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Als ich gestern in der Süddeutschen den schönen Artikel über den samischen Pavillon auf der Biennale (Öffnet in neuem Fenster) las ("Seit Jahrhunderten kämpfen sie um ihr Land und ihre Rentiere. Künstler wurden sie aus purer Notwehr"), dachte ich: Warum haben wir Venezianer eigentlich keinen eigenen Pavillon auf der Biennale? Bei dem wir auf unser Schicksal aufmerksam machen könnten? Wäre die Kunst nicht auch für uns die letzte Rettung?

Ich werde Sie nicht langweilen mit der Venedig-verlangt-jetzt-Eintrittsgeld-Geschichte (vergessen Sie das einfach, es wird sich niemals umsetzen lassen) - interessanter ist für uns die Tatsache, dass das Gesetz zur Beschränkung von Airbnbs (Öffnet in neuem Fenster) jetzt tatsächlich vom Parlament abgesegnet wurde. Kurz gefasst dürfen Wohnungen in Venedig nicht länger als 120 Tage im Jahr als BnB vermietet werden - und wie viele Wohnungen in Venedig überhaupt als Bnb vermietet  werden dürfen, darüber bestimmt: der Bürgermeister. Ähem. Das ist die Krux daran. Denn das Ganze muss kontrolliert und gegebenenfalls auch sanktioniert werden. Nicht unbedingt die Kernkompetenz hier. Aber: Die Hoffnung stirbt zuletzt. 

Das erinnert mich an eine wirklich schöne Überraschung: Letzte Woche veröffentlichte die Nuova di Venezia doch allen Ernstes eine Rezension meines Venedig-Buches: 

»DAS BUCH Der DEUTSCHEN AUTORIN Petra Reski und der Niedergang von Venedig. Eine Entscheidung auch seiner Bürger.  Von Enrico Tantucci/Venedig

Eine Liebeserklärung und ein Akt der Anklage. 

Das Buch von Petra Reski, das nach der deutschen Ausgabe nun auch in Italien (Zolfoeditore) erschienen ist, verbindet diese beiden scheinbar gegensätzlichen Elemente: "Venedig, der finale Akt - einer Stadt beim Sterben zusehen".

Petra Reski ist eine deutsche Journalistin, die 1989 in Italien "gestrandet" ist, um eine Reportage über den "Frühling" von Palermo zu schreiben, dann Venedig entdeckte und sich in die Stadt verliebte, so dass sie seit über dreißig Jahren eine Wahlbürgerin ist und in der Zwischenzeit auch einen Venezianer geheiratet hat.

Zu der Faszination für die Stadt und ihrer forma urbis gesellte sich bei ihr jedoch sofort ein fortschreitendes Bewusstsein für ihren Verfall als Gemeinschaft von Individuen unter der Last der durch den Massentourismus erzwungenen und vollzogenen Veränderungen, aber auch für die mit der Idee der Modernisierung verbundenen Eingriffe in das Ökosystem der Lagune. Sie berührt sie mit der eigenen Hand, als zugezogene und nicht resignierte Bewohnerin, die oft polemisch gegenüber dem "Establishment" ist, das die Stadt regiert und kontrolliert. Mit einem etwas melancholischen Ton und immer auch klaren und aufmerksamen Worten erzählt das Buch ihre venezianische Geschichte anhand ihrer eigenen Erfahrungen und gleichzeitig aus der Sicht derer, die in der Stadt leben.

Da ist die Geschichte von Alberto am Beginn, einem der letzten venezianischen Fischer mit donnernder Stimme, der sie über die Lagune und das Bootfahren aufklärt und der ihr immer wieder sagt: "In Venedig zu leben ist, wie eine Frau zu lieben, die sich in einer schwierigen Situation befindet. Aber lieben heißt auch, Schwierigkeiten zu überwinden." Aber als Petra später mit ihm Kontakt aufnehmen will, um ihm vom Kauf ihres ersten Bootes zu erzählen, erfährt sie, dass Alberto und seine Frau nach Mestre umgezogen sind.

"Du weißt, wie das ist", sagt er ihr am Telefon. "Sie wollte nach Mestre ... unsere Tochter wohnt hier ... und dann sind da noch die Enkelkinder ... und auch das Einkaufen ist für meine Frau viel einfacher."

Und das gesamte Buch, das in kurze, beschreibende Kapitel über Orte oder Situationen in der Stadt unterteilt ist, ist durchdrungen von diesem kritischen Geist gegenüber den Veränderungen und Wunden, die die Stadt angesichts einer im Wesentlichen wehrlosen Bevölkerung erleidet, und gleichzeitig von der Beteiligung und dem Wunsch, Widerstand zu leisten und sich nicht einem Schicksal der städtischen Verödung und der Geißel des Klimawandels zu ergeben, das nach Ansicht der deutsch-venezianischen Autorin bereits festgeschrieben zu sein scheint.«

Es ist ein kleines Wunder, dass diese Rezension erschienen ist. Genau wie es ein kleines Wunder ist, dass mein Buch überhaupt in Italien erscheinen konnte. Enrico Tantucci hat es in seiner Besprechung sehr diplomatisch ausgedrückt, als er mich als "Bewohnerin, die oft polemisch gegenüber dem "Establishment" ist, das die Stadt regiert und kontrolliert"  bezeichnete. Denn genau das war das Problem, als es darum ging, einen italienischen Verlag für mein Buch zu finden. 

