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Im Tempel

Löschung und Neustart/Napoléon/Thomas Schmid/ Das Schwein von Gaza/ Stressfrei Thanksgiving

Ein Apfel weist den Weg, aber Obst gibt es hier nicht. Nur von der Ausstattung her kommt man nicht drauf, was das für ein Laden sein soll.

Es gibt schon mal keine Kassen. An den hohen Wänden sind viele Regale, aber Schilder sind keine zu sehen. Den Raum strukturieren lange, egalitäre Tische wie im Refektorium eines Klosters. Hier ist es so warm wie in Kalifornien. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen ja die roten T-Shirts tragen können, während die Kundschaft, die von der Straße kommt, sich augenblicklich beschwert und überhitzt fühlt. Jacke auf Mantel aus. Hier huldigt man aber der Cloud. Und einem Apple–Grundgefühl, das sehr schwer zu fassen ist.

Ich bin heute bei Apple in Frankfurt, weil unser Sohn sich aus dem MacBook ausgesperrt hat. Passwort vergessen und die hinterlegte Apple-Id, das Universaldokument in dieser Welt, war veraltet. Die beiden von mir besuchten Spezialisten in unserer Stadt machten mir wenig Hoffnung: Game over hieß es da. Die im Netz empfohlenen Tricks schlugen alle fehl. Der örtliche Gravis-Store schoss den Vogel ab: Nach fünf Tagen bangen Wartens kam ein Anruf, in dem ein Mitarbeiter mich nach dem Passwort fragte. Dessen Verlust uns ja erst in diese verzwickte Lage brachte. Alles vergessen, als ich zum großen Apfel pilgere.

Dort pflegen alle ein mildes Lächeln und flüstern eher, als dass sie reden würden. Denn alles ist anders: Es gibt keine erkennbare Trennung zwischen Verkäufern und Technikern oder Kundenberatern und Kassierern. Die Menschen im roten T-Shirt mit weißem Apfel sind weder alt noch jung, weder Experten noch Vertreter. Sie sind Eingeweihte. Das Verfahren geht so: Ein freundlicher Mensch scannt meine Apple-Id vom iPhone (Ob ich ein Gerät einer anderen Marke dabei hätte, wird nicht mal erwogen. Und ich habe es ja auch nie erwogen) Dann soll ich mich bereit halten, innerhalb von 2 Stunden werde ich empfangen. Ich soll mich in der Nähe aufhalten, eine SMS lädt mich dann ein. Zum Glück waren der Freund, den ich an diesem Tag in seiner neuen Wohnung besuche, und ich gerade mit dem Essen fertig.

Als es dann so weit ist, geschieht alles rasch und leise. Das komplizierte Problem, das mir in anderen Läden Kopfschütteln und unangenehme Nachfragen bescherte - hier ist es ein Klacks. Ich muss nicht bis zum Ende vortragen, schon nickt der Experte. Entsperren, löschen, neu aufstellen – das ist der kurze Weg der Erlösung. Ich muss den Kaufbeleg und einen Ausweis vorzeigen.

Ich lege den Personalausweis auf einen der langen, breiten Tische und komme mir direkt vor wie aus einem anderen Jahrhundert. Sonst liegt nichts auf den Tischen. Ich muss an einen Cousin meiner Großmutter denken, der auf dem Lande lebte. Jedes Jahr kamen seine Frau und er auf Besuch zu meinen Großeltern nach Bordeaux, immer eine ganze Woche. Im Restaurant kam dann unweigerlich der Moment, den mein Großvater fürchtete: Der Mann vom Land nahm das Messer neben dem Teller in die Höhe und erklärte, man möge das entfernen. Er benötige kein Messer, denn er führe stets sein eigenes mit – und legte sein altes Laguiole-Taschenmesser auf die Tischdecke. Moment großer anachronistischer Peinlichkeit für den urbanen Rest der Familie.

