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Wie weiter ?

Alles anders/Le Grand Clusterfuck/ Vincent Klink

Neulich hatte mein Fahrrad einen Platten am Vorderreifen. Ich bin handwerklich sehr ungeschickt und rollte es zur Werkstatt. In der Wartezeit dort lernte ich von neuen Problemen: Weil sehr viele Fahrradteile in China gefertigt werden und die Schiffe nur dümpeln, gibt es einen Mangel an Rahmen. Lange Wartelisten, Gewinneinbußen und schlechte Laune sind die Folge. Ich fand unseren globalisierten Alltag plötzlich pervers: Deutschland, ein Industrieland mit Top Metallverarbeitung, stellt nicht genug Fahrradrahmen her? Es ging hier ja nicht um billige Dinger für die Massen, viele Kunden jucken Tausend Euro mehr oder weniger gar nicht. Einiges muss anders werden. Ich dachte an Hillary Clinton: Never waste a good crisis. 

Wer sagt das bei uns?

Es muss belastend sein, in diesen Tagen und Nächten politische Verantwortung zu tragen. Die Bundestagswahl fand ja in einer anderen Ära statt, da war Putin vermeintlich noch Partner, die Energie sicher und das Wachstum stabil. Alles war wie immer. Deutschland war Moderator in Europa, irgendwie dabei, irgendwie draußen. Hauptsache, der Spaß wird nicht zu teuer. 

Heute müssen fast alle Positionen korrigiert werden. Die BürgerInnen und Bürger zu erfreuen durch eine ökologisch sympathische, sozial großzügige Prosperität, durch Gipfel und Sportereignisse – das kann man erst mal vergessen. Einstweilen geht es darum, dass es nicht viel schlimmer kommt, obwohl es sicher schlimmer kommt. Hier schleicht sich der alte Filmtitel von Alexander Kluge in den Sinn (wie bei Luìs Buñuel sind seine Titel oft einprägsamer als die Handlungen der Filme): In Gefahr und größer Not bringt der Mittelweg den Tod

Staat und Zivilgesellschaft müssen sich Umbauen wie im New Deal, um der neuen Zeit gerecht zu werden. Dass es immer noch riesige Einkaufs– und Logistikzentren gibt, auf deren Dächern keine Fotovoltaikanlagen stehen, ist ein Skandal. Alle Ressorts müssen nun den Ausstieg aus fossilen Energieträgern regulieren und fördern. Ganze Sektoren in Wirtschaft und Gesellschaft leiden unter Menschenmangel, werben weltweit Kräfte an, aber die Innenbehörden schieben unbescholtene MigrantInnen ab, die längst Nachbarn und Freunde sind.  Die gesamte, schwer rassistisch anmutende europäische Migrationsabwehrpolitik ist aus der Zeit gefallen und hält Menschen ab, die wir dringend brauchen. Und die Zivilgesellschaft, die Intellektuellen und die Wissenschaft sollen entwerfen, wie ein gutes Leben ohne diese irre Globalisierung und den Wachstumskult geht.  Man kommt aus der Klemme in die wir bezüglich Russland und China geraten sind, nur mit Mut und Fortschritt heraus. Der Ausgang ist vorn. 

In diesem Sinne gefiel mir die Rede des SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil auf der Tiergartenkonferenz:

https://www.youtube.com/watch?v=61HOB-2akHM&t=4s (Öffnet in neuem Fenster)

Das Wahlergebnis in Frankreich, über das vorige Woche an dieser Stelle nur spekuliert werden konnte, lässt sich mit dem schönen amerikanischen Begriff des Clusterfuck zusammenfassen: maximaler Schlamassel.

Macron müsste sich als politischer Houdini oder Arsène Lupin entpuppen, um aus dieser Klemme heraus und  zu exekutiver Gestaltungsmacht zurückzufinden. Er wirkt aber müde und unsicher, hat die Wochen des Wahlkampfs für die Parlamentsmehrheit verstreichen lassen, ohne für ein Projekt zu werben. Weil er keins mehr hat? Denkbar, dass einige von les Républicains ins Kabinett berufen werden, dazu noch andere prominente Menschen aus Wirtschaft, Sport und Kultur, damit man eine Regierung der Öffnung und des Konsenses inszenieren kann, aber das bringt keine stabile Mehrheit. Hier und da wird dann mit dem Notverordnungsparagrafen 49.3 durchregiert, so kommt Macron etwa ein Jahr über die Runden. Dann wird er - das kann er ganz alleine- die Assemblée Nationale auflösen. Aber spätestens dann sollte er sich überlegen, was nun noch kommen soll. Wie weiter? Et maintenant? 

https://www.youtube.com/watch?v=TW6QiI7hHGA (Öffnet in neuem Fenster)

Mehr über Frankreich besprach ich im Podcast "Freiheit de Luxe" mit Jagoda Jagoda Marinić (Öffnet in neuem Fenster) 

https://www.hr2.de/podcasts/freiheit_deluxe/nils-minkmar--katzen-regieren-den-planeten,podcast-episode-104274.html (Öffnet in neuem Fenster)

Einer meiner liebsten Deutschen ist der Sternekoch und Schriftsteller Vincent Klink. Eine Reise auf die "Wielandshöhe" ist immer eine Inspiration, auch weil man in seinem Stuttgarter Restaurant hoch über dem sympathischen Teil von Europa zu thronen scheint, so als könne man von dort aus jederzeit bis Neapel oder zum Bodensee segelfliegen. Unvergesslich mein erster Besuch bei ihm, als ich glücklich zu Abend aß und der Meister vor meinem Tisch stehen blieb, und lauthals der interessierten Gesellschafterklärte, ich sei "ein Schreiber" und die würden nix verdienen, hätten oft "nicht einmal ein Fahrrad", ja darum bekäme ich bei ihm den "Schreiberrabatt!" 

 Um so mehr habe ich mich gefreut, im Schaufenster einer Buchhandlung sein neues Buch zu entdecken, perfekte Sommerlektüre, die eine Reise nach Venedig ersetzt, dort ist es gerade voll und heiß.

Und als Hommage hier noch einmal sein klassisches Huhnrezept:

https://www.wielandshoehe.de/recipes/huhn-im-topf/ (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

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