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Vogelgrippe: Was du jetzt wissen musst!

H5N1 geht viral – zumindest als Thema in den sozialen Netzwerken. Aber wie ist der aktuelle wissenschaftliche Stand zur Vogelgrippe und wie sehen die wahrscheinlichsten Zukunftsszenarien aus? Was Frettchen damit zu tun haben, und ob wir weiter bedenkenlos Milch trinken können, erfährst du in diesem Post. Und damit herzlich willkommen zum ersten Nerdletter (:

Was bisher geschah …

Seit dem Jahr 2020 kursiert die H5N1-Variante der Vogelgrippe nachweislich bereits in Wildvogelpopulationen überall auf der Welt. Der Wissenschaft ist H5N1 übrigens noch nicht nerdig genug, weswegen du in diversen Quellen vielleicht auch von HPAI liest (klar, irgendwas mit AI, aber das steht eigentlich für Highly Pathogenic Avian Influenza, was ich jetzt mal mit sehr krankmachende Vogelgrippe übersetzen würde).

So weit, so erwartbar. Vogelgrippe in Vögeln.

Leider blieb das nicht so. Für Aufsehen in der Wissenschaft und auch in Teilen der Medienwelt sorgte im März 2024 der Nachweis von H5N1 in Kühen in Milchbetrieben mehrerer US-Bundesstaaten. Es fand also ein Wirtswechsel statt. Was beim Barhopping okay ist, kann bei Viren problematisch sein. Denn wenn ein Virus, der eigentlich nur Vögel befällt, plötzlich auch Kühe infiziert, dann ist der Weg zu anderen Säugetieren (wie uns Menschen) nicht mehr weit. Und so kam es, wie es kommen musste. Mit Stand vom 6. September 2024 berichtet die CDC, die zentrale Gesundheitsbehörde in den USA, von 14 Fällen, in denen sich Menschen mit H5N1 angesteckt haben.

Alles halb so mild?

Die gute Nachricht: Die meisten der mit H5N1 infizierten Menschen hatten nur milde bis moderate Grippesymptome. Die weniger gute Nachricht: Während 13 der 14 Infizierten nachweislich Kontakt zu infizierten Tieren hatten, die an der Vogelgrippe erkrankt waren, gab es eine Person aus dem Bundesstaat Missouri, die mit H5N1 sogar ins Krankenhaus gebracht werden musste – und das ohne jeden Kontakt zu infizierten Tieren. Fachleute interpretieren diesen Fall so: Es scheint möglich (wenngleich sehr unwahrscheinlich) zu sein, dass H5N1 Menschen direkt infizieren kann. Um zu verstehen, wie solche Infektionen und Übertragungen beim Menschen ablaufen könnten, müssen wir nach Texas schauen. Dort wurde nämlich ein H5N1-Virus isoliert, und zwar von einem infizierten Menschen, der in einem Milchbetrieb gearbeitet hatte. Dieser Virus wurde TX/37 genannt und danach in Frettchen getestet.

Auf die Frettchen, fertig, los!

Vielleicht fragst du dich jetzt: Was zum Frettchen? Aber die Tiere eignen sich besonders gut zur Erforschung von Viren, die sich in den Atemwegen von Säugetieren einnisten können. Tut dies auch TX/37? Leider ja. Obwohl der Virus immer noch Vögel infizieren kann, verbreitete er sich auch innerhalb der Frettchen. H5N1-Viren, die vor den Ausbrüchen in Molkereibetrieben isoliert worden waren, konnten dies nicht so gut. Das ist besorgniserregend, weil TX/37 nachweislich besser menschliche Zellen infizieren kann als frühere Vogelgrippeviren. In Zukunft könnte die Vogelgrippe also noch mehr zur Säugetiergrippe mutieren.

Foto: Steve Tsang

Die aktuellen Befunde liefern immerhin mindestens einen Grund zur Hoffnung. Denn eine durchgemachte Infektion mit saisonalen Grippeviren könnte Menschen vor H5N1 schützen. Vor allem Ü60-Jährige hätten demnach wahrscheinlich bereits einen Immunschutz, weil sie schon mehr Infektionen als Jüngere durchgemacht und dabei Antikörper produziert haben, die auch Vogelgrippeviren neutralisieren können.

Und noch eine gute Nachricht: Milch können wir auch weiterhin bedenkenlos trinken, selbst wenn sie von mit H5N1-infizierten Kühen stammt. Wichtig dafür: Es sollte keine Rohmilch sein. Handelsübliche H-Milch ist pasteurisiert (haltbar gemacht). Dabei werden Viren aller Art mit hohen Temperaturen und hohem Druck unschädlich gemacht. Einem Bericht zufolge gibt es dann zwar immer noch ein Risiko, falls die sich H5N1-Viren am Equipment in den Molkereien festsetzen und diese nicht richtig gereinigt werden. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass das zu einer Infektion von Menschen führt, die H-Milch aus einer “dreckigen” Molkerei konsumieren, ist verschwindend gering.

