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Lena sagt Nein

„Was machst du am Freitag, Lena?“, wollte Nina wissen und sah von ihrem Handy auf.
„Weiß nicht, ich denke, ich würde gerne mal wieder ins Kino gehen, der neue Film von Woody Allen ist draußen. Und du?“, fragte sie und stellte ihrer Schwester einen großen Becher Kaffee auf den Tisch.
„Hey, hast du einen Thermobecher oder so was? Ich bin spät dran und habe vergessen, Tina zu sagen, dass sie einen Platz für mich freihalten soll. Ich muss ja heute mit ihr das Referat über Mediengestaltung halten.“, fragte Nina und stand auf, um sich anzuziehen.
„Das hättest du doch gleich sagen können, dann hätte ich nicht alles in deine Tasse gefüllt, sondern gleich in den Becher. Warte kurz, ich hole ihn.“
Lena ging in die Küche, öffnete den kleinen Hängeschrank und seufzte innerlich. Nina bekam es einfach nicht auf die Reihe, irgendwo pünktlich zu erscheinen, nicht ständig alles zu vergessen oder zu verschieben. Oft war es nicht weiter wild. Nina vergaß ihre Blumen zu gießen oder fürs Wochenende einzukaufen, das war praktisch schon Standard. Aber seitdem sie studierte, wurde es von Semester zu Semester schlimmer. Lena bekam häufig Anrufe von ihrer Schwester, wie „Ich habe meine Bücher vergessen abzugeben, kannst du das machen, bin gerade in München mit ein paar Freunden und muss nämlich schon Mahngebühren bezahlen. Kannst du das auch gleich noch übernehmen? Bist ein Schatz! Bey!“ Oder „Hast du vielleicht Lust, mit mir Pizza Essen zu gehen? So um sieben bei der Trattoria?“ Dann stand Lena pünktlich um sieben Uhr vor dem Italiener, um dann nach zwanzig Minuten Warten in klirrender Kälte wieder nach Hause zu gehen.
Irgendwann gegen elf rief dann Nina an: „Sorry, ich habe noch mit ‘nem Freund gelernt und dann haben wir ein paar Bier getrunken. Kommt nicht wieder vor! Versprochen!“
Versprechungen, Verbindlichkeiten, Verabredungen: Es war am Ende immer das Gleiche: Lena wartete irgendwo, musste ständig irgendwas für ihre Schwester erledigen und ihr eigenes Leben blieb dabei auf der Strecke. Sie hatte gerade erfolgreich dem Kaffee einen Umzug in den Thermobecher ermöglicht, als es aus dem Flur kam: „Vergiss den Kaffee, ich muss jetzt leider echt los. Aber wir können ja am Freitag ins Kino gehen. Bis dann!“,
Und weg war sie.
Lena ballte ihre Fäuste und schnaufte kräftig, als ihr Mitbewohner im Schlafanzug in die Küche kam. „Morgen, Lena. Oh, ist das der Thermobecher? War Nina hier?“, fragte Ben und nahm die Milch aus dem Kühlschrank.
Am Freitagabend wartete Lena dick eingepackt in ihren blauen Mantel vor dem Kino. Gestern hatte Nina noch mal bei ihr angerufen und ihr versprochen, diesmal auch wirklich pünktlich zu sein. Jetzt war es kurz nach acht und die Werbung hatte gerade angefangen. Na schön, sagte sie sich. Sie konnte Nina nicht ändern. Aber sie konnte sich ändern. Kurzerhand schrieb Lena eine SMS an Ben und ging dann ins Kino. Nach 90 Minuten New Yorker Großstadtflair, umwerfend guten Dialogen und einer ordentlichen Dosis Woody Allen trat Lena hinaus und spürte die frische Nachtluft. Ben stand bereits an der Straßenecke und wartete auf sie. Als sie gerade bei ihm angekommen war, hörte Lena jemanden hinter sich rufen.
„Lena!“
Sie drehte sich um und Nina stand plötzlich keuchend vor ihr.
„Lena, ich habe total die Zeit vergessen, aber wenn du magst, können wir ja noch was trinken gehen? Ich hätte voll Bock auf ein Guinness!“, sagte sie völlig atemlos zu ihr.
„Nein, danke Nina. Da du nicht gekommen bist, habe ich Ben gefragt, ob er mich nach dem Film abholt. Er hat für uns zwei einen Tisch im Redwine bestellt.“, sagte Lena und hakte sich bei Ben ein.

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