Liebe Newsletter-Leser, gerade bin ich von einer kleinen Lesetour durch Ermland (Öffnet in neuem Fenster) und Masuren (Öffnet in neuem Fenster) zurückgekehrt, wozu mich die Freunde Masurens (Öffnet in neuem Fenster) mit Unterstützung der Stiftung Borussia (Öffnet in neuem Fenster) eingeladen haben, um an die polnische Ausgabe meines Buches „Ein Land so weit“ (Öffnet in neuem Fenster) zu erinnern: Dank Borussia, einer Stiftung, die das zivilgesellschaftliche Engagement in Polen, Litauen, Russland, der Ukraine und Weißrussland unterstützt, wurde mein Buch 2008 ins Polnische übertragen und unter dem Titel "Daleki Kraj" (Öffnet in neuem Fenster) in Polen veröffentlicht – was ich als besonderen Akt der Völkerverständigung betrachte.
Und ja, es ist ein schönes Gefühl für einen Schriftsteller, wenn man merkt, dass ein Buch nach (wage es kaum zu sagen) 22 Jahren (!) immer noch aktuell ist -
In Allenstein/Olsztyn habe ich in dem wunderbaren Mendelssohn-Haus (Öffnet in neuem Fenster) gelesen, dem von Borussia geretten und restaurierten Ort des Gedenkens (Öffnet in neuem Fenster) an das jüdische Leben in Allenstein, in Sorquitten in der evangelische Kirchen, unter dem berühmten Taufengel:
Und wieder spürte ich, wie ein Buch ein Eigenleben entwickelt: Für viele Leser sowohl in Deutschland als auch in Polen war mein Buch ein Anlass, sich selbst auf Spurensuche zu begeben - nicht nur geographisch, sondern auch emotional. Denn schließlich hat in Ermland und Masuren fast jeder zweite eine Vertriebenen-Geschichte: Im ehemaligen Ostpreußen, aus dem 1945 zwei Millionen Menschen flüchteten, wurden aus Litauen und der Ukraine vertriebene Polen angesiedelt. Was gerade jetzt, wo in Polen Millionen geflüchtete Ukrainer ankommen, wieder eine große Rolle spielt.
Und wieder bin ich an die Orte gepilgert, die ich jedes Mal besuche: Ich habe die Wolfsschanze (Öffnet in neuem Fenster) besucht, das ehemalige Führerhauptquartier im Wald bei Rastenburg, in dem das misslungene Attentat auf Hitler stattfand - das jetzt glücklicherweise modernisiert wurde (gepflasterte Wegee, lesbare Hinweistafeln und gute Audio-Guides) und das für meinen Geschmack auch noch etwas mehr von der "Militaria" befreit werden könnte: weniger Minen und Patronen als Schlüsselanhänger, weniger Fraktur und Panzerpappkameraden, weil das Gelände auch so schon gespenstig genug ist. (Die Bunker wurden übrigens nicht von den Russen, sondern von den Nazis gesprengt, als die Russen heranrückten.)
Nicht weit davon entfernt befindet sich Steinort (Öffnet in neuem Fenster), mit dem ehemaligen Schloss der Lehndorffs.
Ein Gedenkstein erinnert (erst seit 2009!) an Heinrich Graf von Lehndorff, dem letzten Herrn auf Steinort, der zur Bewegung 20. Juli gehörte und nach dem misslungenen Attentat hingerichtet wurde.
Auch hier gab es unzählige Besitzer und Investoren, deren Pläne sich meist nach wenigen Jahren in Luft aufgelöst haben, weshalb das Schloss mehr und mehr verfiel. Jetzt scheint zumindest ein Weg für einen Wiederaufbau von Steinort (Öffnet in neuem Fenster) gefunden worden zu sein - um das Schloss zu einem Zentrum der Verständigung und Zusammenarbeit im Osten umzubauen.
Im letzten Jahrzehnt wurde das verträumte Ermland und Masuren in die Gegenwart katapultiert: Ein Autobahnnetz hat Schneisen in das Gesicht der Landschaft geschnitten, Neubausiedlungen belagern die einstigen Dörfer (in Reussen, dem Dorf aus dem meine Familie stammt, hat sich dagegen bereits eine Bürgerinitative gebildet), an die Ufer stiller Seen wurden Hotelanlagen gebaut.
An der Altstadt von Danzig kann man sehen, wie die Touristifizierung der Welt unaufhaltsam voranschreitet: Danzigs Altstadt ist spektakulär schön,
aber ihr Schicksal unterscheidet sich nicht von dem Venedigs: Danzigs Altstadt hat sich in eine einzige Fress- und Feiermeile verwandelt - wo man Pizza und Pasta und Big Macs isst und Aperol Spritz trinkt, wie in Amsterdam, Barcelona oder Florenz auch. Kein einziger Laden des täglichen Bedarfs, kein normales Leben, nur Feierwut und Bars, Restaurants, Hotels. Schade eigentlich.
