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Strategischer Wahnsinn

Goethe in Bordeaux/ Tapie auf Netflix/Leonardo auf Ebay/Petitrenaud in Marseille

In direkter Nachbarschaft des hier abgebildeten Jardin Public in Bordeaux -dem schönsten Park der Welt – befindet sich das Goethe Institut. Seit 1972 ist es die Anlaufstelle für alle Bordelaises und Bordelais, die aus ihrer Schwärmerei für Deutschland alltäglichen Ernst machen wollen und hier die Sprache Goethes erlernen möchten. Das schöne Institut war immer wieder auch ein kulturpolitischer Impulsgeber in Bordeaux, als die Stadt noch eher verschlafen war. Traditionell fühlt man dort eine Nähe zu England: Im Mittelalter gehörte Bordeaux zur englischen Krone. Es war also keine Überraschung, dass König Charles bei seiner jüngsten Frankreichreise auch im Südwesten zu Besuch kam.

Bordeaux, die Stadt, in der Michel de Montaigne zwei Mal zum Bürgermeister gewählt wurde, ist die heimliche, die Herzenshauptstadt Frankreichs. Zehntausende sind in den letzten Jahren aus Paris hier hingezogen. Eine unübertroffene Lebensqualität, die umweltbewusste Kommunalpolitik und eine ambitionierte kreative Szene tragen zum besonderen Image der Stadt bei. Auch der Klimawandel: Die Côte d‘ Azur ist im Sommer mittlerweile zu heiß. Sportler, Künstler und andere Prominente fliehen nun an den Atlantik. Raumfahrt, Medizintechnik, die Start-ups: Alle ziehen nach Bordeaux.

Und die Bundesrepublik? Schließt dieses Goethe-Institut.

Letzte Woche stellte die Zentrale der Goethe Institute einen Plan vor, den man nur mit Sorge oder Kopfschütteln lesen kann. Drei Standorte in Frankreich werden geschlossen - außer dem in Bordeaux noch Lille und das Verbindungsbüro in Straßburg - sowie die Häuser in Rotterdam, Triest und Turin. Ausweitungen gibt es dagegen in Texas, im südpazifischen Raum und im Kaukasus. „Auch", heißt es in der Pressemitteilung, „werden die seit vielen Jahren etablierten Aktivitäten des Goethe-Instituts im Bereich der Fachkräfteeinwanderung weiter ausgebaut, insbesondere in Ländern mit hohem Potential wie Brasilien, Indien, Indonesien und Mexiko.“

Eine erschütternde Fehlentscheidung. Sollte das Wahlergebnis der nächsten Präsidentschaftswahl in den USA eine deutliche Abkehr von Europa nach sich ziehen und der Krieg Russlands gegen die Ukraine andauern, stehen wir alleine da. Nach dem Brexit ist die deutsch-französische Beziehung das Rückgrat der EU. Wir haben nichts anderes. Doch die Verbindung zwischen den Völkern wird nicht in Paris und Berlin verordnet, man muss sie in der Provinz und in den Familien stiften und nähren. Derzeit passiert aber das Gegenteil. Rentnerinnen und Rentner, die im Goethe-Institut einen Sprachkurs machen oder eine Veranstaltung besuchen, werden eher dafür plädieren, dass die Enkelinnen mal nach Deutschland reisen und Deutsch lernen. Es sind die kleinen Schritte in der Provinz, wo en famille beim Abendessen an der bunten Wachstuchtischdecke die Welt besprochen wird, die das große Zusammenwachsen fördern. Viele privilegierte Menschen - ich gehöre dazu - reisen in europäischen Angelegenheiten einfach mal von Frankfurt nach Paris, von Bordeaux nach Berlin, wenn etwas anliegt und abends retour. Aber in der Provinz gehen die Uhren anders: Wer einmal im Jahr nach Paris muss, flucht vorher und nachher. Reisen nach Deutschland macht man, wenn überhaupt, einmal im Leben. Da fungiert l'InstitutGoet als vertrauenswürdige und sympathische Botschaft deutscher Kultur.

Natürlich möchte man mit einem Blick auf den Globus überall Goethe-Institute hintun, möchte der Wirtschaft helfen, Leute anzuwerben. Aber ist das der Job der auswärtigen Kulturpolitik? Die Dax-Konzerne haben gerade noch so viel Geld, eine Stiftung zur Anwerbung von Fachkräften zu gründen und zu unterhalten. Und ist es nicht längst an der Zeit, die nationalen Kulturinstitute - Institut Français, Cervantes und Co – in Übersee unter einem europäischen Dach zu vereinen? Ein European Institute hätte allen etwas zu bieten.

Das spannendste Thema in Europa ist Europa: Wie sich die einst verfeindeten Staaten zusammengerauft haben und was für faszinierende Möglichkeiten sich heute daraus ergeben. Das ist die Geschichte, die man in Indien und Brasilien erzählen kann, wo nationalstaatliche Initiativen aus Europa wie Zeugnisse komischer Kleinstaaterei wirken. Warum eröffnet nicht jeder Berliner Bezirk ein Büro in Brasilia? Europa muss sich ernst nehmen.

