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Unter der Sonne der Freiheit

Die Welt vor den Midterms/ Der Prix Goncourt/Gans nach Vinzent Klink/

Das Wahlergebnis in Brasilien ist nur an der Oberfläche beruhigend. Fast die Hälfte haben für einen rechtsradikalen Desperado gestimmt, der nicht nur am frühen Tod Tausender Landsleute schuld ist, sondern auch die klimatische Zukunft des Planeten bedroht. Aber sie sind keineswegs allein. In Israel zieht eine rechte Regierung ein, die den Feind nicht mehr nur außen, sondern zunehmend auch im Inneren sucht, bei den israelischen Bürgern aus arabischen Familien. In Italien und Frankreich ist die extreme Rechte viel zu stark. In den USA haben sich die einst biederen Republikaner zu einer von Fakten und Moral losgelösten, destruktiven Sekte verwandelt, die selbst den tätlichen Angriff auf den Mann von Nancy Pelosi nicht verurteilen.  Sie schließen Gewalt als Mittel zur politischen Auseinandersetzung nicht aus, halten sich nicht an die Regeln, sondern bereit, ihrem völlig diskreditierten Trump eine zweite Amtszeit zu ermöglichen – oder weit schlimmeren Gestalten. Gewinnen sie die Parlamentswahlen am kommenden Dienstag, verdüstert sich die Weltlage schlagartig, denn derzeit sind die US-Demokraten die  einzige nennenswerte politische Macht, die auf der Seite von  Republik, Demokratie und Freiheit steht. So beunruhigend diese Erkenntnis ist: Wenn die schwächeln, gibt es auf der Welt keinen machtvollen Ersatz, denn die EU und ihre Parteien machen sich künstlich klein.

Die Rückkehr des Faschismus ist schwer zu erklären. Nationalismus, Militarismus und Rassismus gibt es zwar noch, aber sie sind längst nicht mehr so dominant wie in den dreißiger Jahren: Niemand wünscht sich für seine Kinder den Heldentod, es wird nicht mehr blind gehorcht, sondern permanent gemeckert und im Alltag gibt sich kaum jemand als Faschist zu erkennen – oder eben viel weniger, als dann in diesem Sinne wählen oder im Netz kommentieren. Noch ist mir der postmoderne Faschismus ein Rätsel. 

Deutlicher zu erkennen ist die Schwäche der Gegenseite. Während die Rechten eine schlichte, aber gut verständliche Erzählung durchziehen – Platt machen, was nicht auf der eigenen Seite, beziehungsweise  der Seite des strengen Vaters steht – rasen die Freunde der Freiheit in der Gegend herum, wie Minions, wenn der Eismann klingelt. Kein amtierender Politiker ist gut genug, keine Partei passt so ganz. Unter großer moralischer Hektik verhalten sie sich zu irrelevanten Fragen in inszenierten Debatten, die nicht wichtig sind. Die benachbarten politischen Formationen werden oft noch heftiger verdammt als die Rechten. Mich erinnert diese individualisierte politische  Öffentlichkeit an Douglas Couplands Roman Microserfs, über das Milieu der Programmierer bei Microsoft in Seattle Ende der neunziger Jahre. An einer Stelle beschreibt Coupland die Kunden eines benachbarten Supermarkts mit dem Satz Hyperindivualisierte Eigenbrötler auf der Suche nach dem idealen Snack. 

Daran muss ich oft denken, wenn wieder mal das Spiel gespielt wird, wer woker ist, wer besser links ist oder ob ein Bundeskanzler Scholz nicht an dieser oder jener Stelle noch zu verbessern wäre.  Als gäbe es einen Fundus an demokratischen PolitikerInnen und Parteien, aus dem man sich noch einen etwas besser Passenden heraussuchen kann. 

Nur, dass eine andere Zeit heran bricht, in der sich wirklich alle, die diesseits von Trump und Putin, von China und Saudi-Arabien stehen, zusammentun müssen.   Und zwar nicht allein in der Bundesrepublik, in ganz Europa. Der französische Ökonom Thomas Piketty sagte einmal, der Grund für die Krise der linksliberalen Parteien in der Welt liege darin, dass sie ihr allererstes Thema vergessen haben: die internationale Solidarität. Während Kapital, digitale Konzerne und Medien längst global agieren, blieben die Arbeiter- und Umweltparteien national verfasst.   Heute bräuchte man eine transnationale politische Kraft, die sich den anderen entgegenstellt, die Macht entwickelt und einsetzt und den Menschen eine neue Ordnung, einen new deal anbieten.   Sonst zieht sich bald der Himmel granitgrau zu.

