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Das Glück des Sisyphos

Theater des Schreckens/Albert Camus/Johannes Willms

Es ist in diesen Wochen nicht ganz leicht, einen gelassenen, sogar zuversichtlichen Newsletter zu schreiben. Wer die Moskauer Horrorshow zur Annektion der vier ukrainischen Provinzen verfolgt hat, muss sich bedroht vorkommen. Nach wie vor setzt Putin auf eine sadistische Kommunikation. Er agiert genau so, dass man es alles für einen Albtraum hält: Massenmorde an ZivilistInnen, Drohungen gegen Kernkraftwerke, Angriffe auf die Nahrungs- und Energieversorgung und immer wieder das Geraune über taktische Nuklearwaffen. Er inszeniert, um meinen Doktorvater Richard van Dülmen zu zitieren, ein Theater des Schreckens  in politischer Absicht. 

Leider werden weiterhin viele, völlig unbeteiligte Menschen sterben, bevor er gestoppt wird. 

Eines Tages wird die Bundesrepublik aufarbeiten müssen, wie es kam, dass Wirtschaft, Politik und allzu viele deutsche Intellektuelle diesem Mann die Treue gehalten haben, auch dann noch, als er längst sein wahres Gesicht gezeigt hatte. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wird es klären müssen – danach. Denn Putin wird bald schon in dem von ihm selbst gezimmerten Gerüst aus Lügen, Verbrechen und Grausamkeit untergehen. 

Mich beschäftigt, warum Menschen, die hier in Frieden und Wohlstand aufgewachsen sind, einer unübersichtlichen Freiheit die grausame Putin'sche Ordnung  vorziehen; sie durch Relativierung von Verbrechen noch verteidigen und vor seiner Macht, seiner Rache warnen, um uns bange zu machen. Die Vordenker und Anhänger der kremltreuen extremen Rechten und Linken schätzen weit mehr als die Freiheit, in deren Namen sie sich darüber beschweren, in der Minderheit zu sein, den regressiven Wunsch nach Ordnung, die Putin für sie verkörpert.

So oder so brauchen wir nicht nur eine neue Verteidigung,  neue Energieversorgung und neue Mobilitätskonzepte – wir brauchen auch eine neue intellektuelle Infrastruktur, um unsere Werte deutlich zu machen und zu bewahren. Mit den jetzigen Figuren und Formaten kommen wir nicht mehr weit. 

In einer noch viel aussichtsloseren politischen Lage – aber es ist kein Wettbewerb– nämlich im Jahr 1942 schrieb Albert Camus seinen Mythos des Sisyphos. Es ist ein durch und durch schwarzer Text, der mir lange fremd blieb.Aber man kann dort studieren, dass sich das Glück suchen und üben lässt, sogar in misslichen Zeiten. Und dass man nicht warten soll, bis die Welt wieder in Ordnung ist, um sich an ihr zu erfreuen. Das berühmte Zitat, dass wir uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen sollen, rät dazu, das Glück bereits in der Arbeit daran, bereits in der tätigen Existenz unter der Sonne zu erkennen. Sich noch einmal mit ihm zu beschäftigen, ist gerade in diesen trüben Zeiten sehr inspirierend. Dazu empfehle ich den tollen, mit viel unbekanntem Material aufwartenden  Film von Georges-Marc Bénamou Les Vies d Albert Camus , den es hier zu sehen gibt:

https://www.youtube.com/watch?v=5CIBtVu17_U (Öffnet in neuem Fenster)

Neulich plauderte ich auf einem Empfang mit einer Dame aus der Buchbranche, die von ihren Ferien rund um Berlin vorschwärmte. Dann sah sie mich wissend an und sagte: Da sind sie ja auch öfter, in der Gegend von Sacrow? Ich antwortete, dass ich etwa dreimal in meinem Leben dort war. Dann trumpfte sie auf, wie um mich zu überführen: Ich hörte, sie haben dort ein Wochenendhaus? 

Es war wieder passiert: Zum tausendsten Mal hatte mich jemand mit Niklas Maak verwechselt. Er wiederum wurde in Kunstkreisen auf seine scharfen Kommentare zur documenta fifteen angesprochen, die ich in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht hatte. Die Kombination aus den gleichen Initialen, die gleichen Vokale und Konsonanten im Namen führt zu einer Verwechslung der Personen. Es ist mir jedes Mal eine Ehre, denn er ist nicht nur ein super Journalist, sondern auch ein sehr guter Freund. 

Am Donnerstag standen wir beide aus traurigem Anlass auf einem Programm, es ging um die Trauerfeier von Johannes Willms in München.  Für uns beide war er wichtig. Es wäre schön, wenn es die Möglichkeit gäbe, die Erinnerung an Willms mit einem Preis oder einem Stipendium zu bewahren. Mal sehen. 

Hier ein Ausschnitt, wie Johannes Willms  die Bigband der Roten Armee dazu brachte, Glenn Miller zu spielen. 

https://www.youtube.com/watch?v=VT-pB4_3wAM (Öffnet in neuem Fenster)

Die Saison beginnt wieder, jene Rennstrecke des Jahres zwischen rentrée und Weihnachten. Abends muss es manchmal schnell gehen und zugleich soll man gut wirtschaften, in dieser Lage kommen die Empfehlungen der NYT gerade recht: 

https://www.nytimes.com/article/favorite-simple-recipes.html (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch, 

ihr

Nils Minkmar

PS: Am 5. Oktober lese ich im Frankfurter Literaturhaus (Öffnet in neuem Fenster) aus meinem Roman Montaignes Katze. Ich würde mich freuen, viele LeserInnen des siebten Tags zu treffen. 

PPS: Immer mehr Menschen unterstützen den siebten Tag mit einer Mitgliedschaft, was mir die Arbeit daran erleichtert und das geht hier: 

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