Das Budget dieser bedrohten Häuser ist die Prämie unserer geostrategischen Lebensversicherung. Weg damit? Vielleicht wird Goethe ganz groß im Südpazifik oder big in Japan? (Wobei, Osaka soll auch geschlossen werden.)

Die Schließung all dieser europäischen Goethe-Institute in den Provinzen, also dem Herzen der bildungsbürgerlich ambitionierten Zivilgesellschaft, ist ein grober Fehler der auswärtigen Kulturpolitik, Ausweis der strategischen Kurzsichtigkeit der Koalition und der helle Wahnsinn.

Ich habe mir nicht viel von der Serie über Bernard Tapie versprochen, aber dann blieb ich doch fasziniert bis zum Ende dabei. Es ist der seltene Fall einer biografischen Darstellung, in der der Protagonist durchgehend unsympathisch bleibt. Das ist das Verdienst des Hauptdarstellers Laurent Lafitte, der den Tapie gerade so interessant spielt, dass man weiter schaut, aber wiederum so wahrhaftig, dass die kriminelle Energie des Mannes deutlich wird. In keinem Moment ist man von Tapie gerührt oder auch nur angenehm überrascht. Die wichtigste Szene kommt, als Tapie mit dem Staatsanwalt Éric de Montgolfier zu tun bekommt: preiswürdiges Fernsehen. Frankreich hatte auch einen Donald Trump, ihn aber früh zu stoppen gewusst.

https://www.netflix.com/de/title/81087883?s=i&trkid=0&vlang=de&clip=81683168 (Öffnet in neuem Fenster)

Ich habe mir neulich einen alten Kugelschreiber ersteigert: Den "Leonardo" von Montblanc gab es zu meiner Studienzeit zu einem relativ günstigen Preis.

Wenn ich mich nicht irre lag der bei achtzig D-Mark, was heute gefühlt fünfzig Euro wären. Es war ein stabiler und zuverlässiger Stift aus Edelstahl, der von einer albernen, mich aber doch ansprechenden Renaissance meets Bauhaus Werbekampagne begleitet wurde. Einziger Nachteil: Mitstudierende und andere Tagediebe fanden an ihm gefallen, liehen ihn sich kurz aus - und ich scrolle heute auf Ebay. Von diesem Hersteller gibt es heute zu diesem Preis vielleicht eine Büroklammer. Das Hamburger Haus, das einem internationalen Luxuskonzern gehört, setzt ganz auf reiche Menschen, auf limited editions. Der Stift wird zur Kapitalanlage. In unserer Stadt wird ein bis dato bescheidener kleiner Uhrenladen nun im großen Stil zur Montblanc-Repräsentanz umgewidmet. Alle Papeterien hier haben dichtgemacht. Nun gibt es Kulis und Co neben Uhren, Manschettenknöpfen und extra dünnen Aktentaschen. Und für zweistellige Beträge gerade mal Tintenpatronen. Als Student hätte ich dort nichts verloren.

Nur ein Kuli. Aber auch ein Zeuge für die Erosion der Mittelschicht, des Bildungsbürgertums und diesen verstörenden und bedrohlichen Prozess: Die winzige Gruppe der Superreichen bekommt immer schneller immer mehr wirtschaftliches, politisches und kulturelles Gewicht.

Lange bevor die Kochshows so wichtig wurden, die Köchinnen und Köche wie Stars und Models wirken mussten und als das Fernsehen noch nicht diesem schnellen Rhythmus folgte, gab es Jean-Luc Petitrenaud. Seine kulinarischen Reisen absolvierte er in einem englischen Taxi, trug komische Brillen und Westen und man wusste schon damals nicht, was das soll. Aber er entfaltete eine enthemmte Begeisterung für alle Ecken Frankreichs und die dort angebotenen Speisen und Spezialitäten. In seinen Sendungen wird geschlemmt und getrunken, als sei das Cholesterin noch nicht erfunden worden. Ein Schlitzohr war er auch.

Der Chef des gleichnamigen Restaurants Gramond - heute leider verstorben, der Laden geschlossen - in der Rue de Fleurus in Paris erzählte mir mal, wie ihn die Polizei eines frühen Morgens wegen Trunkenheit vom Mofa holte. Dabei kam Gramond gerade vom Einkauf in den Markthallen von Rungis: Soll ich in Rungis etwa Kaffee trinken? Erboste er sich! Statt den Rechtsweg einzuschlagen, begab er sich ins Studio zu Jean-Luc Petitrenaud, der gerade seine Radiosendung moderierte. Gramond beschwerte sich live über diese polizeiliche Willkür, die die französische Gastronomie bedroht: Ohne Wein kann er nicht vernünftig einkaufen, ohne Mofa nichts in seine Küche schaffen – der Untergang droht! Petitrenaud machte die Sache zu einem Riesenskandal: Schließlich war Gramond der Lieblingskoch von John Wayne gewesen, aber das ist eine andere Geschichte. Und wie läuft so was dann in Frankreich? Noch am selben Nachmittag hielt ein Bote vor dem Bistro in der Rue de Fleurus und Gramond hatte seine Fahrerlaubnis retour.

In dieser Folge besucht Petitrenaud Marseille und alles daran ist erstaunlich:

https://youtu.be/ADXAnOBu_Ec?si=VbHIN-uE18MsEqix (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch,

Ihr

Nils Minkmar

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