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Pizza Famiglia

Jugend von heute/The Apprentice/ Sanfte Radikalität/ Huhn an Riesling

Neulich klingelt es beherzt an unserer Tür, gleich drei Mal und ich schlurfe zur Sprechanlage. Es ist ein freundlicher Pizzabote, der mir erklärt, dass er hier mit der gewünschten Pizza Famiglia steht. In nostra Famiglia kommt als Besteller nur il figlio in Betracht, aber der ist gar nicht zuhause. Seine Zimmertür steht offen, ausgeschwärmt. Blick auf die Uhr ergibt vier Uhr achtzehn am Morgen. Ich lehne dankend ab, lege mich fluchend wieder hin und denke an die Geschichten über solche Kampagnen aus dem Netz, sehe mich schon als angehenden Drachen-Lord.

Dabei war, wie mir il figlio am nächsten Tag wortreich erklärte, alles ganz anders gewesen: Ihm war nach einem herzhaften Frühstück oder späten Abendessen, nur das Getränk fehlte noch. Und da, auf dem Weg zum Späti und seiner Cola sei ausgerechnet der Lieferdienst eingetroffen. Ich war so mittel amüsiert, denn trotz Ferien sollte er um diese Zeit nicht draußen herumturnen, auch wenn er im kommenden Jahr volljährig wird.

Es gibt, dachte ich dann, so Probleme, die ich früher nicht hatte. Man redet zwar viel über die Jugend - schon bei Sokrates ein beliebtes Thema – aber nicht so oft mit ihnen. In unendlichen Artikeln wird die Gen XYZ analysiert und karikiert, aber die dortigen flotten Schlüsse passen nicht zu den jungen Leuten, die bei uns ein und aus gehen. Die sind eher schüchtern, höflich und versuchen sich einen Reim auf die Zukunft zu machen. Ich vermute, sie scheint ihnen arg kompliziert.

Der letzte Elternabend der Berufsschule war arg ernüchternd, es ging die ganze Zeit um Disziplin und Drohungen. Nötig wäre eine zeitgemäße Ansprache: Das Land wird zu schnell zu alt, es kommt auf jeden von euch an. Toll, dass ihr da seid. Wir sind gespannt, wann und wie ihr übernehmt.

Schon in meiner Jugend war die allseitige Entmutigung der Refrain der meisten Erwachsenen. Als ich mein Berufsziel Journalist aufsagte, fanden das so gut wie alle aussichtslos. Damals gab es zwei Fernsehsender, paar Zeitungen und kein Internet.

So wie wir uns heute nicht vorstellen können, was der Nachwuchs in zehn Jahren so macht.

Wenn ich, wie alle Erziehungsberechtigten, dann und wann darum bitte, das Smartphone zur Seite zu legen, kommen mir die Stories wie jene von Paul McCartney in den Sinn: Da latschte der Vater auch in die Sessions mit John Lennon und fragte was die Matheaufgaben machen und jetzt ist auch mal gut mit den Instrumenten. Bei Kafka war es so und bei Steven Spielberg auch. Es geht mir nicht darum, in jedem Youngster ein Genie zu vermuten, sondern um die Einsicht in die anstehenden Veränderungen. Unsere Tipps für eine gute Karriere sind mit arger Vorsicht zu genießen. Stattdessen lohnt es sich, gut zuzuhören: Ich wusste früh, was ein Talahon ist.

Wir leben in vergehender Zeit schwimmend und nur sehr wenige Prognosen trafen wirklich ein. Die Person, die eines Tages den KanzlerInnen-Amtseid schwören wird, geht heute noch zur Schule, macht tagträumend Hausaufgaben und verfolgt dabei Trump gegen Harris. Leise ahnend, dass das alles nicht so bleiben sollte.

Auch wer Donald Trump nicht mehr erträgt, sollte sich den Kinofilm The Apprentice ansehen. Von der biografischen Herangehensweise her erinnert der Film an die Serie Becoming Karl Lagerfeld: Zu Beginn erkennt man den Protagonisten nicht, weil er noch nicht zu der Figur geworden ist, die er erst erfinden muss. Wir folgen dem unsicheren, überforderten Donald Trump, der in der Immobilienfirma des Vaters arbeitet. Dann gerät er in die Fänge des rechtsanarchistischen Anwalts Roy Cohn und erhält Lektionen in urbaner Grausamkeit, Korruption und Lüge.