Donnerstag hielt ich mich bereit, einen Artikel zur Verleihung des Prix Goncourt zu schreiben. Weil an dem Tag auch immer mein Seminar an der Uni Mainz stattfindet, wollte ich mich so gut es geht auf den Preisträger vorbereiten und rechnete damit, dass er wie immer um 12 Uhr verkündet würde. Da seit Wochen alle davon ausgingen, der schweizerisch-italienische Politikwissenschaftler Giuliano da Empoli würde den Preis für seinen Roman Le Mage du Kremlin bekommen, hatte ich mich darauf eingerichtet. Aber Paris ist unberechenbar. Erst um 13 Uhr wurde das Ergebnis bekannt gegeben. Es hatte, erst zum zweiten Mal in der über hundertjährigen Geschichte des Preises, ein Patt gegeben. Dreizehnmal wurde abgestimmt und immer stand es 5 zu 5. Im vierzehnten Wahlgang darf der Jurypräsident eine Stimme abgeben, die doppelt gilt, somit setzte er seine Kandidatin durch: Brigitte Giraud mit Vivre vite. Das war dann auch mein Motto beim fertig schreiben meines Artikels für die Süddeutsche.  Am kommenden Tag gab es dann ein Gespräch mit Brigitte Giraud, in dem man diese interessante Autorin kennenlernen konnte. Mindestens eine so gute Wahl wie da Empoli scheint mir. 

https://www.youtube.com/watch?v=m7t8eFcyS9w (Öffnet in neuem Fenster)

In meiner Jugend war das außerirdische Leben ein großes Thema in Serien und Comics. Lange dachte ich, die Landung oder Sichtung von Flugobjekten außerirdischen Ursprungs müsste die größte Nachricht überhaupt sein, wenn es mal so weit ist. Inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher. 

In einer neuen Dokumentation Moment of Contact (Öffnet in neuem Fenster)untersucht James Fox ein Ereignis aus einer kleinen Stadt in Brasilien. Nimmt man diese Aussagen  und auch die aus seinem vorigen Film The Phenomenon (Öffnet in neuem Fenster), kommt man auf eine beachtliche Zahl von Zeitgenossen, die glaubhaft von seltsamen Begegnungen mit Außerirdischen erzählen – "credible people with incredible stories" wie es in einem Bericht der vierziger Jahre hieß. Und die ansonsten nie wieder, weder vorher noch nachher, mit anderen Dingen aufgefallen sind. Sind alle verrückt? Alles Lügnerinnen und Lügner? Ihre Stories sind kaum zu glauben, aber was hätten Montaigne und Shakespeare zu Phänomenen von heute gesagt, zu W-Lan und Satelliten? Auf der Erde lernen wir eben immer dazu. 

Irgendwann wird man mehr wissen, aber dann wird das Erstaunen vielleicht nur ganz klein sein: Fliegende Untertassen und grüne Männchen, das kennen irgendwie  alle, wird die Weltöffentlichkeit schulterzuckend sagen. Das einzig Bizarre an dem Thema ist doch die Annahme, dass wir  allein im Universum wären.

Der geniale Vinzent Klink hat den Vorschlag gemacht, jungen Leute einen Kanon an klassischen Rezepten beizubringen, mit denen sie gut durchs Leben kommen. Er nennt sie die Überlebensrezepte, eine Grundlage für das autonome Kochen. Zugleich sind sie eine Anleitung, wirtschaftlich zu kochen und stärken die Selbstständigkeit. 

Da nun bald der schöne Sankt-Martins-Tag naht, den ich wegen der Umzüge mag, wegen der Sache mit dem Mantel und weil es einen Tag vor meinem Geburtstag ist, sei hier ein nicht zu kompliziertes Rezept für Gans empfohlen - aber auch die anderen Rezepte sind klasse

https://www.wielandshoehe.de/recipes/weihnachtsgans-fuer-anfaenger/ (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

PS: Der  Charakter dieses Nesletters scheint mir darauf zu gründen, dass ich ihn ganz frei gestalten kann. Damit ich dafür auch die Zeit habe, kann, wer es möchte, hier einen kleinen Beitrag dazu leisten: 

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