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Tage in der Zeitenwende

Die Mahnung von Helmut Kohl/Manfred Krug/En Thérapie/ Ukrainische Rezepte

Wer es erlebt hat, wird es nicht vergessen: Am 17.5. 2011 wurde dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl der Kissinger Preis der American Academy  in Berlin verliehen. Angela Merkel hielt eine kurze Rede, dann der damalige Weltbankpräsident Robert Zoellick und schließlich  Bill Clinton, der 42. Präsident der USA. Vieles war an diesem Abend bemerkenswert, aber derzeit denke ich oft an die Dankesworte von Kohl. Er saß  im Rollstuhl und das Sprechen fiel ihm schwer. Er war gerührt, schien den Tränen nahe. Denn er erinnerte sich an  seine Jugend, an die Jugend die Republik. Wie ausgegrenzt und verachtet Deutschland nach dem Krieg war, wie lange der Weg zu solch einem Abend. Er staunte darüber wie ein Kind. Und man verstand: Nichts am Comeback Deutschlands ist selbstverständlich gewesen. 

Die Rückkehr der Bundesrepublik auf die Bühne der Welt, das Geschenk der Wiedervereinigung und die Europäische Union  ruhen auf einem moralischen Fundament. Die Wirtschaftsleistung war wichtig, klar, aber die Humanität des Grundgesetzes, das Bekenntnis zu "Nie wieder Krieg" und "Nie wieder Auschwitz" und die allsonntäglichen Bekenntnisse zu den Lehren aus Nazizeit begründeten eine moralische und wertegebundene Republik. Angela Merkels Flüchtlingspolitik war ihr praktischer Beweis. 

Diese historische Verpflichtung geht derzeit etwas unter in den Erörterungen, wie Deutschland der Ukraine helfen kann. Niemand erwartet militärische Abenteuer. Aber ein mutigeres Bekenntnis, eine Pionierrolle in der Front gegen Putin und zumindest einen Termin für den Stopp von Öl und Gasimporten  würden der deutschen Verantwortung entsprechen. Und auch eine ehrliche Aufarbeitung, wie es zu der erschreckenden Abhängigkeit von Russland kommen konnte.  Staunend lese ich, wenn Menschen vor Kriegstreiberei und Militarismus hier in Deutschland warnen. Oder in den Scholzschen Sondervermögen eine Wiederkehr der Kriegskredite von 1914.   Mein Gefühl ist, das wir kollektiv nur knapp an einer Schuld wegen unterlassener Hilfeleistung für jenes Land vorbeischrammen, in dem Deutsche so viele Massaker verübt haben. 

Ich weiß gar nicht, wie ich dazu kam, die nachgelassenen Tagebücher von Manfred Krug zu lesen. 

https://kanon-verlag.de/buecher/ich-sammle-mein-leben-zusammen/ (Öffnet in neuem Fenster)

Ich habe sie mir eines Abends auf den Kindle geladen und komme seitdem aus dem Wundern nicht mehr heraus. Ein seltsameres Tagebuch habe ich noch nicht gelesen. Der Mann lebt mit zwei Familien parallel und in dem Glauben, alle Bälle in der Luft halten zu können. Er war damals einer der bekanntesten Deutschen , Tatort-Kommissar und Telekom-Werbefigur, aber in seinem Tagebuch ist er allein. Einen Freund hat er, den Schriftsteller Jurek Becker, der schwer an Krebs erkrankt ist und stirbt. Krug schreibt: "Mein einziger Freund, den ich fast nicht kenne, der sich nicht kennen lässt." Davor ruft er ihn aber oft an, um sich über die schlechte Qualität der Drehbücher für "Liebling Kreuzberg" zu beschweren.  Es geht viel um Geld, um deftiges Essen und gut besuchte Auftritte – eigentlich schildert Krug ein gutes Leben, an dem er aber gar nicht richtig teilzunehmen scheint. Es wird dann noch ziemlich dramatisch, ich möchte nicht spoilern - divulgâcher wie man im Französischen sagt (divulger/gâcher - verraten und verderben). Auch Krug schreibt ein Protokoll nach der Zeitenwende – nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung, vor allem aber darüber,  wie Männer dieser Generation  im eigenen Leben nur zu Gast waren.

In wenigen Wochen startet die zweite Staffel der spektakulären französischen Serie En Thérapie, die Adaption des erfolgreichen israelischen Formats Be Tipul. Es war hierzulande, vor allem aber in Frankreich ein epochaler Erfolg. Fernsehen ist in unserem Nachbarland fiktional nicht so gut, die Serien immer absehbar und hölzern. In dieser Serie aber geht es wirklich an das Wesentliche, man hatte lange auf so etwas gewartet - eine echte französische Bewältigung der Gegenwart mit den Mitteln des Dramas. Nun also die Fortsetzung, natürlich wird alles nur noch schlimmer: 

https://www.arte.tv/de/videos/102958-001-A/in-therapie-staffel-2-1-35/ (Öffnet in neuem Fenster)

Eine Leserin aus Hannover merkte an, dass ich immer viel Fleisch empfehle und schickte mir sehr interessante Aufsätze zum Thema Fleischkonsum und Männlichkeit, die werde ich noch studieren. 

Daher heute, und weil es das Thema ist, das unsere Zeit definiert, diese Mut machenden ukrainischen Rezepte aus dem Guardian: 

https://www.theguardian.com/food/2022/mar/12/olia-hercules-springtime-recipes-green-borsch-nettle-garlic-soup-cauliflower-fritters-cook-for-ukraine-campaign (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch, 

ihr

Nils Minkmar

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