Ein Problem des Drehbuchs ergibt sich aus der Natur des Sujets: Irgendwann ist Trump die Karikatur seiner selbst, aber er macht einfach immer weiter. Die Geschichte findet kein Ende, weil alles so bodenlos ist. Vollbesetztes Kino, an einem Mittwoch, viele ratlose Gesichter.

https://www.youtube.com/watch?v=0tXEN0WNJUg (Öffnet in neuem Fenster)

Lange hat Jagoda Marinić daran gearbeitet, in Heidelberg das Interkulturelle Zentrum aufzubauen, eines der ersten dieser Art.

Heute kann man ihr als Autorin und Moderatorin auf allen Bühnen und Foren des Landes nicht entgehen. Besonders wichtig war ihr Artikel in der New York Times, in dem sie schon im Sommer 2022 auf den seltsamen Delphin-Stil des Kanzlers hinwies: Erst ankündigen, dann abtauchen!

https://www.nytimes.com/2022/06/14/opinion/germany-scholz-russia-ukraine.html (Öffnet in neuem Fenster)

Heute bestätigen Sachbücher wie Christian Schweppes Zeiten ohne Wende ihre damalige Diagnose. (In wesentlichen Teilen jedenfalls, es lag aber nicht am Kanzler allein.)

In ihrem neuen Sachbuch geht es um die Lehren, die sie aus ihrer Zeit in Heidelberg gewonnen hat. Es liest sich wie eine essayistische Meditation über Zukunft und Vergangenheit, Gesellschaft und Macht. Darin ist der Gedanke wichtig, sich nicht von den harten Fronten, der Hetze in einer Debatte definieren zu lassen, sondern die Wucht der Attacken zu nutzen, um sich aus der Dialektik zu befreien – wie in einer asiatischen Kampftechnik.

Frank Schirrmacher riet: Man darf sich nicht mit den Augen seiner Feinde sehen – und Marinić erklärt, wie das gehen kann. So entsteht politische Zuversicht ohne Kitsch.

Ich bin ein toleranter und weltoffener Mensch, ausser in Weinfragen. Da ertrage ich kaum etwas anderes als Rotwein aus Bordeaux. Neulich besuchte ich sogar einen Dokumentarfilm über die Weinbauern von Rioja, um mich zu bilden, aber warm wurde ich damit nicht. Ich fand’s niedlich. Den Vorsatz, einmal einen Rioja zu probieren, habe ich bald wieder vergessen.

Ganz lässt es sich natürlich nicht vermeiden, mal ein ganz anderes Anbaugebiet zu kosten. Später, diskret, teile ich dann meiner Frau meine Meinung mit und meist lautet sie: Äh bäh!

Im Bordelais ist man wenig zu Späßen aufgelegt. Einmal gestand ich in jugendlichem Leichtsinn einem der Freunde meines Großvaters, dass ich dort in Deutschland manchmal einen Bergerac kaufe. (Bergerac liegt 70 km von Bordeaux entfernt.)Es folgte eine lange Stille. Er schaute wie ein nachsichtiger Dorfpfarrer dem man eröffnet, man gehe Sonntags auch mal zu den Hare Krishna, sei auch nice. Dann meinte der alte Mann: Warum nicht? Sie machen ja jetzt auch Wein in Chile oder Australien.

Dennoch, weil es ein Hinweis meines Freundes Valentin war, geben wir heute einmal dem Riesling eine Chance. Noch dazu -ich mute den Gespenstern meiner Ahnen viel zu – in einer englischen Zeitung (Stichwort Jeanne dArc)!

https://www.theguardian.com/food/2024/oct/23/how-to-make-coq-au-riesling-recipe-felicity-cloake (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch

ihr

Nils Minkmar

PS: Ab und zu steigen Menschen aus einer Mitgliedschaft hier aus, weil die Zeiten hart und ihre Konten leer sind. Dann ist es gut, wenn wieder jemand einspringt, der das Geld dafür geben kann und möchte, Robin Hood Prinzip.

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