So betrachte ich meinen Perso: Im Reich von Apple gibt es keine Staatsangehörigkeit, keine Grenzen und keine illegalen Menschen. Eine Apple-Id bekommt jeder. Es ist eine Gemeinschaft neuen Typs. Mitten in Frankfurt, aber der Oberbürgermeister könnte mir in meinem Anliegen nicht helfen. Der freundliche, stille Mann, der für uns zuständig ist, verschwindet wenige Minuten lang mit unserem MacBook in der Kulisse. Dann ist er fertig: Erlöst und neu geboren.

Es hat gedauert. Mein Freund, der auch eine Sorge mit dem Apfel hatte, schaut seufzend auf die Uhr: So lang sind wir nun hier und wofür?

Ach, das ergibt immerhin einen Text für den Siebten Tag.

Schon lange habe ich mich nicht so kindlich -intensiv auf einen Film gefreut wie auf Ridley Scotts Napoleon. Nicht, dass ich große Erwartungen hege, denn Scott hat schon sehr viele schlechte Filme gemacht und die meisten Napoleon-Filme scheitern. Aber wer wie Joaquin Phoenix so meisterlich den Joker gegeben hat, wird auch mit Bonaparte klar kommen.

im New Yorker gab es folgenden Text über Ridley Scott und Napoleon:

https://www.newyorker.com/magazine/2023/11/13/ridley-scott-director-profile (Öffnet in neuem Fenster)

Heute überwiegen die negativen Urteile über Napoleon. Aber ohne den Code Civil, die Abschaffung des Zunftzwangs in den Rheinbundstaaten und die Judenemanzipation würden wir immer noch in irgendeinem aufgeklärten Absolutismus deutscher Machart leben. Und seine Biografie erwischt mich jedes Mal: Vom Nobody zum Herrscher der Welt und retour. Donnerstag ist es so weit.

https://www.youtube.com/watch?v=w-at19HholI (Öffnet in neuem Fenster)

Die Lage seit dem siebten Oktober ist so bedrückend, dass mir ein eigener Text dazu noch gar nicht gelingt. Ich halte mich auch von den Schilderungen der Massaker fern und werde mir auch die Filme nicht ansehen. Ich glaube, es geht vielen so. Das Grauen war so ungeheuerlich – ein Zeugnis der menschlichen Destruktivität nach Erich Fromm mehr als alles andere.

Als Text fand ich diesen Essay meines einstigen Kollegen interessant, auch wenn ich nicht alles teile. Er beginnt als Kritik am mangelnden Engagement gegen Antisemitismus und schafft es am Ende das eindringlichste Plädoyer für die Sache der Palästinenser zu formulieren.

https://schmid.welt.de/2023/11/15/israel-muss-siegreich-sein-um-grosszuegig-werden-zu-koennen/?fbclid=IwAR0buaGw7nXbgT2D18OvhOuafC2Ugvb7FIrW-qKY9IiuoXKNnSY7iycRrAU (Öffnet in neuem Fenster)

Und weil auch Humor und Satire helfen können, sich ein Bild zu machen, wie Gaza vor der Hamas war und dass dort nicht nur Täter oder Opfer leben, sondern Menschen, habe ich mir diesen älteren Film angesehen. Das ist das Gute an der Kunst: Sie hält Werke bereit, die uns etwas sagen können, wenn wir sprachlos sind.

https://www.amazon.de/gp/video/detail/amzn1.dv.gti.8863bb75-6d30-4418-bc4e-a5ab3ee2c6f6?autoplay=0&ref_=atv_cf_strg_wb (Öffnet in neuem Fenster)

In dieser Saison soll man die Feste alle mitnehmen. Auch wenn ich wenig Bezug zu Thanksgiving habe und gar nicht sagen könnte, wer was warum feiert, schmeckt mir doch das Essen. Und die Tipps, wie man sich den Stress bei Einladungen sparen kann, lassen sich zu anderen Gelegenheiten gut anwenden..

https://www.nytimes.com/2023/11/15/dining/claire-saffitz-thanksgiving-recipes.html (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

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