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Über Schicksalsjahre und die wesentlichen Dinge.

Das ist der Olivenbaum, den Paolo Borsellinos Mutter an der Stelle in der Via D'Amelio pflanzen ließ, wo ihr Sohn vor ihrer Tür in die Luft gesprengt wurde. Anlässlich des 31. Todestages von Paolo Borsellino habe ich eine Recherchereise nach Palermo unternommen, wo ich Salvatore Borsellino wieder getroffen habe - der es nie ertragen konnte, wie Politiker Kränze in der Via D'Amelio ablegten, weil sie ihm wie Mörder erschienen, die an den Tatort zurückkommen, um sich zu versichern, dass sein Bruder Paolo wirklich tot war. Als Angelo Alfano, damals Kronprinz von Berlusconi, einmal in der Via D'Amelio auftauchte, sagte Salvatore Borsellino, dass er den Kranz wieder mitnehmen und stattdessen auf dem Grab von Vittorio Mangano ablegen sollte: dem Mafioso, der als "Stallmeister" in der Villa von Berlusconi gelebt hatte und der von Berlusconi als "Held" bezeichnet wurde, weil Mangano es abgelehnt hatte, mit der Justiz zusammenzuarbeiten.

Versteinert vor Trauer mussten viele Mafiaopfer den Triumph der Mörder ertragen. Salvatore aber reagierte. Er gründete die Bewegung "Agende Rosse" (Öffnet in neuem Fenster)und richtete in den ehemaligen Räumen der Apotheke der Familie Borsellino in Palermos Altstadt eine Gedenkstätte für seinen ermordeten Bruder ein: la casa di Paolo. (Öffnet in neuem Fenster)

Am Tag der Ermordung von Paolo Borsellino traf ich hier den Kronzeugen und Mafiaaussteiger Gaspare Mutolo, hier links im Bild neben Salvatore Borsellino. Wenn man sie sprechen hört - im sizilianischen Dialekt - könnte man sie für zwei alte Herren halten, die lustige Anekdoten über ihre Jugend in Palermo austauschen. Tja.

Ich sah Mutolos Gesicht jetzt zum ersten Mal - nachdem ich ihn vor vielen, vielen Jahren im Gerichtssaal von Caltanissetta gehört habe. Damals saß er hinter einem Paravent und sagte darüber aus, was er wusste über die Verantwortung von Politikern, Richtern und Geheimdienstlern. Über diejenigen, die in Italien die Fäden ziehen.

In Palermo habe ich auch den Polizisten Saverio Montalbano getroffen - den echten Montalbano - den ich als junge Journalistin bei meiner allerersten Reportage in Palermo kennengelernt habe.

Wir redeten über all das, was er in jenen Jahren erlebt hat, die das Schicksal Italiens prägen sollten. Etwa dieser Augenblick, als einer seiner Streifenpolizisten ihm davon berichtete, wie er und sein Kollege im Streifenwagen wenige Minuten nach der Explosion in der Via D’Amelio auf diese Männer in Zivil stießen - ungeachtet der Hitze in Jacke und Krawatte - die sich ihnen gegenüber als Mitarbeiter der Geheimdienste auswiesen und sich nicht für die Opfer interessierten, sondern in den rauchenden Trümmern nach Borsellinos Aktentasche suchten. Seitdem ist Borsellinos rote Agenda, in der er alles notierte, was ihm nach der Ermordung seines Freundes und Kollegen Giovanni Falcone auffiel, verschwunden.

Ja, Sizilien brennt, in jeder Hinsicht.

Die Waldbrände, die in Sizilien den Park von Segesta verwüsten und die Palermos Innenstadt bedrohlich nah kamen, waren in Italien Thema auf allen Kanälen - und sei es, um Sätze wie "Es ist keine Nachricht, wenn es im Juli heiß ist" unterzubringen, die in Italien von den Leugnern der Klimakrise stets im Munde geführt werden. Unter ihnen befindet sich auch Italiens "First Gentleman", Melonis Lebensgefährte, der Journalist Andrea Giambruno.

Nachdem Minister Lauterbach im Urlaub seinen Tweet abgesetzt hat:

forderte der Meloni-Mann in seiner Fernsehsendung auf dem Berlusconi-Fernsehsender Rete 4 Lauterbach auf, zu Hause zu bleiben (Öffnet in neuem Fenster), ja, den Urlaub in Deutschland zu verbringen, genauer gesagt, im Schwarzwald.

