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Lass knallen

Warum wir die Postmoderne lieben

Dem aufrechten Moderne-Liebhaber war die postmoderne Architektur insbesondere in ihrer Spätphase suspekt: Mit Türmchen, Zipfeln, Schreifarben und in opulentem Materialmix aufgetakelt, entstand in den späten 1980ern eine Villa Kunterbunt nach der anderen. Und die neue Sinnlichkeit wurde nicht nur von wenigen experimentierfreudigen Außenseitern gefeiert – sie war allgegenwärtig. Schulen, Museen, Sparkassen, Hotels, Kaufhäuser – alle zelebrierten den (vermeintlichen) Abschied von der als öde empfundenen Gradlinigkeit im Geiste des Neuen Bauens. Und vom grauen Brutalismus, dessen Hervorbringungen irgendwann das menschliche Maß aus den Augen verloren hatten. Die IBA Berlin widmete sich 1987 ganz den postmodernen Wohnkonzepten, und die Eröffnungsausstellung des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt hieß 1984 auch noch "Die Revision der Moderne". Bald darauf stieg auch Friedensreich Hundertwasser ganz groß ins Architekturgeschäft ein. Es schien vorbei insbesondere mit dem transparent-luftigen Bauen der Nachkriegsjahre. Die Zukunft war bunt.

Stuttgart, Staatsgalerie (Bild: Immanuel Giel, CC BY SA 4.0 (Öffnet in neuem Fenster))

War sie nicht: In der Rückschau hat sich die Postmoderne dann doch nicht etabliert. Ihr Schwelgen in mannigfaltigen Materialien und ihre Detailfreude kosteten halt auch Geld. Das wollte irgendwann - außer ein paar Volksbanken - niemand mehr ausgeben. Und mit Architektur ein klar lesbares Statement zu setzen, kam etwa ums Millennium aus der Mode. Bald wurde vorrangig "Stadtbildreparatur" betrieben - und sich dafür auf die Schulter geklopft. Beige Kunststeinplatten und hochrechteckige Fenster gewannen wieder die Oberhand, Ornament wurde wieder Verbrechen. So, als hätte die Angst aufzufallen sämtliche Bauherren ergriffen. Nun mussten nur noch die Proportionen stimmen und alles den Augen durch solide Unauffälligkeit schmeicheln.

Idar Oberstein (Bild: Gregor Zoyzoyla (Öffnet in neuem Fenster))

Umgeben von lauwarmer zeitgenössischer Architektur lernt man die Postmoderne nach und nach doch noch schätzen. Sei es, weil sie in ihrer grenzenlosen Zitierfreudigkeit sich eben doch auch bei (Spät-) Moderne und Brutalismus bedient und durchaus eine Kontinuität erkennen lässt. Sei es, weil der Reiz des Schrägen, ist es erst mal alt genug und außer Mode, alles in einem sympathischeren Licht stehen lässt. Oder sei es, weil die Bauten der 1980er bis Mitte/Ende der 1990er Jahre für eine (leider nicht offiziell) abgeschlossene Epoche stehen: So aufwendig - und so plakativ-aussagekräftig - wird längst nicht mehr gebaut. In jedem heutigen Grinsen angesichts einer überkandidelten PoMo-Fassade steckt auch ein bisschen Bewunderung. Und längst die Sorge, ob jenes Gebäude die kommenden Jahre unbeschadet überstehen wird. Denn natürlich sind die Bauten dieser Ära nach drei bis vier Jahrzehnten sanierungsbedürftig - was im Übrigen einem ziemlich normalen Turnus entspricht. Und angesichts der enthemmten Bodenpreise sind sie in den Filetlagen der Städte immer häufiger akut vom Abriss bedroht: Das Postamt am Hauptbahnhof Mannheim (übrigens eine der wunderbarsten PoMo-Städte) ist zugunsten eines unmaßstäblichen Hotelhochhauses gefallen. Der Woolworth Kiel ist ebenso weg wie die Zeilgalerie in Frankfurt am Main, die nicht einmal 25 Jahre Bestand hatte. Der Kopfbau der "Nutheschlange" in Potsdam, geplant von Hinrich Baller und erst 2003/04 bezogen, droht zu fallen. Und im DAM wurde "Die Revision der Postmoderne" bereits 2004 propagiert - als manche noch gar nicht von ihrem Ende ahnten …

Idar Oberstein (Bild: Gregor Zoyzoyla (Öffnet in neuem Fenster))

Die prominentesten PoMo-Bauten mögen sich in den großen Städten finden: Leuchttürme wie die Stuttgarter Staatsgalerie, die Frankfurter Römerbergbebauung mit der Schirn-Kunsthalle, oder auch der Berliner Hauptbahnhof, der gerade noch als Spät-Postmoderne durchgeht. Ihre Architekten James Stirling, Charles Moore, Renzo Piano und Gerkan, Marg und Partner sind aber auch Namen, die Klang haben. Spannender ist es in den Kleinstädten, wo sich oft Wohnanlagen, Stadthallen, Rathäuser und Sparkassen-Filialen von feinster Überdrehtheit verstecken. Bisweilen sind es auch Verkehrswege wie die Durchgangsstraße in Idar-Oberstein oder die Bundesstraße 10, die sich zwischen Landau und Pirmasens mit hinreißenden Brücken, Aussichtsplattformen und Lärmschutzwänden durch den Pfälzerwald zieht.

Mannheim, Post am Hauptbahnhof (inzwischen abgerissen) (Bild: Ulf Kloß (Öffnet in neuem Fenster))

Dort, wo der Veränderungsdruck bislang nicht so hoch war, haben sich wunderbare Pomo-Bauten erhalten, lässt sich im Rückblick zudem konstatieren, dass etwa Idar-Oberstein, Mannheim, Ludwigshafen, Kiel oder auch das Kölner Umland wohl zu den boomenden Regionen zählten. Der Boom war irgendwann zumindest architektonisch vorbei, und zur großen Renaissance der Mittelstädte ist es bislang nicht gekommen. In ihnen bedrohen nicht so sehr die Immobilienpreise den Baubestand, sondern höchstens die Eigentümer. Sie können mit Wärmedämmung, Solarkollektoren, Gabionen-Einfriedungen und Schottergärten zwar auch Schreckliches anrichten, doch sind die Verluste bislang überraschend überschaubar. Das gilt auch für die neuen Bundesländer, in denen gerade in den frühen Jahren nach der Wiedervereinigung noch munter postmodern gebaut wurde, während man in Hamburg oder Berlin schon nach neuen Motiven suchte.

Hamburg, Hauptbahnhof (Bild: Daniel Bartetzko)

Mittlerweile bleibt also zu hoffen, dass die Landesdenkmalämter ihre Mitarbeiter beim Kartieren der 1980er Jahre auch in die Provinz ausschwärmen lassen. Dass viele Hausbesitzer den Wert ihrer postmodern gestalteten oder wenigstens beeinflussten Immobilie weiterhin schätzen. Und dass die baugeschichtliche Einordnung – und Akzeptanz - dieser Ära nicht erst geschieht, wenn kaum noch etwas übrig ist von ihr. Wenn wir nicht aufpassen, bleiben vielleicht nur noch die Bauten von Friedensreich Hundertwasser.

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Text: Daniel Bartetzko, 2020; Titelmotiv: Martin Maleschka (Öffnet in neuem Fenster), 2017

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