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Über das Ende (?) der Pest und verschlossene Münder

Foto von Italia Nostra Venezia (Öffnet in neuem Fenster)

Huuh, gestern Abend fand hier in Venedig ja das Volksfest Redentore (Öffnet in neuem Fenster) statt, mit dem das Ende (Ende?) der Pest gefeiert wird - und was mich (und eigentlich alle Venezianer) sehr nostalgisch gestimmt hat, weil es schon lange nichts mehr mit dem venezianischen Fest zu tun hat, das es einst war. Daran dachte ich, als ich morgens die Lampions an der Salutespitze im Wind wehen sah:

Venedig wurde wie immer in den letzten Jahren niedergerannt. Das Fest ist seiner eigentlichen Natur völlig beraubt, in der Hand von Taxibooten, die zwischen monströsen Touristen-Motorbooten aus Jesolo und Punta Sabbioni durch das Markusbecken wie durch die Adria pflügen. Ich bewundere die wenigen letzten Venezianer, die noch den Mut hatten, gestern auf dem Wasser ihre Existenz zu beweisen. Gestern kam dabei ein junger Mann ums Leben (Öffnet in neuem Fenster), dessen Boot einen der hölzernen Pfähle gerammt hat, die den Verlauf der Kanäle markieren.

Redentore ist, wie viele Venezianer heute sagen, zu einem Fest des Bürgermeisters (dem wohl meistgehassten Mann in Venedig) verkommen.

Was der Bürgermeister von den Venezianern hält, konnte man in diesen Tagen nachlesen: Venedig könnte so schön sein, wenn da nur nicht die Venezianer wären, die, wie Bürgermeister Brugnaro findet, die Häuser „besetzt halten“: Wörtlich sagte er: "Solange die Häuser von Venezianern besetzt sind, können wir dort keine jungen Leute unterbringen: Wir müssen dort expandieren, wo wir können. Wir brauchen Leute, die Risiken eingehen und investieren. Vor allem in Mestre, der echten Stadt der Zukunft: Dort kann man machen, was man will."

Falls Sie sich wundern, warum der Bürgermeister plötzlich sein Herz für Studenten entdeckt hat: Studenten und Airbnb-Nutzer sind für ihn die idealen Bewohner Venedigs, denn sie sind in Venedig nicht wahlberechtigt.

Und um die letzten Wahlberechtigten aus der Stadt zu vertreiben, sorgt Brugnaro auch dafür, dass in Venedig, einer Stadt, die über die erste und praktisch beste Gesetzesnorm in Italien verfügt, um die Vermietung von Wohnungen als Airbnb auf 120 Tage zu beschränken, genau diese Gesetzesnorm nicht angewendet wird. Weil ihre Anwendung dem Bürgermeister freigestellt ist.

Kurz gesagt: Brugnaro setzt seine Interessen und die der Airbnb-Betreiber durch. Schließlich lebt nicht nur die Mehrheit seiner Wähler auf dem Festland, sondern auch die der Besitzer der venezianischen Wohnungen, die als Airbnb vermietet werden. Wir in Venedig sind die Geiseln des Festlands.

Über Venedig und was es bedeutet hier zu leben, habe ich in dem amerikanischen Podcast "The End of Tourism" gesprochen:

https://www.theendoftourism.com/episodes/the-death-of-venice-petra-reski-venice (Öffnet in neuem Fenster)

Meinen heavy Dschermin äckzint müssen Sie sich dabei wegdenken.

Weitere schöne Nachrichten aus dem Land, in dem die Zitronen blühen (bei blühenden Zitronen muss ich immer an die forzatura denken, einen Akt der Gewalt. Diese ziemlich brutale Bewässerungstechnik wird im Sommer in den Zitronenhainen Siziliens angewendet: Die ausgedörrten Pflanzen werden fast ertränkt, damit sie jenseits der Jahreszeiten neue Früchte treiben): Senatspräsident La Russa, stolzer Sammler von Mussolinibüsten und Mitgründer der "Brüder Italiens", ist erleichtert, weil der soeben erhobene Vergewaltigungsvorwurf gegen seinen Sohn ihm beweist, dass der keine Schwuchtel ist. (Schöne Karikatur des Karikaturisten Natangel (Öffnet in neuem Fenster)o)

Und die Simcard seines Sohnes darf von den ermittelnden Staatsanwälten erst beschlagnahmt werden, wenn der Senat darüber abstimmt, weil die Simcard über die Anwaltskanzlei seines Vaters angemeldet war und damit "Immunität" genieße. Was unter Juristen durchaus umstritten ist. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft beantragt, die Simcard zu beschlagnahmen und Einsicht in verborgene Chats zu erhalten.

