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Stille und Kaffee

Mareike war überfordert.

Sie war überfordert und wusste es. Jeden Tag fuhr sie mit dem Fahrrad zu ihrer Schule und ihre Hände umklammerten mit solch einer Anspannung den Lenker, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.

Sie war Realschullehrerin für Biologie und Chemie an der Hochfried-Schule in Neuenburg und sollte sich eigentlich freuen. Mareike hatte direkt nach dem Referendariat eine Planstelle bekommen und da sie ungebunden war, hatte sie ihre Sachen gepackt und war von Erlangen nach Neuenburg gezogen. Ihre Freunde und ihre Eltern hatten das für keine so gute Idee gehalten.

„Du kennst dort doch niemanden“, hatte Lena, ihre Mitbewohnerin in der WG gesagt.

„Was machst du dann jeden Abend? Abwechselnd Netflix und die Wand angucken ist auch keine Dauerlösung“.

Und ihre Mutter hatte ihr sofort geraten, einen Jahresvorrat an Pfefferspray zu besorgen. Doch Mareike ließ sich nicht umstimmen. Das war ihre Chance, Fuß in der Arbeitswelt zu fassen und sie hatte nichts gegen einen Neustart. Und wer weiß, wie sich das Ganze noch entwickeln würde? So optimistisch war sie mit ihrem vollgepackten Opel Corsa aufgebrochen und hatte nicht gewusst, was sie in der neuen Stadt erwartete. Eigentlich war der Start gar nicht so schlecht gewesen. Die Kollegen und Kolleginnen waren nett und aufgeschlossen, ihre Wohnung war ein absoluter Traum mit Balkon und Badewanne. Kurzum: Erleichterung und Zufriedenheit. Außerdem lief gerade eine neue spannende Krimiserie auf Netflix, das Glück war nahezu vollkommen. Mareike kam auch in den ersten Tagen gut mit den neuen Klassen zurecht. Sie hatte zwei sehr mädchenlastige Klassen, die im Unterricht gut mitarbeiteten.

Alles lief gut, bis der Freitag kam. Der Freitag mit Klasse 9. Es war eine große Klasse mit vielen Quatschköpfen, Angebern und Posern. Während des Unterrichts herrschte permanente Unruhe. Die meisten waren mit ihrer Aufmerksamkeit bei ihrem Nachbarn oder dem Smartphone. In der zweiten Stunde kam Mareike in den Klassenraum und eine Papierschlacht hatte stattgefunden. Die Schüler kriegten sich kaum noch ein und es wurde so laut, dass einer der Kollegen vorbeikam und fragte, was los sei. Mareike wünschte sich das größte Loch, dass sie finden konnte. Es war anscheinend ausverkauft.

Doch egal was sie sagte, ob sie pfiff, schrie oder die Ruhe bewahrte, sie hatte die Klasse nicht im Griff. Die ersten beiden Stunden waren eine Biologie-Hölle. So würde sie nicht lange an der Schule bleiben und das Thema Zellbiologie rückte in weite Ferne. Als Mareike jedoch morgens im Bett lag und darauf wartete, dass der Wecker endlich klingelte, hatte sie eine Idee.

Letztes Jahr war sie bei einem Retreat in Würzburg gewesen und das war genau die Lösung, nach der sie gesucht hatte. Jetzt auf dem Weg zur Schule dachte sie darüber nach. Hoffentlich klappte es. Als Mareike ihr Fahrrad abgestellt hatte und sich ihren Weg durch die Eingeweide der riesigen Realschule machte, hörte sie den anschwellenden Lärmpegel bereits im Flur.

Die 9b war bereits mittendrin, versank in pubertäre Kreischgesänge und hielt sich nicht zurück, vulgäre Äußerungen mit der Welt zu teilen. Vor der Tür angekommen, atmete Mareike noch einmal bewusst tief ein und aus, dann betrat sie das Klassenzimmer. Ohne ein einziges Wort ging die junge Lehrerin zielstrebig auf ihren Schreibtisch zu. Sie ignorierte Phillipp und Markus, die sich gegenseitig ein Smartphone hin und her warfen. Sie achtete nicht auf Caroline, die sich die Nägel lackierte oder auf Jessica, die sich mit Tina und Sandra über eine Spinne in der Ecke ekelte und permanent aufkreischte, wenn sich eines der kleinen Beinchen bewegte.

Mareike setzte sich hin und stellte ihre Thermoskanne vor sich hin. Dann schenkte sie sich in aller Seelenruhe eine Tasse Kaffee ein. Dabei versuchte sie die Klasse komplett zu ignorieren. Nach und nach waren alle Blicke auf Mareike gerichtet, die in aller Ruhe ihren Kaffee trank.

Irritation.

„Frau Lesse, bekommen wir heute unsere Aufgaben von der letzten Stunde zurück?“, fragte Teresa, eine sehr ruhige und aufmerksame Schülerin, die anscheinend oft im Lärm der anderen unterging. Mareike sah sie an, blickte in die Runde und zuckte die Schultern. Allmählich kehrte Ruhe ein. Mareike lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und beobachtete schweigend, dass sich nach und nach auch die letzten an ihre Plätze begaben und sich hinsetzten.

Absolute Stille.

Nur das Ticken der Uhr und die Trinkgeräusche von Mareike beherrschten jetzt den Raum. „Habe ich nun eure Aufmerksamkeit? Oder wollen wir daraus einen Schweige-Retreat machen? Ich habe Zeit“, sagte Mareike und lächelte

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Die Podcastfolge, in der ich diese Kurzgeschichte vorlese und dir auch noch darüber hinaus einige achtsame Impulse gebe findest du direkt hier ;)

Viel Spaß beim Hören!

Deine Hannah

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