Meanwhile in Venice: "Venedig will Eintrittsgeld von Touristen verlangen" (Öffnet in neuem Fenster) (Spiegel), "Venedig verlangt ab 2023 Eintrittskarten" (Öffnet in neuem Fenster) (ZDF), "Venedig sagt dem Massentourismus den Kampf an" (Öffnet in neuem Fenster) (Kurier). Wenn ich solche Überschriften lese, ist es mir mal wieder peinlich, Journalistin zu sein.
Im Wesentlichen hat sich an den (alten!) Plänen mit dem "Eintrittsgeld" nichts geändert, nachzulesen hier (Öffnet in neuem Fenster). Ich sage nur: 33 Millionen Touristen besuchen Venedig jährlich (Zahl von 2019, im Pandemiesommer 2021 waren es bereits wieder 21 Millionen, dieses Jahr werden wir uns den 33 Millionen wieder annähern, wenn die Zahl nicht sogar überstiegen wird). Davon sind 22 Millionen Tagestouristen, die nichts anderes als Müll hinterlassen. (Sorry an dieser Stelle an diejenigen, die nach einem Drei-Gänge-Menü die Accademia und die Ca'Rezzonica besuchen und noch Zeit für einen Besuch in einer Glasbläserei/Spitzenklöpplerei finden.)
Wie immer dreht sich alles um das ominöse "Verstreichen der Touristenströme" - die sich aber nicht verstreichen lassen, sondern Venedig verstopfen, weshalb es schon seit Jahren (spätestens seit 2015) intelligente Pläne (Öffnet in neuem Fenster) dafür gibt, den Besuch in Venedig zu beschränken. Jetzt soll der Besuch ab 2023 online gebucht und bezahlt werden (zwischen drei und zehn Euro) - aber glauben Sie ernsthaft, dass jemand auf den Besuch Venedigs an Ostersonntag verzichtet, weil er dann zehn Euro kostet? Oder dass jemand wieder reumütig nach Jesolo zurückkehrt, weil er vergessen hat, das Ticket für den Tagesbesuch zu buchen, der jetzt, weil last minute, zehn statt drei Euro kostet? Oder dass jemand es nicht wagt, nach Venedig zu kommen ohne das Eintrittsgeld zu bezahlen, weil er befürchten muss, den "fünfzehn bis zwanzig" (!) unerschrockenen Gemeindepolizisten in die Hände zu fallen, einem furchtlosen Kontrollkommando, dessen Aufgabe darin bestehen wird, 33 Millionen Touristen in Venedig, auf Murano, Burano, Lido und Sant'Erasmo zu überprüfen?
Aber davon, eine maximale Besucherzahl festzulegen, wagt niemand zu sprechen: Venedig hat etwas weniger als 50 000 Einwohner, da wäre es vielleicht keine schlechte Idee, die maximale Besucherzahl ebenfalls auf 50 000 täglich festzulegen, um zu verhindern, dass Venedig, so wie es geschieht, von 80 oder 130 000 Tagestouristen niedergerannt wird?
Worüber nur die venezianische Presse berichtete, ist der nachgerade revolutionäre Beschluss, den das italienische Parlament zu Gunsten Venedigs gefällt hat: Die Stadt Venedig hat als erste Stadt Italiens das Privileg erhalten, darüber zu wachen, wie viele Wohnungen in Venedig wie lange als Airbnb vermietet werden können - auf jeden Fall nicht länger als 120 Tage, vier Monate im Jahr.
In Venedig kommen auf die verbliebenen 50 000 Einwohner mehr als 80 000 Touristenbetten, mehr als 8000 Wohnungen werden als Airbnb vermietet (und das sind nur die offiziellen Zahlen, an Ostern wurde bekannt, dass 20 000 Betten in Venedig schwarz vermietet wurden). Kurz: Houston, wir haben ein Problem.
Die Immobilienbesitzer, vertreten durch den Interessenverband "Confedilizia (Öffnet in neuem Fenster)" fühlen sich - natürlich - in ihrer Freiheit beraubt. Und ich erinnere an den Präfekten von Venedig, der in seiner Brandrede vor dem Umweltausschuss des italienischen Parlaments den Artikel 41 der Verfassung zitierte, der vorsieht, dass Privateigentum auch einem gesellschaftlichen Nutzen unterworfen sein müsse.
In diesem Sinne grüßt Sie Petra Reski, die sich über die wachsende Zahl der Ehrenvenezianer freut, die meine Arbeit unterstützen.
Wenn Ihnen mein Newsletter gefällt, freue ich mich sehr über Weiterempfehlungen (Öffnet in neuem Fenster) - und natürlich über neue Ehrenvenezianer!
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