Gaming: Wie Videospiele dein Gehirn verändern
Videospiele sind enorm populär. Fast genauso populär ist die Debatte darum, was Gaming eigentlich mit unserem Gehirn anstellen kann – im Guten wie im Schlechten. Damit herzlich willkommen zum Nerdletter Vol. 4!
Ich will doch nur spielen
Spielst du Videospiele? Falls, ja, welche? Empfehle mir gern deine Gaming-Hits in den Kommentaren. Ich spiele gerade TerraScape, ein Mittelalter-Aufbau-Puzzle-Spiel im Stile von Dorfromantik, auf meinem Lenovo Legion Go, wie oben auf dem Bild zu sehen ist. Doch ganz egal, ob Handheld, Konsole, Rechner oder Smartphone: Deutschland spielt.
Zahlenspiele
Einundneunzig Prozent. In Zahlen: 91%. So hoch ist der Anteil der 16- bis 29-Jährigen in Deutschland, der nach eigenen Angaben zumindest hin und wieder Videospiele spielt (Stand 2023). In der Altersgruppe zwischen 30 und 49 Jahren sind es immerhin noch knapp drei Viertel (74%); und selbst die über 65-Jährigen haben noch lang nicht ausgespielt und sind mit 19% noch gut dabei.
Übrigens: Frauen sind in der Gaming-Industrie noch unterrepräsentiert (29%) , dabei sind 48% der Leute, die Videospiele spielen, Frauen. Das Gaming-Studio Fein Games wirkt dem aktiv entgegen. Nicht nur, dass Geschichten, die in deren Spielen erzählt werden, frei von Stereotypen (sic!) sind. Fein Games bezahlt auch Disziplin-unabhängig. Das bedeutet, Angestellte, die programmieren, erhalten genauso viel Lohn, wie die, die sich um das Artwork kümmern. Das sollte in der Systembiologie auch mal Schule machen, wo Leute aus der Informatik meist mehr Geld erhalten als die aus der Biologie; obwohl sie an denselben Projekten arbeiten. Aber zurück zu Videospielen.
Gaming fürs Gehirn
Warum spielen wir? Ich spiele, weil es mich entspannt, ablenkt und in andere Welten eintauchen lässt. Außerdem löse ich gern Rätsel und lerne Geschichten. Auf Neurobiologisch sagt man: Das Belohnungssystem wird aktiviert; oder noch nerdiger: der Nucleus accumbens. Wie funktioniert das? Zunächst mal braucht es einen Stimulus. Das ist ein Reiz von Außen, wie etwa eine Mahlzeit, ein erreichtes Ziel, oder soziale Anerkennung. Solche Reize führen zur Ausschüttung von Dopamin, ein Botenstoff im Gehirn, der u.a. den Nucleus accumbens aktiviert. Dadurch verspüren wir ein Glücksgefühl. Diese angenehme Befriedigung sorgt dafür, dass wir uns ein Verhalten angewöhnen, das das Belohnungssystem aktiviert. Beispiele sind das Verzehren leckeren Mahlzeit, oder das Ausgehen mit netten Menschen. Im Positiven sorgt das Belohnungssystem für Lerneffekte und Motivation. In Videospielen können etwa erfüllte Quests, höhere Level und andere Spielmechaniken den Nucleus accumbens triggern.
Doch Vorsicht, das Belohnungssystem lässt uns nicht nur Glück empfinden, sondern es kann auch Suchterkrankungen (dazu unten mehr) und extremes Verhalten auslösen. Beispielsweise ist im Extremsport das Belohnungssystem enorm involviert. Und Extremsport kann gesund sein, aber auch schnell gefährlich werden. Aber schauen wir uns jetzt erstmal Gaming und Gesundheit mal genauer an!
Spiel des Lebens
Welches gesundheitsfördernde Potenzial steckt im (Video-)Spielen? Action-Spiele können unsere Aufmerksamkeit und Wahrnehmung verbessern. Das macht Sinn, immerhin wird man im Spiel darauf trainiert, den Bildschirm nach Feinden abzusuchen und auf diese schnellstmöglich zu reagieren. Auch wird unsere Navigationsfähigkeit verbessert – zumindest in der virtuellen Spielwelt. Im Real Life finden sich selbst Leute, die durch Gaming geübt im Navigieren sind, nicht besser zurecht als die Kontrollgruppe ohne Gaming-Erfahrung. Durch Videospiele verbesserst du dich also am ehesten in Fähigkeiten, die in Videospielen nützlich sind.
