Schreiben über Sex
First things first
Was mich überhaupt erst zu diesem Text inspiriert hat: Meine Freundin und Schreibcamp-Mitstreiterin Cleo Libro (Öffnet in neuem Fenster) hat just ein Buch veröffentlicht, in dem es genau darum geht—um die Dekonstruktion der eigenen sexuellen Narrative. Cleo ist furchtlos (im Schreiben wie im Leben), und gerade das macht den Text so erhellend und so hilfreich, wenn man sich die Fragen stellt, die sie sich gestellt hat und mit denen man mal wieder nicht allein ist.


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Schreiben über Sex
Ich hatte eine ganze Weile eine Dating-Kolumne im Tagesspiegel und weil ich währenddessen single in Berlin war, ging es auch um hier und da mal um Sex. Obwohl der Sex nur insofern eine Rolle spielte, als dass er Bestandteil mancher Beziehungen war, war er doch immer wieder ein dominantes Thema in den Gesprächen über die Kolumne und in den Reaktionen auf sie.
Wenn man als Frau über Sex schreibt, dann kann man sich auf folgende Reaktionen einstellen:
Junge bis mittelalte Männer nennen dich auf eine nicht liebevolle Art eine Schlampe und betonen, dass sie dich auf keinen Fall knallen würden, weil sie dich hässlich finden.
Mittelalte bis ältere Männer nennen dich egoistisch, oberflächlich, innerlich leer, und dein Leben mutmaßlich sinnlos und einsam, weil es ausschließlich um oberflächlichen Sex kreist und machen dich dafür verantwortlich, dass die Welt vor die Hunde geht. Und Drogen nimmst du sicher auch.
Ältere Männer belehren mit väterlicher Milde. Du musst sicher nur noch ein bisschen lernen, nicht immer nur um dich selbst zu kreisen, dann wirst du schon noch Liebe finden. Denn das ist es ja, worum es dir wirklich geht. (Subtext: Falls nicht, dann wirst du eines Tages deine Lebensentscheidungen bitter bereuen, Schätzchen.)
Gutmeinende Frauen warnen dich, dass du auf deinen Ruf aufpassen musst, und finden, du solltest ein paar Dinge lieber unerwähnt lassen. Es geht doch schließlich um die Intimität zwischen zwei Menschen, ist denn eigentlich nichts mehr heilig?!
Nicht wenige Kräfte sind scheinbar entschieden dagegen, dass Leute über Sex schreiben und reden, die keine hetero cis Typen sind oder sich in den Dienst von hetero cis Typen stellen.
Wenn man in einer patriarchal geprägten Welt versucht, die Narrative der patriarchalen Prägung zu hinterfragen, kann man sicher sein, dass man Gegenwind bekommen wird. Der Gegenwind kommt in Form von Wut, oder von Beschämung, oder von als Sorge getarnter Bevormundung, oder von offener Feindseligkeit. Der Gegenwind ist kalt und erbittert, weil Sex eine so enorme Macht über uns alle hat.
Ich habe mal an einem Schreibworkshop zum Thema Sex teilgenommen.
Die Aufgabe entlockte allen Teilnehmenden ein großes Plus an Kreativität, weil die meisten sehr ausgefallene Wege finden wollten, das Thema zu umschiffen, zu abstrahieren, zu karikieren, damit sie nicht explizit über Sex schreiben (und das hinterher womöglich auch noch vorlesen) mussten. Damit sie nicht per Text ihre eigene Beziehung zum Sex enthüllen würden.
Eine Teilnehmende beschrieb aus Perspektive eines Kindes, das seine Eltern beim Sex erwischt: Einen sexuellen Akt komplett ohne Hintergrundwissen oder kulturelle Referenzen. Eine schrieb ein dadaistisches Gedicht: Die leidenschaftliche Vereinigung eines Quadrats und eines Dreiecks. Einer schrieb ein witziges Rezept für guten Sex: Man nehme: zwei Teelöffel Unvorhersehbarkeit / drei Minuten eines Sonnenuntergangs / einen Teelöffel Spucke / den Abrieb einer unbehandelten Lederjacke. Eine beschrieb den Dialog eines Tinder-Casanovas mit seiner Psychoanalytikerin.
Die einzige Szene, die tatsächlichen, menschlichen, nicht metaphorischen oder poetisch überhöhten Sex beschrieb, kam von einem Typen Anfang dreißig. Er beschrieb eine Sexszene zwischen einem Mann und einer Frau, die sich betrunken in einer Bar getroffen hatten und nun zu ihm nach Hause gehen. Der beschriebene Sex war so grafisch und explizit wie er nur sein kann. Der Text zeigte alles, was auf fleischlicher Ebene geschah, in Echtzeit und Super Close Up:
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