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Der ratlose Chef

Twitter nach Musk/Machen Meetings unglücklich?/La vie varda/Tajine de Poulet

Noch in Jahren wird man die Geschichte jener paar Wochen studieren, in denen es Elon Musk gelang, Twitter zu einem Witz zu machen. So hat er jenen Mann entlassen, der für die Erteilung der Zugangskarten verantwortlich war. Folge war, dass niemand mehr ins Gebäude kam, sodass Musk den eben entlassenen Mitarbeiter anrufen musste, damit er zurückkommt und die Sache regelt. Es besteht die Hoffnung, dass die Leute, die dem Musk Geld geliehen haben,  früher oder später auf ein vernünftiges Management drängen werden, denn es geht um gewaltige Beträge. Und andererseits um eine kulturelle Institution. Twitter ist die erste globale Agorà. Der britische Historiker Simon Sebag Montefiore beschrieb es so: 

Twitter is like spending time in the square of a cosmopolitan city where in a corner-cafe, one meets wits who talk books/history,inform you of war & revolution;some become friends;& across the square in dank alleys gangs of masked reptiles attack. The skill is to stay in the cafe

Ich habe nach dem Tod von Frank Schirrmacher intensiver mit  Twitter begonnen. Der manische SMS-Schreiber und Trendaufspürer fehlte mir - (es gab andere Seiten, die mir weißgott nicht fehlten) - und Twitter mit seiner knappen und schnellen Kommunikation war eine konzentrierte Form der aktuellen Weltwahrnehmung. Ich habe darüber nicht nur viele tolle Leute kennen gelernt – nicht unbedingt persönlich, sondern eher als Korrespondenzfreundschaft – und vor allem sehr viel gelernt. Besonders erfreulich sind die zufälligen Entdeckungen und die extreme Spezialisierung, die man auf Twitter erleben kann. Als es Ende Februar so aussah, dass die russische Armee auf Kiew vorrücken würde, entdeckte ich Beiträge von Leuten, die sich mit den Reifen von Militärfahrzeugen auskennen. Sie legten anhand von Drohnenaufnahmen dar, dass diese Kolonnen wegen des miesen Zustands der Reifen nicht bis Kiew kommen werden. In den Talkshows hörte man da noch ganz andere Expertisen.

Nun hat das soziale Netzwerk bekannte asoziale Seiten – bei einigen KollegInnen ist es gut, wenn man sie analog und privat kennt, denn die Twitterpersona ist manchmal verzerrt und  sie wirken unsympathischer, als sie sind. Es wäre dennoch schade, wenn diese Möglichkeit des raschen und kostenlosen Austauschs nun wegen eines irren Chefs ruiniert würde. Aber diese Episode kann auch eine Debatte über die groteske Macht der Superreichen auslösen. Schlimm genug, wenn die wegen einer ideologisch verblendeten Politik der Nichtregulierung selbst für unnütze Weltraumfahrten so irre viel Co2 produzieren dürfen. Aber besonders Medien und digitale Kommunikationsplattformen dürfen nicht einer Person, einem Chef allein unterstehen. Wie es überhaupt an viel zu vielen Stellen in unserer Welt auf den einen Mann, den einen Chef ankommt, obwohl wir es in der Theorie besser wissen.  

Hierarchie ist aber nur ein Problem der Berufswelt. Ein anderes ist ihre Organisation. Ich selbst arbeite selbstständig und in einem tollen Team bei der Süddeutschen.  Aber ich beobachte, dass viele Menschen über öde Rituale im Job klagen, die wenig bringen, aber doch dazugehören. Mal sagt niemand was im Meeting, dann wieder wird man endlos zugetextet. Ihnen dürfte dieser Essay aus der Seele sprechen. 

https://www.theatlantic.com/family/archive/2022/11/why-meetings-are-terrible-happiness/672144/ (Öffnet in neuem Fenster)

Schon seit zwanzig Jahren singt Vincent Delerm seine literarisch und cineastisch inspirierten Chansons. Nun bringt er ein älteres Lied neu heraus: 

https://music.apple.com/de/album/vie-varda-%C3%A0-leurop%C3%A9en-single/1652172165 (Öffnet in neuem Fenster)

 

Es ist ein Lebensprogramm in Chansonform: Statt sich an den Superreichen zu orientieren und sich im Wettbewerb zu verlieren, möge man sich an Agnès Varda ein Vorbild nehmen. Sie war eine geniale Filmemacherin, aber nie super populär, prominent oder reich. Vivre comme Agnès ist das Programm eines Lebens, das sich an der Wahrheit der Empfindungen und der künstlerischen Relevanz orientiert. 

Agnès Varda ist das Gegenteil von Elon Musk. 

https://www.youtube.com/watch?v=hOd6E_0_b9A (Öffnet in neuem Fenster)

Mehr davon hier: 

https://music.vincent-delerm.com (Öffnet in neuem Fenster)

Der erste Schnee fällt, man kann die Klassiker der Adventszeit vorbereiten oder die Küche nutzen wie einen fliegenden Teppich, der uns in sonnigere Zeiten und Länder transportiert. 

https://www.arte.tv/de/videos/108164-004-A/marokko-nehzas-tajine-mit-huehnchen-und-zitrone/ (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch, 

ihr

Nils Minkmar

PS: Ich hatte mit Montaignes Katze nun schon einige Lesungen. Jedes Mal war das Haus voll, der Büchertisch danach leer. Danke. Gerne komme ich auch zu Lesungen in ihrer Stadt, wenn das jemand wünscht und organisiert. Und bald ist Weihnachten, wer ein gutes Buch verschenken möchte und eine Widmung braucht, bitte mailen.

PPS: Der  Charakter dieses Newsletters scheint mir darauf zu gründen, dass ich ihn ganz frei gestalten kann. Damit ich dafür auch die Zeit habe, kann, wer es möchte, hier einen kleinen Beitrag dazu leisten:

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