Was bringt dir Gaming für das echte Leben? Das hängt auch von deinem Alter bzw. deinen Vorerkrankungen ab. Im Alter können Videospiele nämlich dazu führen, dass das Arbeitsgedächtnis und die Aufmerksamkeitsspanne länger erhalten bleiben, was bei therapeutisch eingesetzten Videospielen auch gegen Demenz helfen könnte. Ein weiteres Beispiel für eine Krankheit, bei deren Behandlung Videospiele zum Einsatz kommen, ist die Amblyopie. Dabei handelt es sich um eine Sehschwäche des Auges, die bereits im Kindesalter auftritt und nicht auf organische Fehlfunktionen des Auges zurückgeführt werden kann. Etwa 5% der Bevölkerung leiden unter Amblyopie. Bei ihnen ist die Sehschärfe mindestens eines Auges extrem geschwächt. In meiner Kindergartengruppe hatte ein Kind deshalb ein Auge abgeklebt. Doch das Scharfsehen kann erlernt werden. Das Gehirn muss die richtige Reizverarbeitung durch das betroffene Auge erlernen, was mit Videospielen erleichtert werden kann. Dazu wird das gesunde Auge abgeklebt und ein Videospiel wird gespielt, das nur durch das schwache Auge gesehen werden kann. So lernt das Gehirn allmählich durch das schwache Auge zu sehen und die Sehschärfe verbessert sich schrittweise. Klar ist Gaming damit noch lange kein Allheilmittel, aber es kann in bestimmten Situationen unsere Gesundheit verbessern.
Glück im Spiel?
Im Sommer gab es eine wissenschaftliche Studie aus dem Journal Nature Human Behaviour, die in den Medien für Aufsehen gesorgt hat. Das Framing dabei gefiel mir jedoch überhaupt nicht: Es ging immer wieder um die Killerspiele-führen-zu-Amokläufen-These, die abseits anekdotischer Evidenz (“Aber hat der Amokläufer XY nicht auch Killerspiele gespielt??”) wenig stichhaltig ist. Die erwähnte Studie behandelte jedoch überhaupt keine Amokläufe, sondern die Pandemie und die mentale Gesundheit im Zusammenhang mit Videospielen in Japan zwischen 2020 und 2022. In Japan gibt es nämlich regelmäßig Lotterien, und die Leute, die an einer solchen Lotterie teilnahmen, wurden für die wissenschaftliche Studie rekrutiert. Denn bei der Lotterie gab es Spielekonsolen zu gewinnen: entweder die Sony PlayStation 5 oder Nintendo Switch. So konnte das Forschungsteam die mentale Gesundheit der Leute untersuchen, die eine Konsole gewannen und mit der Kontrollgruppe vergleichen, die leer ausging. Wenig überraschend sorgte der Gewinn bei der Lotterie zunächst für ein kurzfristiges Glücksgefühl. Interessant war jedoch, dass das geistige Wohlbefinden auch danach verbessert war, wenn die Leute zwischen ein bis drei Stunden pro Tag Videospiele spielten. Zur Erinnerung: Das war während der Pandemie, da konnte man vermutlich nicht viel anderes machen. Dennoch zeigte sich ein deutlich anhaltendes Glücksgefühl durch Videospiele. Der Stresspegel sank, was speziell auf Videospiele zurückzuführen war und nicht auf andere Bildschirmzeit (wie etwa – wenig verwunderlich – auf Social Media). Klar war die Studie nicht perfekt, Pandemie und so, aber doch lebensnaher als Laborversuche, und die Lotterie sorgte für eine zufällige Einteilung der Versuchsgruppen. In einem gewissen Maße können dich Videospiele also glücklich machen. Leider gibt es auch ein Zuviel des Guten.