Delikate Situation für Ministerpräsidentin, pardon, den Ministerpräsidenten Meloni, die zusammen mit La Russa und dem Verteidigungsminister Crosetto die "Brüder Italiens" gegründet hat.

Und damit wären wir bei einem anderen geistigen Vater dieser Regierung, dem soeben verschiedenen und bereits heiliggesprochenen Silvio Berlusconi, der nicht nur seiner letzten Lebensgefährtin 100 Millionen Euro (nicht schlecht für fünf Jahre Pflegedienst) hinterlassen hat, sondern auch 30 Millionen für seine rechten Hand, dem wegen Mafiaunterstützung vorbestraften Forza Italia-Gründer Marcello Dell'Utri, um sich sein weiteres Schweigen zu sichern.

Schöne Karikatur auch hier von Natangelo: "Noch etwas Champagner gefällig, mein Herr? - Danke, mein Guter, weißt Du, mein Mund ist so trocken geworden, nachdem ich ihn so viele Jahre lang geschlossen halten musste."

Salvatore Borsellino, der Bruder des ermordeten Staatsanwalts, verfügt über die seltene Fähigkeit, nicht der allgemeinen (und in Italien sehr ausgeprägten) Neigung nachzugeben, den Kopf zu senken, sich den Interessen der Mächtigen hinzugeben, um "endlich Ruhe zu haben", sondern weiter für die Gerechtigkeit und vor allem für die Wahrheit zu kämpfen.

Jetzt hat er wieder bewiesen, dass er dabei auch bereit ist, klare Worte in Hinblick auf die Familie von Paolo Borsellino auszusprechen: Die Kinder von Borsellino haben sich in abenteuerliche und abstruse Interpretationen als Begründung für die Ermordung ihres Vaters verstrickt - die sehr nach den Interessen der angeklagten Politiker, Geheimdienstler und hohen Staatsbeamten riechen. Vertreten werden sie von dem angeheirateten Schwiegersohn und Anwalt Trizzino, der in keiner geringeren Kanzlei als der von Rosalba Di Gregorio arbeitet, einer mir wohlbekannten Strafverteidigerin der Bosse.

Dass sich Salvatore Borsellino in einem Facebook-Post (Öffnet in neuem Fenster) von dieser Position distanziert hat, ist um so bemerkenswerter, als die Familie in Italien von der Kirche zu einem Fetisch verklärt wurde.

In Deutschland ist über die Hintergründe der Ermordung von Paolo Borsellino und über das Verschwinden der "roten Agenda" (dem Taschenkalender, in dem Borsellino alle seine Gedanken und Beobachtungen über die Ermordung seines Freundes Giovanni Falcone niedergeschrieben hat) wenig bekannt. Wer Näheres wissen will: Ich habe darüber unter anderem hier (Öffnet in neuem Fenster) und hier (Öffnet in neuem Fenster) geschrieben.

Und morgen fliege ich nach Palermo, um zusammen mit Salvatore Borsellino der Ermordung seines Bruders zu gedenken - die die politische Realität Italiens bis auf den heutigen Tag bestimmt.

Die Petition, den Ort der Ermordung seines Bruders in einen "Garten der Erinnerung" umzuwandeln, hat jetzt mehr als 101 000 Unterschriften erreicht. Wäre schön, wenn wir bis zum Todestag, dem 19. Juli, es schaffen würden, 150 000 Unterschriften zu erreichen. Wenn Sie mithelfen wollen, die Petition zu verbreiten (Öffnet in neuem Fenster), wäre das wunderbar.

In diesem Sinne grüßt Sie aus dem tropisch anmutenden Venedig, Ihre Petra Reski

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