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Helden des Alltags

Incel im Zug/Rushdies “Messer”/Scheerer-Verfilmung/Blumenkohl von der Wielandshöhe

Für die Rückreise aus Frankreich hatte ich per Sparpreis ein Erster Klasse Ticket gebucht. Der Wagen war voll besetzt. Auch eine Mutter mit ihren beiden Söhnen, etwa drei und fünf, waren an Bord. Der Jüngere von beiden nutzte die langen Gänge und rannte von Tür zu Tür auf und ab, wie alle Kinder seit Erfindung des Zugwaggons. Eine friedliche Fahrt, wie immer im Zug aus Paris, sanken die meisten Passagiere in einen festen Nachmittagsschlaf - auf der Hinfahrt ist das weit weniger der Fall.

Ein lautes Gefluche weckte dann alle. Ein Mann mit markantem Schädel fuhr den Jungen an, er gehe ihm auf die Nerven und noch andere Flüche und Beleidigungen mehr. Erwachsener Typ gegen kleines Kind. Man fasst es nicht. Noch bevor die Mutter sich empören konnte, war aber schon ein anderer Mann aufgesprungen und widersprach dem Wichtigtuer: Er arbeite hier auch konzentriert und sei überhaupt nicht störend, wenn die Kinder hier spielen. Der Kleine verhalte sich altersentsprechend und das möge er, der hier ein Kind beleidigt, bitte auch tun.

Eine Zugbegleiterin erschien und wollte die Sache schlichten. Doch der Kinderfeind, der dem wütenden HB-Männchen meiner Kindheit glich, beschied “Es ist doch logisch, dass Sie auf Seiten der Frau sind, denn sie sind ja selbst eine!” Damit hatte er übrigens das beste Argument für eine aktive Quotenpolitik formuliert, völlig unbeabsichtigt natürlich. Er erinnerte mich in diesem Moment an die mächtige Bewegung der Frauenhasser, im Netz Incels genannt. Gibt es also auch mal analog auf der Schiene.

Beruhigt hat er die Lage damit natürlich nicht. Ein schmächtiger Mann mit dicker Brille und weißen Haaren eilte los und holte so schnell ihn seine kurzen Beine trugen den Zugchef. Der kam in Gestalt eines gemütlichen französischen Chef de Bord mit Bauch und Glatze angewatschelt. Und zögerte oder diskutierte in dieser Situation nicht lange, sondern eröffnete dem Wüterich zwei Optionen: Sich weit weg zu setzen, in einen anderen Wagen oder beim nächsten Halt auszusteigen. Der Mann gehorchte brav, wenn auch zornig, nahm seinen Kram und seinen Regenschirm und zog, eskortiert und kontrolliert vom lächelnden Zugchef, um. Fehlte noch, dass der ganze Wagen dazu applaudiert hätte. Der Zugchef wurde gefeiert und nickte auf seinem Rückweg allen zu wie ein Champion. Mutter und Söhne wurden besucht, ermutigt und komplimentiert. Die Kinder verließen nach Ankunft in Frankfurt den Bahnsteig auf dem roten Rollkoffer ihrer Mutter sitzend, wie die Könige.

Man hat ja genug Grund, sich aufzuregen derzeit. Aber man tankt Energie, wenn man erkennt, dass sich in unserer Gesellschaft vieles zum Guten wendet.

Es wird das literarische und kulturelle Thema des Frühjahrs: Salman Rushdies Memoiren des Attentats vom Sommer 2022 und seiner Folgen erscheinen. Ich bekomme das PDF der Fahnen, nachdem ich strenge Sperrfristvereinbarungen unterzeichnet habe. Außerdem ist die Datei mit einem Passwort gesichert, das zu einem bestimmten Zeitpunkt per SMS geschickt wird. Angemessen.

Rushdie ist der berühmteste Schriftsteller der Welt und sein Schicksal ist eng mit der Geschichte unserer Zeit verknüpft. Der Iran, aus dem heraus das Todesurteil gegen ihn verhängt wurde, ist heute der engste Partner sowohl von Putins Russland als auch der Hamas. Rushdie lebt und schreibt als Symbol für unsere Freiheit, aber natürlich ist er auch viel mehr als das: Ein Mann in den besten Jahren, sehr höflich, mit viel Humor und Lebensfreude. Ich freue mich schon auf die Lektüre und (herrlichen Beruf habe ich da!) - auf den Artikel, den ich für die Süddeutsche Zeitung schreiben darf.

https://www.amazon.de/Knife-Salman-Rushdie/dp/3328603271 (Öffnet in neuem Fenster)

Bei 60 Minutes hat Rushdie schon über die Erfahrung und das Buch gesprochen:

https://www.cbs.com/shows/video/BmHYtCtQUJ3VRgLN7PlvTKsZz4mMLCeN/ (Öffnet in neuem Fenster)

Ein wichtiges Motiv, um nach Erfahrungen der Gewalt darüber zu schreiben ist es, die Intimität mit den Tätern zu überwinden. Das war ein Beweggrund für Jan-Philipp Reemtsma, über seine Entführung zu schreiben. Viele Jahre später hat auch Johann Scheerer, der Sohn des Entführten über die Entführung und seinen Blick darauf geschrieben. Daraus wurde ein sehr berührender Film, der mal etwas ganz anderes zeigt als die Heldengeschichten der Polizeifiktion. Derzeit frei und ohne Werbepause auf der arte Mediathek eingestellt, sehr zu empfehlen:

https://www.arte.tv/de/videos/098334-000-A/wir-sind-dann-wohl-die-angehoerigen/ (Öffnet in neuem Fenster)

Zur Rettung des Klimas und überhaupt, wegen Gesundheit, reduzieren wir tunlichst den Fleischverzehr. Mir fällt es schwer. Ich erinnere mich an eine Studentenparty im schönen Saarbrücken, auf der es erst Frikadellen gab, dann Fleischkäse und schließlich Braten und das Gemüse war das Ketchup. Oder Kartoffelsalat. Wenn jemand krank wird oder ich mich schlapp fühle, ist mein erster Impuls, ein Steak zuzubereiten. Und ein Sonntag ohne Huhn ist erträglich aber - irgendwie kein richtiger Sonntag und verlangt nach Nachbesserung. Heute bin ich dennoch oder gerade deswegen auf der Suche nach fleischlos glücklich Rezepten und wo werde ich fündig? Beim Meister selbst:

https://www.wielandshoehe.de/2024/04/06/blumenkohl-aus-dem-ofen/ (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch!

ihr

Nils Minkmar

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