Zum Hauptinhalt springen

Die Bofrost-Falle

Eine Partei versteckt sich in der Tiefkühltruhe/Anacharsis Cloots/BHL on Tour/Ostermenü mit und ohne

Der Wunsch des SPD Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich nach einem “Einfrieren” des Kriegs in der Ukraine ist verständlich, kann sich aber nur auf den Status nach dem Rückzug der russischen Truppen vom ukrainischen Staatsgebiet beziehen. Wenn man in Europa Gebiete besetzt und danach einfriert, hören die Kriege nie mehr auf: Das Deutsche Reich besetzte von 1871 bis 1918 Elsass und Lothringen– die Gewalt hörte bis 1945 nicht mehr auf.

Jetzt von großer Tiefkühlung zu reden, bereitet die Gefahr neuer Kriege und untergräbt den Glauben an die politische Fitness der ältesten Partei Deutschlands. Die SPD stand einmal für eine Nähe zwischen Politik und Wissenschaft, Exekutive und Kultur, sogar zwischen Intellektuellen und Macht. Heute sind solche Ambitionen nicht mehr wahrzunehmen. In der Union legt man darauf erst recht keinen Wert, obwohl es genügend konservative Literatinnen und Literaten beispielsweise gibt. Dieses Desinteresse der Union am intellektuellen Leben ist eine Chance für die anderen Parteien. Auf jede Kritik kann die SPD mit einem Verweis auf Merz antworten: Wäre es mit dem besser? Aber das kann nicht der Anspruch sein. Die alte Arbeiterbewegung war in jeder Hinsicht fortschrittlich, nicht ängstlich und an neuen Verfahren, Technologien und Ideen interessiert. Arbeiter und arbeitende Frauen besuchten schon das Kino, als die kulturellen Eliten noch vor christlichen oder nationalistischen Theaterstücken Tränen vergossen. Die großen sozialdemokratischen Kanzler werden bis heute mit einer ambitionierten, manchmal mutigen Politik assoziiert. Niemals mit politischer Tiefkühlkost. In einem so vorsichtigen Land wird früh genug die Sehnsucht nach einer Unionsregierung stark werden. Mit ihr verschwindet die Welt wieder hinter den Gardinen mit der Goldkante und es ist ewiger Nachmittag. Dann dauert es wieder fünfzehn Jahre, bis eine progressive Mehrheit das Land regiert. Man sucht sich die Zeit, in der man politische Verantwortung trägt, nicht aus. Aber man muss sich schon bemühen, auf die Höhe der Zeit und ihrer Fragen zu kommen. Die Ukraine in ihrem Kampf um die Freiheit im Stich zu lassen, die früheren Fehler der SPD im Kontakt mit Russland zu ignorieren und das deutsch-französische Verhältnis zu vernachlässigen wären unverzeihliche Fehler und ein Verrat an den Ideen, am Wagemut, der die Sozialdemokratie immer ausgezeichnet hat. Die Partei, die mit Peter Glotz, Günter Grass, Mike Naumann und Gesine Schwan geglänzt und begeistert hat, darf nicht bei Ralf Stegner und Johannes Varwick enden. Es gibt ein Element im politischen Erbe der SPD, das keine andere Partei anzubieten hat: der Internationalismus. Er ist als Thema derzeit völlig ungenutzt. Aber das könnte sich doch ändern ? Der Ukraine in ihrem Kampf um Freiheit besser, eben solidarisch zu helfen, ist jedenfalls das Gebot der sozialdemokratischen Stunde. Fällt die demokratische Regierung in Kyjiw während ein Sozialdemokrat deutscher Kanzler ist, endet auch die Geschichte der SPD.

Die historische Erinnerung ist ein unfaires Geschäft. Überall stehen Fürsten und Könige herum, oder eben der Bismarck. Andere hingegen sind völlig vergessen und vor allem solche Menschen, die in ihrer Zeit weiter gedacht haben, bis heute oder noch weiter darüber hinaus. Die sich vorgestellt haben, dass Menschen frei und gleich und geschützt leben sollten, wie wir heute und oft genug ihr Leben dafür geben mussten.

