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„And now Hanau“ von Tuğsal Moğul

Politisches Theater, das unter die Haut geht

Politisch akzentuiertes aktuelles Theater ist auf Münsters Theaterbühnen nicht eben so häufig zu sehen. Vielleicht lag es auch daran, dass die Münster Premiere von „And now Hanau“ von Tuğsal Moğul am Freitag ausverkauft war. Gespielt wurde - und das ist Teil des Konzepts des auch Regie führenden Autors - nicht im Theater Münster, was für das Stück verantwortlich zeichnete, sondern im Rathausfestsaal. Da wo sonst der Rat der Stadt Münster tagt, gelegentlich Empfänge stattfinden, wie auch der Neujahrsempfang der AfD 2023, wo Björn Höcke vor 300 geladenen Gästen sprechen durfte. Der Autor des Stückes ist der 1969 in Neubeckum/Westfalen geborene Theaterautor, Regisseur, Schauspieler und Arzt Tuğsal Moğul, der über sein Stück sagt: „Wir wollten eine richtige Ermittlung machen, mit den Mitteln des Theaters. Und die Fakten auf den Tisch legen". Über sich selbst sagt er: „Ich bin trotz meines anders klingenden Namen durch und durch deutsch, bin hier geboren Westfale". Nach seiner Einschätzung verhielt sich die deutsche Mehrheitsgesellschaft nach Hanau „verloren hilflos und nicht im Stande etwas zu zugeben". Und so kann man hinzufügen: Niemand war bereit Verantwortung zu übernehmen.

In dem Stück wird eine einzige Nacht mit dokumentarisch-journalistischer Präzision rekonstruiert. Die Nacht des 19. Februar 2020, in der ein 46 jähriger Mann mit rechtsextremistischen Hintergrund in Hanau in sechs Minuten neun Menschen tötet und anschließend seine Mutter und sich selbst. Alle Opfer hatten migrantische Wurzeln.

Schon vor Beginn des Stückes steht das vierköpfige Schauspielensemble ganz in schwarz gekleidet auf der Bühne, macht sich an den Requisiten zu schaffen, schraubt die Scheinwerfer hoch. Dann beginnt die 90 minütige Darstellung, die die Nacht Revue passieren lässt und die Ereignisse aus der Perspektive der Opfer, deren Gesichter auf einem Bildschirm zu sehen sind, Revue passieren lässt. Focussiert und zugespitzt fast schon im Stile einer staatsanwaltlichen Anklage werden die Versäumnisse dieser Nacht ausgerollt, der Polizei, die zuletzt durch rechtsextreme Chats auch in Münster für Negativschlagzeilen sorgte, der Staatsanwaltschaft, der Politik und den Medien. Und mehr oder weniger stillschweigend hingenommen wird von der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Der daueranklagende Ton des Stückes kann ganz schön nerven. Und das ist so gewollt. Schauspieler Alaaeldin Dyab sagt in einem Interview mit dem WDR: „Wir wollen den Leuten auf die Nerven gehen, so ein Rassismus kann nicht sein, wir können so nicht miteinander leben".

Die These des Stückes : „Einiges in der Nacht wäre anders gelaufen, wenn die Opfer andere Namen gehabt hätten. Wenn sie Stefan und Marie geheißen hätten." Bedrückend die Aussagen der Angehörigen, die von sich sagen „Wir sind nach dem Tod unseres Sohnes nur noch lebende Leichen". Der deutsche Staat tut wenig um ihr Leid zu lindern. Unbeantwortet bis heute die Fragen: Wenn der Attentäter der Polizei bereits als rechtsextrem bekannt war, wieso wurde er nicht besser überwacht, wieso durfte er Waffen besitzen? Wieso war der Notruf 110 der Polizei Hanau in der Tatnacht nicht erreichbar? Wieso war der Notausgang in der Arena-Bar, einer der Tatorte, verschlossen? Warum kreiste stundenlang ein Polizei-Hubschrauber ohne klare Anweisungen über dem Haus des Täters? Das Stück hat den Anspruch aufzuklären und unternimmt den gelungenen Versuch, den Kreislauf von Desinformation und Vertuschung zu durchbrechen.

in dem dialogreichen dichten Stück gab es für das Publikum kaum eine Atempause, bis auf eine Schweigeminute. Dass es einen richtigen Nerv getroffen hatte, bewiesen die standing ovations am Ende der Aufführung. Im Theatertreff an der Neubrückenstraße gab es die Möglichkeit, noch weiter über das Stück zu reden.

Frank Biermann

Weitere Vorstellungstermine:

Mittwoch 31. Mai 2023,19.00, Mittwoch, 7. Juni 2023,19.00, Freitag 9. Juni 2023,19.00, Donnerstag.15. Juni 19.00 Uhr, jeweils im Landgericht Münster (Am Stadtgraben 109)

Karten gibt es an der Theaterkasse oder online über die Homepage des Theaters

https://www.theater-muenster.com/.../and-now-hanau-45.html (Öffnet in neuem Fenster)


Bild: Viel Applaus für Schauspieler*innen der Theater Münster und Oberhausen: v.li (Öffnet in neuem Fenster). nach re.: Alaaeldin Dyab, Tim Weckenbrock, Regina Leenders und Agnes Lampkin. Foto: Frank Biermann

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