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Endlich wieder Wasser. Fast.

In diesem Moment sitze ich im Zug, von Zofingen in der Schweiz, der letzten Station meiner Lesetour (Öffnet in neuem Fenster) zurück nach Venedig - und ich muss sagen: Ich bin noch ganz überwältigt von dem Interesse für mein Buch. Egal, ob es sich um bis auf den letzten Platz besetzte Literaturhäuser, Buchhandlungen, Volkshochschulen, Kirchen (!) oder Literaturfestivals handelte, überall spürte

ich eine große Liebe für Italien. Die Buchhandlung Pustet (Öffnet in neuem Fenster) in Freising, das Literaturhaus Dortmund (Öffnet in neuem Fenster), die VHS Blaubeuren (Öffnet in neuem Fenster), die Deutsch-Italienische Gesellschaft (Öffnet in neuem Fenster) in Wetzlar, das Literaturfestival “Friedberg liest” (Öffnet in neuem Fenster) und nicht zuletzt die Literaturtage Zofingen (Öffnet in neuem Fenster): grazie, grazie, grazie!

Das Schöne an Lesereisen ist übrigens auch, dass man in Orte gelangt, die man ohne die Lesereise niemals kennengelernt hätte. Ich sage nur: unglaubliches Wetzlar! Wunderschönes Zofingen! Grandioses Bad Nauheim! Orte, die mit ihren Fachwerkhäusern aussehen, wie Grimms Märchen entsprungen. In Zofingen musste ich diese unfassbare Linde fotografieren - und in meiner Heimatstadt Kamen habe ich es zum ersten Mal gewagt, mich näher an den Förderturm der Zeche Monopol heranzuwagen - der Zeche, auf der mein Vater starb.

Und natürlich war ich auch auf der Buchmesse. Eigentlich sogar ziemlich lange, wie auch anders, wenn Italien Gastland ist. Den italienischen Pavillon fand ich pathetisch (Öffnet in neuem Fenster) und rückwärtsgewandt. Wie auch anders zu erwarten von einer rechten, rückwärtsgewandten Regierung. Das deutsche Feuilleton warf sich wie ein Mann vor Antonio Scurati und Roberto Saviano, die angeblich politisch verfolgten, weil zu der offiziellen Regierungsdelegation nicht eingeladenen Schriftsteller. Wobei es mir allerdings schleierhaft blieb, wie man sich erfolgreich als verfolgter Schriftsteller darstellen kann, obwohl man in den größten Verlagen des Landes (Mondadori, Feltrinelli, Bompiani) veröffentlicht, mit praktisch sämtlichen Literaturpreisen des Establishments überhäuft wurde, eine Kolumne im Corriere schreibt und zudem noch eine Sendereihe zur besten Sendezeit im öffentlichen Fernsehen betreibt.

Der Fatto Quotidiano hat sich darüber etwas lustig gemacht (Öffnet in neuem Fenster) (“welche Vorstellung müssen die Besucher der wichtigsten Buchmesse Europas von unserem Land haben, wenn seit Tagen illustre italienische Schriftstellerinnen und Schriftsteller Szenarien der Militärdiktatur beschreiben und von ihrer Flucht vor Bedrohung und Verfolgung erzählen? Eine leichte Übertreibung, um Mark Twain angesichts der Nachricht von seinem eigenen Tode (Öffnet in neuem Fenster)zu zitieren, trotz aller berechtigter Kritik an der Regierung. Aber kurz gesagt, die Berichte aus Frankfurt ähneln Briefen aus der Gefangenschaft von Ventotene (Öffnet in neuem Fenster)”). Und ja, ich fand es auch ungerecht gegenüber den 90 Autoren der offiziellen Delegation, die ja auf diese Weise indirekt zu Sympathisanten der rechten Regierung erklärt wurden - obwohl das auf sie keinesfalls zutrifft, wie man etwa bei einem kritischen Autor wie Carlo Rovelli (Öffnet in neuem Fenster) sehen kann, der unter anderem vom Verteidigungsminister verklagt wurde. Ja, es handelte sich um einen Sturm im Cocktailglas, (Öffnet in neuem Fenster) wie der Autor Thomas Schmid treffend schreibt.