Der Spieltrieb
Die Wissenschaft beschäftigt sich natürlich auch mit Videospiel-Sucht, also einer krankhaften Abhängigkeit vom Gaming. Zwar gibt es keine klare Definition der “Videospielsucht”, aber eine krankhafte Abhängigkeit geht über reine Langspieldauer hinaus. Videospielsucht verändert die Persönlichkeit der Betroffenen und ihr gesellschaftliches Verhalten: Wenn Videospiele krank machen, verändert sich die Aktivität im Gehirn in Regionen, die für Entscheidungsfindung, Impulskontrolle und Belohnung (denke an den Nucleus accumbens!) zuständig sind. Die Veränderungen der Hirnaktivität bei Videospielsüchtigen sind vergleichbar mit denen von Menschen, die drogenabhängig sind, wobei die zugrundeliegenden Mechanismen noch erforscht werden müssen. Auch ist eine Abgrenzung zur Internetsucht und anderen mentalen Erkrankungen wichtig, um gezielte Behandlungen bei Videospielsucht entwickeln zu können. Formen der Psycho-/Verhaltenstherapie scheinen bisher erfolgsversprechend zu sein. Allerdings ist die Studienlage nicht sehr einheitlich und methodisch wenig vergleichbar. Es braucht also noch mehr Forschung. Solltest du Probleme in deinem Umgang mit Videospielen wahrnehmen, ist das nichts, was dir peinlich sein muss, denn gerade Handyspiele sind teilweise extra darauf ausgelegt, dass Menschen danach süchtig werden. Unter folgendem Link kannst du dich umfassender informieren und auch ein Online-Beratungsangebot wahrnehmen:
https://www.ins-netz-gehen.de/ (Öffnet in neuem Fenster)Game on
Du siehst, dass die Faktenlage zu Videospielen facettenreich ist. Ich werde die Fachliteratur für dich auch weiterhin im Auge behalten. Kennst du Leute, für die das interessant sein könnte, dann leite denen doch diesen Text weiter. Bis zum nächsten Nerdletter werde ich jetzt noch ein paar Runden TerraScape spielen. Und was spielst du so? Oder worüber würdest du gerne im Nerdletter lesen? Lass es mich hier wissen:
Drei Nerd-Fakten in aller Kürze
Videospiele werden von vielen Menschen in Deutschland gespielt, dabei wird im Gehirn das Belohnungszentrum aktiviert.
Videospiele können die mentale Gesundheit verbessern, zumindest im Vergleich zu Menschen, die gar nicht spielen.
Videospiele können süchtig machen.
Gender und Gaming (zuletzt aufgerufen 29.12.2024):
Interview mit Fein Games (zuletzt aufgerufen 29.12.2024):
J. A. Gottfried, Hrsg., Neurobiology of sensation and reward. in Frontiers in neuroscience. Boca Raton: Taylor & Francis, 2011.
Y. Xie und L. Tang, „The symptom network of internet gaming addiction, depression, and anxiety among children and adolescents“, Sci Rep, Bd. 14, Nr. 1, S. 29732, Nov. 2024, doi: 10.1038/s41598-024-81094-7 (Öffnet in neuem Fenster).
J. Kim u. a., „Psychological treatments for excessive gaming: a systematic review and meta-analysis“, Sci Rep, Bd. 12, Nr. 1, S. 20485, Nov. 2022, doi: 10.1038/s41598-022-24523-9 (Öffnet in neuem Fenster).
H. Egami, Md. S. Rahman, T. Yamamoto, C. Egami, und T. Wakabayashi, „Causal effect of video gaming on mental well-being in Japan 2020–2022“, Nat Hum Behav, Bd. 8, Nr. 10, S. 1943–1956, Aug. 2024, doi: 10.1038/s41562-024-01948-y (Öffnet in neuem Fenster).
D. Bavelier, C. S. Green, D. H. Han, P. F. Renshaw, M. M. Merzenich, und D. A. Gentile, „Brains on video games“, Nat Rev Neurosci, Bd. 12, Nr. 12, S. 763–768, Dez. 2011, doi: 10.1038/nrn3135 (Öffnet in neuem Fenster).
J. A. Anguera u. a., „Video game training enhances cognitive control in older adults“, Nature, Bd. 501, Nr. 7465, S. 97–101, Sep. 2013, doi: 10.1038/nature12486 (Öffnet in neuem Fenster).
A. Ming, T. Schubert, V. Marr, J. Hötzsch, S. Stober, und P. R. Mertens, „Video game-based application for fall risk assessment: a proof-of-concept cohort study“, eClinicalMedicine, Bd. 78, S. 102947, Dez. 2024, doi: 10.1016/j.eclinm.2024.102947 (Öffnet in neuem Fenster).