Solche sommerlichen Kontroversen zwischen Deutschland und Italien haben eine lange Tradition: Als Gerhard Schröder Kanzler war, kam es 2003 auch mal zu einer Verstimmung. Da war Stefano Stefani, Staatssekretär der Lega (laut BILD: der "Rüpel-Staatssekretär") mit dem Nudelholz über die deutsch-italienischen Gefühle gerollt, als er deutsche Urlauber "einförmige, supernationalistische Blonde" genannt hatte, die lärmend über italienische Strände herfielen. Daraufhin praktizierte der Kanzler ein l’Etat-c’est-moi und opferte seinen lange geplanten Urlaub in Pesaro beleidigt der Staatsräson. Seitdem weiß jeder, wo Pesaro liegt.

Und seitdem Italiens First Gentleman sich mit Lauterbach anlegte, wissen alle, dass Melonis Mann sogar mit einer eigenen Fernsehsendung belohnt wurde. Aber möglicherweise nicht mehr lange.

Als ich in München war, hörte ich auf Radio BAYERN 3 den Quatsch , dass sich Amsterdam ein Beispiel an Venedig nähme und die Kreuzfahrtschiffe "verbanne".

Auf Twitter schrieb ich (Öffnet in neuem Fenster): »Liebe Leute, falls Ihr wirklich Journalisten sein wollt, dann übernehmt doch nicht einfach ungeprüft die Informationen der Kreuzfahrtlobby. Venedig hat die Kreuzfahrtschiffe niemals "verbannt". Sie fahren nach wie vor in Venedig ein - und nehmen nur einen anderen Weg, über den Kanal für Öltanker. Was für die Zerstörung der Lagune und die Verpestung der Luft den gleichen Effekt hat. Als Vorbild taugt Venedig nicht.«

Daraufhin verteidigte der Verantwortliche der BR-Pressestelle auf Twitter die Berichterstattung mit gezücktem Schwert, was die Sache auch nicht besser machte. Die Fake-News, dass sich "Amsterdam ein Beispiel an Venedig nehme" tauchte praktisch überall auf, bei Euronews (Öffnet in neuem Fenster), im Stern (Öffnet in neuem Fenster), im Spiegel (Öffnet in neuem Fenster), in der SZ (Öffnet in neuem Fenster), in der Tagesschau (Öffnet in neuem Fenster), you name it. Der journalistische Herdentrieb schlug per copy&paste wieder voll durch. Wozu recherchieren, wenn man auch googeln kann?

Bis heute erlebe ich es ständig, dass mich Leute erstaunt fragen: Wie? Es gibt doch gar keine Kreuzfahrtschiffe mehr in Venedig! Nichts hält sich so lange wie Fake News. Über die Kreuzfahrtschiff-Fakes habe ich bereits vor zehn Jahren auf meinem Blog geschrieben (Öffnet in neuem Fenster), dass Journalisten es lieben, ihren Lesern auch mal "DAS POSITIVE" zu erzählen: Märchen. Rotkäppchen und der böse Wolf. David gewinnt gegen Goliath. Stimmt nur nie.

Und in diesem Fall wurden die vermeintlichen good news sogar der Kreuzfahrtindustrie zu viel: Die CLIA, der Verband der Kreuzfahrtindustrie, gab ein Statement ab, in dem sie die Berichterstattung als falsch bezeichnete (Öffnet in neuem Fenster), derzufolge die Kreuzfahrtschiffe aus Amsterdam verbannt seien. Im Gegenteil würden Millionen in die Infrastruktur des Hafens und in die Stromversorgung investiert. Und genau das geschieht auch in Venedig.

Zum Schluss noch ein Gruß aus Cannes, wohin ich im Grunde nur gefahren bin, um dieses Foto nachzustellen:

Dazu passt die Zeile aus dem Casablanca-Lied (Öffnet in neuem Fenster):

You must remember this/A kiss is just a kiss, a sigh is just a sigh/The fundamental things apply/As time goes by.

In diesem Sinne grüßt Sie herzlich, Ihre Petra Reski

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