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Lewe perfektioniert den politischen Catenaccio

Oder: Warum Münsters Lokalpolitik einer Wiener Melange gleicht obwohl ein Espresso macciato bestellt war

Politische Kultur ist nichts statisches. Sie verändert sich, ist Zeitströmungen unterworfen und ist natürlich stark von den Akteurinnen und Akteuren und deren jeweiligen Temperament und deren jeweiligen Beziehungen abhängig.

Wer sich in den letzten Monat einmal die Zeit genommen hat, und eine Ratssitzung angeschaut hat, der wird bemerkt haben: Da hat sich einiges verändert in den letzten Monaten, der Umgang miteinander ist merklich  rauher geworden, der berühmte Münster-Konsens wirkt brüchig. Oder um den Eindruck sehr pointiert zusammen zu fassen: Es tut fast schon weh, den Akteurinnen und Akteuren zu zu schauen.

Chef der Veranstaltung Ratssitzung ist der OB. Er leitet die Sitzung, führt die Rednerliste, darf kommentieren, auch selber als Chef der Verwaltung das Wort ergreifen.

Oberbürgermeister Markus Lewe leitet die letzte Ratssitzung des Jahres 2022. Ein wenig ist ihm anzumerken, dass im der TOP nicht behagt. Foto: Frank Biermann

Da er sich schon in seiner dritten Amtszeit befindet, hat er darin Routine und Erfahrung, genauso wie mit seinem anderem Job als oberster Chef der vielköpfigen Münsteraner Verwaltung, die in drei Stadthäuser u.v.a. verteilt arbeitet, ein viertes sollte sogar noch dazu kommen. Es hat sich inzwischen eingebürgert vom Konzern Stadt zu sprechen. Lewe ist also eine Art CEO. Für den Index seines Konzern gibt es keine Wertpapier-Kennummer. Man sollte nicht den Fehler machen und ihn als notorischen Händeschüttler oder wahlweise Grüß-August zu unterschätzen. Was viele dabei übersehen, der Nice Guy, kann auch eiskalter Machtpolitiker und rigoroser Wahrer seiner politischen Interessen, und die seiner Partei, der CDU sein. Die ist zwar immer noch stärkste Fraktion im Rat. Regieren tuen andere, die die mehr Stimmen bekommen haben als die CDU: Grüne, SPD, Volt, Internationale Fraktion zuletzt sogar mit Support der F.D.P. zumindest in persona von Fraktionschef Jörg Berens.  Die einzigen die nie mitspielen dürfen beim praktischen Regieren sind  die CDU, in deren politischer Matrix das in Münster eigentlich eingepreist ist,  und die Linke, aber deren Fall liegt anders. Und es ist nicht davon auszugehen, dass sich daran in die Legislaturperiode noch etwas ändert. Das schafft Sicht - und hörbar Frust - auf beiden Seiten, und Tim Pasch (Volt-Ratsgruppe) zum Beispiel benennt das auch ganz offen so. Nachdem er der CDU die Leviten gelesen hat. Die Politik will Wahlversprechen angehen, die Verwaltung müsste die Vorschläge prüfen und umsetzen. Was sie zumindest aus Perspektive der regierenden Rathaus-Koalition viel zu selten gemacht, alles werde auf die lange Bank geschoben, blockiert, Masterpläne aufgestellt, Experten bestellt, Handlungskonzepte entworfen, Ideenwettbewerbe ausgelobt - Hauptsache es passiert nichts. Wenigstens nicht in einem zentralen Punkt des Koalitionsvertrages nämlich dem einer weitergehend autofreien Innenstadt, die Diskussion eskaliert schon wenn es nur um einige wenige Parkplätze im zweistelligen Bereich  auf dem Domplatz geht, da holt die CDU den verbalen Holzhammer raus, schimpft über Ideologen und Ideologien, die zum Schaden der Stadt agieren. Wie man zum Wohle der Stadt agiert, das weiß in Münster exklusiv nur die CDU und Hein Götting (F.D.P.) Wenn sich an den zunehmenden Anträgen der Rathauskoalition zur sofortiger Beschlussfassung im Rat - nicht ganz zu unrecht - Kritik entzündet, dann erklärt das der  Grünen Fraktionschef Christoph Kattentidt mit einer Notwehrsituation, in der man sich befindet. Ja, Hömma! Die politischen Hauptgegner Lewes die Grünen sind dabei alles andere als eine politische  Laienspielschar. Agieren rhetorisch auf hohem Niveau, beherrschen die Strippenzieherei im Hintergrund, ihr Parteiapparat agiert höchst professionell, alles allerdings sehr akademisch, da wo manchmal Hemdsärmeligkeit angesagt wäre. Sie  wirken gleichwohl zahn- und einfallslos, haben jedenfalls noch kein probates Mittel gefunden,  um den Riegel zu knacken, so manche steil getretene Flanke droht als Bumerang zurück zu kommen. Das ganze Dilemma der Grünen spiegelt sich in einem Satz aus der Haushaltsrede  der Grünen Fraktionssprecherin Sylvia Rietenberg wieder: „Lieber Markus, wir verstehen uns oft sehr gut. Dennoch oder gerade deshalb…      Ja, was denn nun, bitte schön: politischer Gegner oder Freund - das sollte man irgendwann einmal geklärt haben…

Hier der Rat der Stadt Münster bei einer Beschlußfassung. Die Mehrheiten in Münsters Rat bilden sich verläßlich abseits und ohne die Stimmen der größen Ratsfraktion, der CDU, der auch OB Markus Lewe angehört. Foto: Frank Biermann

So ist zum jetzigen Zeitung der Machtwechsel in Münster  nur auf dem Papier Realität und in den Schwerpunkten des Haushaltes abzulesen. Weniger in  konkret eingeleiteten Maßnahmen. Eine klare Linie mit neuer Handschrift fehlt. Lewe wird sicher weiter einiges verhindern können mit seinem politischen Catenaccio. Dieser Begriff bezeichnete eine Spielart des italienischen Fußballs, die ausschließlich  darauf abzielt, den Gegner daran zu hindern, Tore zu schiessen. Für die Zuschauer übrigens eine sehr unattraktive Spielweise. Frank Bierman

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