Foto: Kylee Alons

Vogelgrippe auf der Kippe? Das sagt die Chaos-Theorie!

Wird H5N1 also zur nächsten Pandemie? Nach allem, was ich gelesen habe, sind die meisten Fachleute der Meinung, dass das sehr unwahrscheinlich ist. Denn bisher findet eigentlich keine Übertragung über die Atemluft statt, außerdem ist die Infektion von Menschen ineffizient und auch unsere Immunabwehr funktioniert gut gegen H5N1. Insofern bräuchte es noch einige zusätzliche Mutationen, damit die Vogelgrippe für uns Menschen richtig gefährlich wird. In einer Arbeit hat ein Team versucht, die Wahrscheinlichkeit dafür auszurechnen, dass die Vogelgrippe sich auf den Menschen überträgt. Dazu nutzten die Forschenden aus Italien ein mathematisches Modell, das der Chaos-Theorie entstammt. Dabei wird ein Parameter r bestimmt, der in dem Fall angibt, wie stark sich H5N1 ausbreiten kann. Das Ergebnis: r lag immer zwischen 0,01 und 0,56. Gefährlich wird es erst, wenn r deutlich größer als 1 wird. Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass H5N1 als Gefahrenherd für den Menschen erlischt. Also: Keine Angst vor H5N1-Chaos!

Das ist doch erstmal beruhigend. Kuhl bleiben.

Drei Nerd-Fakten in aller Kürze

  • In diesem Jahr sind nur wenige Menschen an der Vogelgrippe erkrankt, von denen die meisten schlimmstenfalls einen moderaten Verlauf hatten.

  • Kühe in Milchbetrieben in den USA infizieren sich immer häufiger mit H5N1, aber deren Milch können wir bedenkenlos trinken, wenn sie haltbar gemacht (pasteurisiert) wurde.

  • Die Wahrscheinlichkeit, dass die Vogelgrippe zur Pandemie wird, und viele Menschen schwer daran erkranken, ist (Stand heute) sehr gering.

Ich freue mich, wenn du bei der nächsten Ausgabe wieder dabei bist!

Quellen

A. J. Eisfeld u. a., „Pathogenicity and transmissibility of bovine H5N1 influenza virus“, Nature, Bd. 633, Nr. 8029, S. 426–432, Sep. 2024, doi: 10.1038/s41586-024-07766-6 (Öffnet in neuem Fenster).

V. Yu. Marchenko u. a., „Characterization of H5N1 avian influenza virus isolated from bird in Russia with the E627K mutation in the PB2 protein“, Sci Rep, Bd. 14, Nr. 1, S. 26490, Nov. 2024, doi: 10.1038/s41598-024-78175-y (Öffnet in neuem Fenster).

P. H. Brigleb u. a., „Immune History Modifies Disease Severity to HPAI H5N1 Clade 2.3.4.4b Viral Challenge“, 23. Oktober 2024. doi: 10.1101/2024.10.23.619695 (Öffnet in neuem Fenster).

F. Branda, M. Ciccozzi, und F. Scarpa, „New human H5N1 case: Should we worry? A genetic perspective“, New Microbes and New Infections, Bd. 62, S. 101510, Dez. 2024, doi: 10.1016/j.nmni.2024.101510 (Öffnet in neuem Fenster).

V. Le Sage u. a., „Pre-existing H1N1 immunity reduces severe disease with bovine H5N1 influenza virus“, 23. Oktober 2024. doi: 10.1101/2024.10.23.619881 (Öffnet in neuem Fenster).

Y.-T. Li u. a., „From emergence to endemicity of highly pathogenic H5 avian influenza viruses in Taiwan“, Nat Commun, Bd. 15, Nr. 1, S. 9348, Okt. 2024, doi: 10.1038/s41467-024-53816-y (Öffnet in neuem Fenster).

J. A. Pulit-Penaloza u. a., „Transmission of a human isolate of clade 2.3.4.4b A(H5N1) virus in ferrets“, Nature, Okt. 2024, doi: 10.1038/s41586-024-08246-7 (Öffnet in neuem Fenster).

C. Gu u. a., „A human isolate of bovine H5N1 is transmissible and lethal in animal models“, Nature, Okt. 2024, doi: 10.1038/s41586-024-08254-7 (Öffnet in neuem Fenster).

G. Palù, P. F. Roggero, und A. Calistri, „Could H5N1 bird flu virus be the cause of the next human pandemic?“, Front. Microbiol., Bd. 15, S. 1477738, Okt. 2024, doi: 10.3389/fmicb.2024.1477738 (Öffnet in neuem Fenster).