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Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg

Die Aktualität der Romantik/ No Fear/ HME/Imagine/ Maités Coq au Vin

Mitten in Frankfurt wartet dieser verborgene Garten, der vor der grauen Kulisse des hessischen Novembers besonders  strahlt. Er liegt zwischen Goethe-Haus und Romantikmuseum, das ich auch dieses Jahr wieder mit den deutsch-französischen Studierenden der Uni Mainz besuchte. 

Die Epoche der Romantik ist wie eine große Kreuzung mitten im Wald der Geschichte. Von hier aus geht es in alle deutschen Richtungen: Die Sorge um die Natur kann man hier studieren, Nationalismus und Antisemitismus blitzen auf  und die Legende von Deutschland als dem Volk der Dichter und Denker entsteht. Richtig verständlich wird das alles nur mit dem Blick nach Frankreich, wo die Revolution und ihre blutigen und befreienden Folgen Warnung und Inspiration zugleich war. Alles verändern, ohne die Gesellschaft umzustürzen, ohne ein neues politisches System zu etablieren, das ist das engagierte Vermeidungsprogramm der romantischen Clique. In ihrer Welt in diesem Museum umherzustreifen, ist unweigerlich inspirierend. Begriffe wie die progressive Universalpoesie, die unendliche Sehnsucht bezaubern auch heute noch und das Projekt einer romantischen Zeitschrift, die nur aus Fragmenten besteht, möchte man am liebsten direkt wieder auflegen.  

Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur hat sich seit damals allerdings glatt umgekehrt. Mussten Wanderer des frühen neunzehnten Jahrhunderts im tiefen Wald wegen vieler Gefahren um ihr Leben bangen, so hilft jetzt nur noch eine Notbremse, um das Klima vor dem Umkippen zu bewahren. Der britische Autor George Monbiot (Öffnet in neuem Fenster) fordert sogar eine rasche und entschlossene  Rückkehr zur romantischen Natur aus Mooren und Urwäldern, um  die europäische Landschaft in den Dienst der Klimagesundung zu stellen. Die finstren Wälder mit Wölfen und Luchsen prägten die lustgruselnden Märchen der Romantik und könnten wieder die Zukunft sein. Insofern wundert es mich, dass sich nicht alle bürgerlichen, christdemokratischen oder gaullistischen  politischen Kräfte in Europa an die Spitze der Klimabewegung stellen – was könnte konservativer sein als solch eine Rückbesinnung auf die Landschaften zur Zeit von Caspar David Friedrich? Es wäre jedenfalls vielversprechender als der Kampf gegen Cancel Culture und Wokeismus, der nun in solchen Parteien als ideologischer Kern herhalten muss. 

Einstweilen ist es unfair, dass Klimaschützer mit härteren Strafen zu rechnen haben als jene, die das Klima ausbeuten. Und auch wenn ich persönlich Klebeaktionen und Lebensmittelattacken gegen Kunstwerke albern finde, richten sie doch den Fokus auf ein berechtigtes Anliegen. 

Mein ganzes Erwachsenenleben habe ich mir ein stärkeres Engagement von Intellektuellen und KünstlerInnen in Deutschland gewünscht, aber während des Kampfes gegen Corona und der Solidarität mit der Ukraine war ich an manchen Tagen  nicht mehr so sicher. Irgendwas schien da in der Merkelzeit kulturell und intellektuell eingeschlafen oder verwahrlost zu sein. Die Rettung waren dann häufig Personen, die selbst oder deren Eltern nicht aus Deutschland kommen und die heute das Land der Dichter und Denker repräsentieren – etwa der Pianist Igor Levit. Mit seinen Hauskonzerten brachte er die Menschen digital und gratis zusammen, als der Lockdown auf die Stimmung drückte. Und er steht da, wo es hierzulande immer nötig ist, nämlich gegen Rechts. Nun gibt es einen tollen Dokumentarfilm von Regina Schilling über ihn in den Kinos, er trägt den schönen Titel No Fear. 

https://www.youtube.com/watch?v=oLUWa8NQnjk (Öffnet in neuem Fenster)

Seine vielen Bücher gehören nicht zu meinem persönlichen Kanon, ich war nie ein Fan und meistens anderer Meinung, aber dennoch war ich traurig, als die Nachricht vom Tode von Hans Magnus Enzensberger kam. In der einstigen Bundesrepublik gab es dieses kulturelle Dickicht, diese emotionale Trägheit und das Zaudern des Geistes und einige wenige Gestalten haben für Tempo gesorgt, ab und zu mal durchgelüftet. Viele waren es nicht, aber um so dankbarer war man, wenn sich die Anmut und pure Frechheit dieser Minderheit bemerkbar machte. Der Begriff der Avantgarde war positiv besetzt und er passte auch. Sie lösten ein, was sie versprochen haben:  Heute ist Deutschland ein schöneres Land und das ist auch ihm zu verdanken. In diesem alten Film sieht man ihn, vorwitzig und übermütig, wie er bis zuletzt war. 

https://www.youtube.com/watch?v=fLWap3PQ3_U (Öffnet in neuem Fenster)

Manchmal haben die oft kritisierten Algorithmen ihr Gutes. Als ich den Clip von letzter Woche - La vie Varda von Vincent Delerm suchte und mich umsah, wurde ich höflich aber bestimmt zu diesem Stück geleitet. Es trägt denselben Titel wie das heilige Lennon-Lied - für mich immer noch die Hymne einer kommenden universalistischen Revolution – das fand ich schon mal mutig, aber seitdem übe ich mich, den Refrain mitzusingen. Finden aber nur meine Siamkatzen gut. Übrigens finden sich auch in diesem Chanson zahlreiche Motive aus der Romantik: 

https://www.youtube.com/watch?v=aTDeaakMLtM (Öffnet in neuem Fenster)

In den langen Abenden kann man sich etwas mehr Zeit nehmen zum Kochen. Hier ein Klassiker, der leider etwas aus der Mode gekommen ist. Klappt aber auch ohne Jagdgewehr im Hintergrund

https://www.youtube.com/watch?v=19J3raDHI80&list=PLOAYRgaV94rplXZ3kcC-fUG4IVj3pmlC7&index=24 (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

PS: Der  Charakter dieses Newsletters scheint mir darauf zu gründen, dass ich ihn ganz frei gestalten kann. Damit ich dafür auch die Zeit habe, kann, wer es möchte, hier einen kleinen Beitrag dazu leisten (Es werden immer mehr, danke!!!): 

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