Als ich heute in den Nachrichten von dem Sieg der Regierungspartei “Georgischer Traum” (Öffnet in neuem Fenster)hörte, dachte ich an meine Begegnung mit Nastasia Arabul (Öffnet in neuem Fenster)i letzte Woche in Hamburg, der Journalistin, die für Radio Free Europe arbeitet - und die von der ZEIT-Bucerius-Stiftung mit dem Free Media Award (Öffnet in neuem Fenster) ausgezeichnet wurde. Nastasia berichtete darüber, wie sich das kürzlich beschlossene “Ausländische Agenten-Gesetz” (Öffnet in neuem Fenster)sich auf ihre Arbeit auswirkt - und ich erinnerte mich daran, wie Georgien ein Mal in mein Blickfeld gerückt ist: Es war, als wir uns wegen der von den deutschen Gerichten erwirkten Schwärzungen meines Buches “Mafia.Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern” an den Europäischen Gerichtshof (Öffnet in neuem Fenster)gewendet haben. Der zwar das Urteil der deutschen Richter bestätigte, aber auch das abweichende Votum einer Richterin zum Ausdruck brachte. Es war die georgische Richterin Nona Tsotsoria, die die von mir zitierten internen Berichte durchaus als offizielle Quellen betrachtete und diese Abweichung von der gängigen Auffassung der Rechtsprechung als “zutiefst beunruhigend”, ja als “Verstoß gegen Artikel 10 der Menschenrechtskonvention”, und damit gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung bezeichnete: “Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein.”

Ich kann nur vermuten, dass die georgische Richterin zu diesem abweichenden Urteil gekommen ist, weil sie, anders als ihre aus Deutschland, der Schweiz, Frankreich, Norwegen, Irland und Lettland stammenden Kollegen, möglicherweise aufgrund der Erfahrung mit den mafiösen Strukturen in ihrem eigenen Land eine größere Sensibilität für freie Berichterstattung über die Mafia entwickelt hat. Und die jetzige politische Entwicklung in Georgien scheint ihr Recht zu geben.

Und hier noch drei Buchempfehlungen: In Zofingen traf ich auf Francesca Maria Benvenuto, eine junge, in Paris tätige italienische Anwältin, die den Roman “Dieses Meer, dieses unerbittlich Meer” (Öffnet in neuem Fenster)geschrieben hat - der von einem Jungen handelt, der im Jugendgefängnis auf der Insel Nisida vor Neapel sitzt, weil er einen Jungen, der ihn umbringen sollte, erschossen hat. Mich hat dieser Roman besonders interessiert, weil ich auf Nisida (Öffnet in neuem Fenster) war und für dort eine Reportage über dieses Jugendgefängnis für Mare recherchiert habe (Öffnet in neuem Fenster).

Davide Coppo hat den Roman “Der Morgen gehört uns” (Öffnet in neuem Fenster)geschrieben, in dem er seine jugendliche Faszination für Neofaschisten beschreibt. Praktisch das Buch der Stunde.

Im letzten Newsletter habe ich das Buch über die Xylella und die vertrockneten Olivenbäume zitiert, verfasst wurde es von Brigitta Flau und Piero Tateo, einem deutsch-italienischen, in Apulien lebenden Paar. Wer es lesen will, kann es sich unter diesem Link (Öffnet in neuem Fenster) auch kostenlos herunterladen.

In wenigen Stunden werde ich in Venedig ankommen - heute hatte ich im (Schweizer) Zug von Bern nach Mailand übrigens ein Erlebnis, das mich an meine allererste Italienreise erinnerte: Ich saß im Speisewagen an einem mit weißen Tischtüchern gedeckten Tisch - wie im Jahr 1989, als ich zum ersten Mal im Zug nach Italien fuhr!

Ich konnte es kaum fassen. Auch, dass alle Züge superpünktlich waren.

In Venedig, dieser kleinen Stadt im Wasser, hat man sich in der Zwischenzeit nicht lumpen lassen und mal wieder ein paar tolle Ideen ausgebrütet: Etwa, in Marghera eine Nuklearanlage zu bauen. Die Idee dazu hatte Renato Brunetta, von der Stiftung "Venedig, Welthauptstadt der Nachhaltigkeit", gegründet von dem venezianischen Bürgermeister-Unternehmer Luigi Brugnaro, dem Ex-Forza-Italia-Politiker Renato Brunetta und dem Lega-Politiker Luca Zaia - und damit ungefähr so glaubwürdig wie Putin, Lukaschenko und Erdogan, die eine Vereinigung der Pazifisten gründen.

Zur Stiftung gehören vor allem private Unternehmen wie Erdgasnetzbetreiber, Mineralölkonzerne, Energiekonzerne und amerikanische Unternehmensberatungsgruppen, Amazon, die Autobahnbetreiber "Autostrade per l'Italia", selbstverständlich auch das bürgermeistereigene Zeitarbeitunternehmen Umana und viele andere Umweltfreunde, die an den Milliarden des EU-Aufbaufonds interessiert sind. Und da ist die Tatsache, dass sich die Italiener vor Jahren per Referendum gegen die Nuklearenergie ausgesprochen haben, nur eine quantité négligeable.

Sie sehen: Es wird hier nie langweilig! Auf jeden Fall freue ich mich nach zwei Wochen on the road vor allem auf mein Lieblingsgericht, Spaghetti mit Tomatensauce und Basilikum - und darauf, wie alle Venezianer auf dem ponte della libertà den Stoßseufzer “Endlich wieder Wasser” auszustoßen!

In diesem Sinne grüßt Sie, von kurz vor Venedig, Ihre Petra Reski

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