Chirurg den Kollegen aufgefallen, weil er weder unter Drogeneinfluss, noch auf Entzug hätte operieren können. Natürlich wurden auch keine Fingerabdrücke auf der Spritze gefunden. Sein Körper war mit Blutergüssen übersät, sein Gesicht blutüberströmt, sein Nasenbein gebrochen (wer mutig ist, kann im Netz die Bilder ansehen (Öffnet in neuem Fenster), die den Leichnam zeigen).

Es waren seine Eltern und sein Bruder, die sich mit der Vertuschung der Wahrheit nicht zufrieden geben sollten - und auf eine kuriose Parallele stießen: Attilio Manca hatte sich zur gleichen Zeit in Südfrankreich aufgehalten und sei zu einer Operation gerufen worden, als der 40 Jahre lange flüchtige Boss in Marseille an der Prostata operiert wurde - wie anlässlich seiner Verhaftung herauskam (Öffnet in neuem Fenster).

Kurz gesagt: Attilio Manca war ein unbequemer Zeuge des Paktes (Öffnet in neuem Fenster) zwischen dem italienischen Staat und der Mafia - der dem Boss erlaubt hat, vierzig Jahre lang die Geschäfte von Cosa Nostra ungestört weiterzuführen.

Zu der Vertuschung haben sowohl die Gerichte von Viterbo als auch von Rom beigetragen. Immerhin gibt es darüber inzwischen einen detaillierten Bericht (Öffnet in neuem Fenster) der parlamentarischen Antimafiakommission. Und ich bin voller Bewunderung für den ungebrochenen Kampfgeist der Mutter Angela Manca (Öffnet in neuem Fenster) und des Bruders Gianluca Manca (Öffnet in neuem Fenster). Leider ist der Vater Gino Manca vor kurzem verstorben, ohne zuvor Gerechtigkeit für seinen ermordeten Sohn erfahren zu haben.

Anlässlich der Konferenz habe ich einige Weggefährten meines Lebens in Italien wieder getroffen, darunter Piera Aiello (Öffnet in neuem Fenster)hier mit Angela Manca:

Piera Aiello ist die Schwägerin von Rita Atria, über die ich mein erstes Buch (Öffnet in neuem Fenster)geschrieben habe. Oder der Priester Don Ciotti (Öffnet in neuem Fenster), Gründer von Libera Contro le Mafie (Öffnet in neuem Fenster), für den ich die Laudatio hielt, als ihm die Universität Augsburg den Preis für Versöhnung und Völkerverständigung verlieh. Und natürlich auch der Anwalt Fabio Repici, der die Angehörigen vieler Opfer vertritt, die von den sogenannten "fehlgeleiteten Geheimdiensten" ermordet wurden.

Sie alle gehören zu dem Italien, zu dem ich gehören wollte, als ich die italienische Staatsangehörigkeit angenommen habe.

Immer wenn du denkst, tiefer können wir nicht sinken in Italien, ist da einer, der sagt: Da geht doch noch was! So hat das Ministerium für “Made in Italy” (Kein Witz, das gibt es wirklich (Öffnet in neuem Fenster)!) beschlossen, Silvio Berlusconi mit einer Briefmarke zu ehren (Öffnet in neuem Fenster): "Die Ehrung gilt denjenigen, die das Land durch ihre Menschlichkeit, ihren Bürgersinn, ihre Fähigkeiten und ihre absolute Hingabe in den verschiedensten Bereichen groß gemacht haben".

Klar, dass man da natürlich sofort an Silvio denken musste.

Der uns umgebende Nebel ist aber auch poetisch, so wie hier an der Markuskirche.

Das Foto hat mein Freund, der Bühnenbildner und Regisseur Ezio Toffolutti (Öffnet in neuem Fenster) gemacht, der morgen seinen 80. Geburtstag feiert. Der Venezianer Ezio Toffolutti, der lange Jahre mit Benno Besson an der Ostberliner Volksbühne und praktisch an allen renommierten Bühnen Europas gearbeitet hat, ist kurz vor dem Mauerfall mit seiner Frau Petra (Öffnet in neuem Fenster) in seine Heimatstadt Venedig zurückgekehrt. Und hat in Venedig dafür gesorgt, dass der Theaterdichter Carlo Gozzi (Öffnet in neuem Fenster) wieder in seine Geburtsstadt Venedig zurückkehren konnte: Nicht nur ins venezianische Theater Malibran, das Ezio mit Gozzis “Liebe zu den drei Orangen” nach jahrzehntelanger Schließung wiedereröffnete, sondern auch in das Teatro Verde auf San Giorgio, wo die Liebe zu den drei Orangen als Märchenstück von Edoardo Sanguineti (Öffnet in neuem Fenster) welturaufführt wurde.

Ezio arbeitet an allen renommierten Bühnen Europas, er hat lange Jahre in München an der Akademie der Künste Bühnenbild und Bühnenkostüm unterrichtet - jetzt könnte man annehmen, dass Ezio, der wie viele Venezianer auch an einer verzweifelten Liebe zu seiner Stadt leidet, schon längst zum Ehrenbürger der Stadt Venedig ernannt wurde und vor lauter Orden an der Brust kaum noch laufen kann. Aber weil das undenkbar ist in einer Stadt, in der sich der Bürgermeister (Hintergründe siehe oben) selbst zum Kulturstadtrat ernannt hat, ernenne (Öffnet in neuem Fenster) ich Ezio Toffolutti hiermit zum Ehrenbürger von Reskis Republik!

Denn hinter dem Nebel, da wartet die Sonne auf uns!

Herzlichst grüßt Sie Ihre Petra Reski

Und zum Schluss noch wie üblich:

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