Es gibt einen sehr schönen Artikel von Tiziano Scarpa, dem venezianischen Schriftsteller, der den deutschen Lesern vielleicht durch sein Buch "Venedig ist ein Fisch" (Öffnet in neuem Fenster)bekannt ist. Tiziano Scarpa hat in der Zeitung Domani seinen  Wutanfall zu Papier gebracht (Öffnet in neuem Fenster), den er im Fenice-Theater erlitt, wohlerzogenerweise aber unterdrückte, als er im Februar mit mindestens der Hälfte des intellektuellen und kreativen Italien das Jubiläum des venezianischen Verlages Marsilio feierte. Da fühlte sich der Forza-Italia-Politiker und Venezianer Renato Brunetta, der jetzt unter Draghi Minister für öffentliche Verwaltung ist, dazu berufen, sich dafür zu rühmen, dass die Regierung Draghi  Venedig Milliarden aus dem europäischen Aufbauplan NextGenerationEU zur Verfügung stelle. Nicht zufällig hat Brunetta zusammen mit dem Lega-Politiker Zaia zusammen die ominöse Stiftung "Venedig - Welthauptstadt der Nachhaltigkeit" (Öffnet in neuem Fenster)gegründet, was ungefähr so glaubwürdig ist wie Putin und Lukaschenko als Vorstand einer Vereinigung der Pazifisten. (Zur Nachhaltigkeit: In dem Augenblick, in dem ich diese Zeilen schreibe, fahren so viele Wassertaxis durch unseren Kanal, dass ich gerade die Fenster schließen musste, weil mich die Dieselabgase erstickten.)

Dieses intellektuelle und kreative Italien regte sich nach der Veranstaltung in der Fenice vor allem darüber auf, dass das Marsilio-Jubiläum mit Goldonis "Le baruffe" (Öffnet in neuem Fenster)gefeiert werden musste, was ungefähr so originell ist, wie Mozarts Zauberflöte in Salzburg. Es sei ein historischer Abend gewesen, schreibt Tiziano Scarpa resigniert, ein Abend, der wieder einmal vor Augen geführt habe, wie herunterkommen Venedig und das Veneto sei: gesunken auf das Niveau von Nachahmern, Kulturrentnern, die vom kulturellen Erbe der Vergangenheit lebten. Folglich könne auch nicht erstaunen, dass Venedigs Schicksal in Italien weitgehend ignoriert wird, genau wie der Ausverkauf der Stadt, vorangetrieben von seinen Bürgermeistern. 

Natürlich hatte ich mein Venedigbuch auch dem venezianischen Verlag Marsilio angeboten - ohne darauf eine Antwort zu bekommen. Was mich ehrlich gesagt nicht wirklich erstaunt hatte, gehört doch Marsilio (wie es Tiziano Scarpa als Marsilio-Autor auch in dem Artikel erwähnt) zu besagtem Establishment, dem gegenüber ich "polemisch" sei.

Anyway. Am Abend nach der Feier traf ich eine Verlegerin eines kleinen unabhängigen Verlages, in dem ich bereits ein Buch veröffentlicht habe. (Kurz zwei Worte zum italienischen Verlagswesen: Es gibt zwei Giganten, der eine rechtslastig - Berlusconis Mondadori - der andere, Feltrinelli, ähem, sollte dann linkslastig sein. Die teilen sich im Wesentlichen den Markt auf. Übrig bleiben viele kleine Verlage, die um ihr Überleben kämpfen und, was den Vertrieb betrifft, auf die Giganten angewiesen sind.) Die Verlegerin berief sich auf Tiziano Scarpas Protest und verwies auf die Macht des venezianischen Establishments, das ich in meinem Buch ja heftig kritisiert habe, weshalb sie es ja nun leider, leider nicht verlegen könne.

Am meisten habe ich mich danach über mich selbst gewundert. Also darüber, dass mich die Offenheit der Verlegerin so fassungslos gemacht hat. Obwohl sie nur etwas völlig Selbstverständliches ausgesprochen hat. Seit Jahren, ja Jahrzehnten schreibe ich darüber, wie die Medien hier unter der Kontrolle der großen Machtgruppen stehen. Und dennoch glaube ich daran, dass mein kleines Venedig-Buch, in dem nachzulesen ist, wie Venedig von besagten Machtgruppen verhökert wurde, einen Verlag findet? Wie naiv kann man sein? 

Ja, kann man. Aber manchmal ist es auch nicht schlecht, die Hoffnung nicht aufzugeben. Am Ende hat es ja mit einem anderen kleinen Verlag geklappt (Öffnet in neuem Fenster). Okay, mein Venedigbuch wird in Italien weitgehend verschwiegen - aber: Es ist da. 

In diesem Sinne grüßt Sie herzlichst aus Venedig - Ihre Petra Reski. 

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