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Die Flamme der Freiheit

(Foto:Tobias Bütow)

Am Donnerstag durfte ich in der französischen Botschaft in Berlin die diesjährige Lecture de l Academie de Berlin moderieren, deren Mitglied ich bin. Es ist immer eine interessante Sache: Vor einigen Jahren sprach hier Olaf Scholz, damals noch erster Bürgermeister in Hamburg. Er reflektierte über den Wahlsieg Emmanuel Macrons. Der ist jünger als Scholz und hatte ein hohes Amt erreicht. Scholz gab zu erkennen, dass er mit dem Hamburger Amt auch noch nicht am Ende seiner Ziele sei. Besonders realistisch waren seine exekutiven Ambitionen in der Bundespolitik damals aber nicht.  

Jetzt waren zwei Frauen eingeladen, um die Lecture zu halten: Camille Etienne, eine Studentin, Künstlerin und Aktivistin aus Paris und Luisa Neubauer. Als Moderator soll man die Gäste ja vorstellen, in ihrem Fall ist das überflüssig: Luisa Neubauer ist eine der bekanntesten Deutschen. Viele Bundesminister und Ministerpräsidenten verblassen neben ihrem Bekanntheitsgrad und an diesem Abend konnte man ermessen, warum das so ist: Sie hielt ohne Notizen einen Vortrag, der ganz ohne Pathos und Kitsch auskam, sondern sich präzise auf Fragen der effektiven politischen Arbeit bezog. Es geht,sagte sie, im Kampf um den Klimawandel nicht nur um individuelles Verhalten, sondern mehr noch um Fragen der Macht, also besucht sie Aktionärsversammlungen, Versicherungen und Banken. Sie gab auch einen Einblick in ihre Resilienzmethoden: Statt darüber zu verzagen, dass so vieles noch im Argen liegt, freut sie sich über kleine Erfolge, etwa wenn sie mit dem Rad durch eine neue Fahrradstraße in Berlin fährt. 

Camille Étienne lobte ihre effektive deutsch-französische Zusammenarbeit und hielt eine ebenso gute Rede. Im Vorgespräch hatte sie mich freundlich gefragt, womit sie beginnen sollte, mit der aktuellen energiepolitischen Situation oder mehr mit den globalen klimatischen Herausforderungen? Sicher könnte sie zu vielen Themen referieren. 

Besonders gefiel mit ihre Dekonstruktion des Generationenthemas. In der Kopplung von Klimaprotest mit dem Generationenbegriff sieht sie die Gefahr einer Verharmlosung: Wenn ältere Menschen ihr sagen, eure junge Generation wird das regeln, wir haben es verbockt, dann stiehlt er sich damit aus der Verantwortung für die Gegenwart. Übrigens setzt sie sich in einem Clip mit dem Thema auseinander: 

https://www.youtube.com/watch?v=OBd2TunXEpM&t=367s (Öffnet in neuem Fenster)

Mit geht das Gerede von Generation X, Y und Z schon lange auf den Geist. Es ist reiner Marketing-Hokuspokus. Ein Boomer biblischen Alters wie Joe Biden macht gerade eine erfreulichere Politik als die jüngere Liz Truss.

Natürlich ist das Alter ein Faktor der Persönlichkeit –  einer unter vielen. In meiner Klasse 5 des Gymnasiums waren wir  42 Jungen. Wir waren gleichalt, aber daraus folgte wenig. Jeder war anders und gerade politische Ansichten sind so individuell wie ein Fingerabdruck. 

Von Neubauer und Étienne werden wir jedenfalls noch hören  und das ist auch gut so. Das politische Personal beider Länder kann Hilfe gebrauchen. Der Weg aus der Fossilität ist eine gewaltige Aufgabe, aber ohne Alternative: Iran, Russland, Saudi Arabien - die gruseligsten, feindseligsten Regimes der Welt bestehen nur wegen der unglaublichen Gewinne, die sie aus dem Verkauf fossiler Energie erzielen. 

Einer der Vorzüge solch eines eigenen Newsletters ist die Freiheit, sich über etablierte publizistische Regeln auch einmal hinweg setzen zu können. Heute möchte ich das mit einer Buchempfehlung tun, die ich in der Süddeutschen nicht platzieren würde, denn der Autor ist einer meiner besten Freunde, Jörg Bong. 

Es ist gewissermaßen die Darstellung eines historischen Stoffes mit literarischen Mitteln, liest sich sehr spannend und beleuchtet eine Episode der deutschen Geschichte, über die kaum noch jemand etwas weiß. Es ist schon pervers: Fürsten und Könige prägen mit ihren Namen unsere Städte, Bismarck steht auf zig Denkmälern und über Hitler wissen wir mehr, als wir möchten – aber die Männer und Frauen, die für Freiheit und Demokratie in Deutschland kämpften, sind völlig vergessen. Aber wer soll an den Kampf um die Demokratie und die Freiheit erinnern, wenn nicht wir Demokraten selbst? Wie stärken wir Engagement, wenn wir die Geschichte des Freiheitskampfes ignorieren?  Dieses tolle Buch ist eine Korrektur zur richtigen Zeit. 

Zur Feier des Sonntags gehört für mich die Zubereitung eines guten Essens, vorzugsweise eines Huhns. Damit bin ich freilich nicht der einzige. Selten habe ich aber einen so guten Essay zum Thema gelesen wie diesen hier: 

https://www.lemonde.fr/le-monde-passe-a-table/article/2022/10/09/ode-au-poulet-roti-savoureux-embleme-du-dimanche-midi_6145063_6082232.html#xtor=AL-32280270-%5Bmail%5D-%5Bios%5D (Öffnet in neuem Fenster)

Und dann fand ich noch im französischen Fernseharchiv INA diese legendäre Szene  mit Maité, einer Hausfrau aus dem Südwesten, die in Frankreich zu einer Kultfigur der Achtziger wurde. Ich mag besonders ihren prä-guillotinistischen Ansatz bei der Abtrennung des Kopfes. 

https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=FEMImkO8yJQ (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch, 

ihr

Nils Minkmar 

PS: Ich war diese Woche in der Lesart zu Gast, es war eine Ehre und eine Freude.

https://www.ardaudiothek.de/episode/lesart-deutschlandfunk-kultur/nils-minkmar-ueber-seinen-roman-montaignes-katze-philosoph-in-geheimer-mission/deutschlandradio/12000533/ (Öffnet in neuem Fenster)

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