Ich hatte, bis ich vor einigen Tagen dieses tolle Buch aus dem Verlag das kulturelle Gedächtnis geschenkt bekam, nur eben mal den Namen von Anacharsis Cloots gehört. Aber nie etwas von ihm gelesen. Johann Baptist Hermann Maria Baron de Cloots war ein Grenzgänger zwischen Berlin und Paris, ließ sich aber nach der großen Revolution endgültig dort nieder. Es liest sich, als sei er auch eine Nervensäge gewesen. Am 17. Juli 1790 betrat er die Nationalversammlung in Begleitung von 36 Personen in Kostümen aus aller Welt, die als “Botschafter des Menschengeschlechts” der Erklärung der Menschen-und Bürgerrechte in ihrer universellen Geltung ihre Gefolgschaft versprachen. Es handelte sich um Amateure, die Cloots mit Sachen aus dem Theaterfundus ausgestattet hatte und denen er eine Gage für den Auftritt zahlte. Jedenfalls war Cloots berühmt geworden. Sein Anliegen aber, die Errichtung einer “Weltrepublik”, in der Nationen überwunden werden, weil allen Menschenkindern als Weltbürgern die gleichen Rechte zustehen, ist ebenso aktuell wie 1790. Und es wird auch so kommen.

In dieser Dokumentation über die Tournee des französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy durch Europa sind unglaubliche Szenen enthalten. Man sieht ihn im angeregten Gespräch mit Victor Orbán in Budapest, auch mit Alexandr Dugin, damals “Vordenker” Putins. Heute muss er als ideologischer Wegbereiter des Kriegs gegen die Ukraine gelten, klassischer Schreibtischtäter. Man ermisst, wie sich die Welt verändert hat, beide Treffen wären heute kaum denkbar. Auch sehr lustig ist die Szene, in der Lévy den damals amtierenden Präsidenten der Ukraine Petro Poroschenko trösten möchte: Dieser Umfragenliebling Selenskyj, das sei doch so ein ukrainischer Coluche. Ein Clown, der sicher nicht regieren möchte. Dann lässt sich Poroschenko sein Ipad bringen und sie schauen zusammen alte Coluche Auftritte.

Kontext: BHL führt im Sommer 2019 ein von ihm selbst geschriebenes Stück auf und tourt damit durch diverse europäische Hauptstädte. Es war nur ein halber Erfolg. Dieses Making of macht sich hier und da lustig über den Meister und auch über das Projekt selbst. Mal um mal denkt sich der Dokumentarfilmer Camille Lotteau steile Thesen aus, konfrontiert den Philosophen damit, aber der zieht ihm den Boden unter den Füßen weg, wie, bei den Peanuts, Lucy den Football, den Charlie Brown kicken möchte. Einmal trinkt BHL beinah Nagellackentferner. Macht irgendwie gute Laune.

https://www.arte.tv/de/videos/110235-000-A/prinzessin-europa/ (Öffnet in neuem Fenster)

Ostern ist die letzte Gelegenheit, ein zünftiges Festmahl aufzutischen, denn danach wird monatelang nur noch gegrillt oder es gibt Caprese. In unserer nicht sehr religiösen Familie stand das gute Essen ohnehin im Mittelpunkt der Sache. Mein Großvater war zwar katholisch erzogen worden, hatte sich aber früh losgesagt. Ostern war immer der Moment für einen seiner Lieblingswitze, wonach Jesus zwar der Sohn Gottes sei, mütterlicherseits aber auch aus sehr guter Familie komme. Meist lachte nur er, dafür herzlich.

https://madame.lefigaro.fr/recettes/carre-dagneau-pyrenees-gratine-fourme-dambert-ses-petits-legumes-bio-270212-220398 (Öffnet in neuem Fenster)

Für fleischlose Freuden kann man sich an diese schöne Kombination halten:

https://www.herrgruenkocht.de/das-herr-gruen-ostermenue-2024/ (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch,

Ihr

Nils Minkmar

PS: Während die Zahl der Abonnenten des “siebten Tags” wöchentlich steigt, bleibt jene der zahlenden Mitglieder konstant. Es hilft mir aber sehr, wenn Sie, sollten Sie diesen Newsletter gerne lesen und das Geld dafür investieren können, eine Mitgliedschaft abschließen. Das geht hier:

PPS: Ich mache eine Osterpause, der nächste Newsletter ist dann am 14.April in Ihrem Postfach.

1 Kommentar

Möchtest du die Kommentare sehen?
Werde Mitglied von Der siebte Tag und diskutiere mit.
Mitglied werden