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90 Tage ohne Alkohol 

Es ist Samstag, der 18. Juni 2022. Ich blicke aus meinem Küchenfenster und zurück auf die vergangenen 90 Tage. Ganze drei Monate ist es nun her, seitdem ich das letzte Mal getrunken habe. Funfact: Ich erinner mich nicht mal mehr an mein letztes Glas. Ich glaube es war ein Aperol. Oder ein Frangelico. Spielt es eine Rolle? Eigentlich nicht. Genauso wenig der Tag an dem ich aufgehört habe. Hauptsache ich habe aufgehört. Das ist für mich das wichtigste. 🍷🙅🏻‍♀️

Kurzer Check: Wie geht es mir? Wie fühle ich mich?

  • Psychisch ist es ein Auf und Ab.
    Ich bin sehr happy und stolz auf mich, merke, dass kein Alkohol die richtige Entscheidung für mich ist. Merke aber auch, dass mich das ganze Thema schon sehr beschäftigt. Denke viel über Alkohol, meine vergangenen Alkoholabstürze und die Rolle von Alkohol in unserer Gesellschaft nach. Hinzu kommt, dass ich in Berlin lebe, wo gerne getrunken und gefeiert wird und ich mich in einem Alter befinde wo es mir manchmal so vorkommt als würde die Gesellschaft davon ausgehen, dass ich jedes meiner Wochenenden im Club verbringen möchte. Spoiler: Tue ich nicht! Will ich (aktuell) nicht!

  • Körperlich geht es mir sehr gut.
    Ich habe keinerlei "Entzugserscheinungen", schlafe zwar mehr als sonst aber hier kann auch mein hohes Sportpensum der Grund dafür sein. Was mir in Punkto Schlaf vor allem aufgefallen ist: Ich schlafe viel tiefer, wache seltener auf und stehe im Vergleich zu "Früher" deutlich erholter auf. Das Beste: Ohne Hangover habe ich deutlich mehr Energie und Zeit, im Schnitt zwei Sonntage mehr, die ich in voller Klarheit verbringen darf.

Anders als die anderen

Gleichzeitig wird meine Entscheidung von dem Gefühl überschattet, nicht mehr dazuzugehören. Anders zu sein, kein Teil mehr von der Trinkgemeinschaft und von “Team Fun” zu sein. Die zu sein, die sich von der Menge abhebt, die mit alkoholfreiem Bier anstoßt und nur zusieht wenn eine Runde Shots runtergekippt werden. Und dann noch eine. Und noch eine. Ihr wisst schon wie es läuft…

Hallo, ich bin die Neue!

Wenn ich so darüber schreibe, kann ich eine Verknüpfung zu dem Gefühl ziehen, als ich mit meinen Eltern von Deutschland nach Österreich gezogen bin und mit 11 Jahren “die Neue” und “die Piefke” in der Volksschule war.
Die 11-jährige Caro vor 25 Kindern, die neugierig schauen, kichern, tuscheln, nichts davon wirklich böse meinen und doch ein ungutes Gefühl bei mir hinterlassen.

Fast 10 Jahre später, der Umzug von Graz nach Wien.
Anderer Ort, gleiche Situation. Ich wechsel in eine Klasse wo sich schon alle kennen und befinde mich ungewollt wieder in der Rolle der Neuen. Alle Blicke sind auf mich gerichtet, ich stelle mich vor, beende meine Vorstellung mit dem Satz "Ich freue mich hier zu sein und euch alle kennenzulernen!" 

Das tue ich auch. Meine es genauso wie ich es sage.
Und nach ein paar Wochen bin ich bereits ein fester Teil der Gemeinschaft, gehöre dazu wie alle anderen auch. Habe tolle Freund:innen dazugewonnen, gelernt offen auf Leute zuzugehen, finde mich in neuen Situationen schnell zurecht, bin sehr kommunikativ und gesellig [...].

Meine Angst, nicht dazuzugehören.

Trotzdem begleitet mich die Sorge, nicht dazuzugehören und anders als die anderen zu sein, immer noch wie ein stiller Zuschauer. Egal wohin ich gehe. Teilweise fällt es mir gar nicht mal auf oder erst sehr spät im Nachhinein.

Meine Sorge, nicht dazugehören, wird durch mein neues, nüchternes Leben natürlich zusätzlich getriggert. Wenn alle anderen um mich herum Alkohol trinken und ich nüchtern bleibe, nehme ich es sehr stark wahr, kein Teil mehr von der (Trink-)Gemeinschaft zu sein. Gefolgt von meinen Bedenken, dadurch nicht mehr gewollt oder akzeptiert zu werden. Weil ich anders bin. Und das, obwohl ich immer anders sein wollte. Oder? 🤷🏻‍♀️

Stimmt meine Selbstwahrnehmung? 

Doch wer bestimmt ob man dazugehört oder nicht? Wer macht die Regeln?
Ist es meine Wahrnehmung oder bekomme ich nur mein eigenes Verhalten gespiegelt?

Fällt es den anderen vielleicht gar nicht auf, dass ich mich manchmal unwohl und nicht akzeptiert fühle? Wie eine graue Maus, wie das Mädchen in der Schule, das nicht ganz dazu gehört und welches ich eigentlich nie sein wollte.

Hier sind wir beim altbekannten Thema Selbstwahrnehmung vs. Fremdwahrnehmung. Welches ich in der Theorie klar zuordnen kann aber in der Praxis immer wieder drüber stolper. Über meine Selbstwahrnehmung, die sich wie ein Filter über meinen Blick schiebt. Aber nicht jetzt und nicht heute!

Nur nicht auffallen.

Ich spiele mit dem Gedanken, den Barkeeper zu bitten, mein Soda Zitrone in ein Weinglas zu geben. Halte das Bier so, dass man nicht gleich sieht, dass es alkoholfrei ist. Damit es nicht auffällt. Damit ich nicht auffalle. Szenarien die sich in den ersten Wochen meiner Nüchternheit oft wiederholt haben. 🍸

Oder ich mache es wie damals nach dem Umzug in die andere Stadt. Als ich vor der neuen Klasse stehe und mich als die Neue vorstelle. Mit dem Unterschied, dass diesmal nicht die Entscheidung meiner Eltern im Mittelpunkt steht, sondern meine Entscheidung, nicht mehr zu trinken.
“Hi ich bin die Caro und ich habe aufgehört zu trinken." Punkt. Mehr gibts nicht zu sagen. Außer ich möchte mehr dazu sagen. 

Zwei, dreimal erwähnt, ist es bald nichts Neues mehr und ich habe nicht mehr das Gefühl die Andere in einer Runde von Trinkenden zu sein. Dieser Entschluss fühlt sich gut und richtig an und bekräftigt meine Entscheidung, zu meinem neuen, nüchternen Leben zu stehen! 💚

Wir lesen uns,
Caro

P.S. Was ich hier auch erwähnen will. Ich habe ganz viele tolle Leute um mich herum, die meine Entscheidung, nicht mehr zu trinken, mit mir feiern und mich unterstützen. Falls ihr das hier liest: Danke euch! Ihr gebt mir die Kraft und den Support den ich an schwachen Tagen brauche. ❤

Buch/Podcast Empfehlungen:

Hier ein paar Personen/Bücher/Podcasts, die mir bei meiner Entscheidung, keinen Alkohol mehr zu trinken, sehr geholfen haben:

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