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Der Fahrstuhl

Ben war nervös.

Er stand in der großen Eingangshalle und sah zum Fahrstuhl hinüber. Würde er nach der Treppe fragen können? Er sah keine. Eine Frau ging an ihm vorbei und begrüßte einen Bekannten. Die Leute wirkten geschäftig und schwirrten umher wie in einem Bienenstock. Kein Wunder, immerhin war Zeit ja auch Geld. Besonders bei einem großen Versicherungsunternehmen. Ben sah auf die Uhr. Er war eine Viertelstunde zu früh. Noch konnte er warten und sich beruhigen. Wieder sah er zu den Fahrstühlen hinüber. Die Menschen, die in ihn hineingingen wirkten sorglos. Geradezu entspannt. Vermutlich waren sie das auch.

Ben wollte das auch sein. Er musste es sein. Er wollte den Job unbedingt haben und er hatte so gute Chancen. Auf seine Bewerbung hin wurde er zwei Tage später zum Gespräch eingeladen. Er war von Beruf Schadenssachverständiger gewesen und könnte es auch bald wieder sein. Falls nicht die Angst vor der Angst ihm jetzt keinen Strich durch die Rechnung machte.

Eigentlich hatte Ben fast nie Angst. Es gab ja auch nicht überall Fahrstühle. Gerade in seinem Alltag schränkte ihn das kaum ein. Ben wohnte mit seiner Frau Lisa in einer Wohnung im Erdgeschoss mit kleinem Garten. Beim Einkaufen traf er keinen Fahrstuhl an und wenn sie in den Urlaub fuhren, dann sowieso immer in ein Ferienhaus. Alles im allem war die Angst vor Fahrstühlen kein wirkliches Problem. Außer Ben kam nicht drumherum. Er sah auf die Uhr. Fünf Minuten. Er seufzte. Los geht’s. Ben setzte seinen Körper wiederwillig in Bewegung. Jeder Schritt fiel ihm schwer, als ob jeder Teil in ihm verhindern wollte, dass er sich der Rezeption näherte.

„Hallo. Ben Schuster. Ich habe einen Termin bei Herrn Gabel“, hörte er sich selbst dem Mann an der Rezeption sagen.

„Einen Moment bitte. Ich gebe ihm Bescheid. Er kommt gleich zu ihnen“, sagte der freundliche Rezeptionist und lächelte gekünstelt.

Ben spürte wie sich sein Schweiß im Nacken sammelte. Vielleicht war sein Büro ja gar nicht oben im Turm. Vielleicht konnte er…

„Herr Schuster? Herzlich Willkommen bei INTERVERS. Johann Gabel. Bitte kommen Sie doch mit in mein Büro“, sagte plötzlich ein großer Mann in einem ebenso teuren wie nichtssagenden Anzug. Das Lächeln mit dem ihn sein zukünftiger - hoffentlich zukünftiger Abteilungsleiter – begrüßte, war auf jeden Fall authentisch und herzlich.

„Danke Herr Gabel. Sehr gerne“, sagte er und folgte dem Mann zu den Fahrstühlen. Er hatte es im Grunde seines Herzens gewusst. Ben musste das nun über sich ergehen lassen, denn er konnte nicht schon beim Vorstellungsgespräch mit solchen Ängsten auftreten. Bens Herz schien das anders zu sehen und hämmerte protestierend gegen seine Brust. Was sollte er Lisa sagen, wenn er den Job nicht bekam? Sie würde es natürlich verstehen, aber er nicht. Er hatte jegliches Verständnis für seine Angst aufgebraucht. Die Enge, das Geräusch, die quälende Frage nach einem möglichen Versagen der Technik. Schon immer schein diese Angst da gewesen zu sein. Wie ein Parasit der sich in seinem Gehirn eingenistet hatte. Ein Fremdkörper, der nicht zu ihm gehörte und doch einen Teil von ihm beherrschte. Aber er hatte auch nie etwas dagegen unternommen. Immer hatte er eine Ausweichmöglichkeit gefunden, eine Entschuldigung parat oder prokrastinierte eine Therapie solange, bis seine Frau es Leid war ihn daran zu erinnern.

Jetzt war es zu spät.

Herr Gabel war bei den Fahrstühlen angelangt und blieb stehen. Ben versuchte ruhig und gleichmäßig zu atmen. Am liebsten wäre er sofort aus dem Gebäude gerannt. Stattdessen versuchte er, seine zittrigen Hände zu verbergen und nicht wie ein aufgescheuchtes Huhn zu wirken. Beides erforderte höchste Konzentration.

„Lassen Sie uns doch die Treppe nehmen. Mein Büro ist nur im dritten Stock und ich hasse diese Fahrstühle. Ab und zu muss man sich auch mal bewegen“, meinte Herr Gabel und bog in einen Seitengang neben den Fahrstühlen ein. Dahinter befand sich der Eingang zu einem unscheinbaren Treppenhaus.

„Sehr gerne“, sagte Ben und wäre dem Mann am liebsten um den Hals gefallen. Stattdessen traf er in diesem Augenblick eine längst überfällige Entscheidung: Er würde eine Therapie machen.

Die Podcastfolge, in der ich diese Kurzgeschichte vorlese und dir auch noch darüber hinaus einige achtsame Impulse gebe findest du direkt hier ;)

Natürlich auch auf Spotify bzw. bei Apple Podcast!

https://open.spotify.com/episode/4t8HvlZ2fhhKri1dgX1nv5?si=514d0821a0584ced (Öffnet in neuem Fenster)

https://podcasts.apple.com/us/podcast/der-fahrstuhl-3-tipps-wie-du-deine-%C3%A4ngste-%C3%BCberwinden-kannst/id1572964487?i=1000539520526 (Öffnet in neuem Fenster)

Viel Spaß beim Hören!

Deine Hannah

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