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Hoffnung

Von dem Moment an, als Kamala Harris in den Wahlkampf gezogen ist, wusste ich, dass wir uns alle für eine neue Amtszeit Donald Trumps wappnen müssen. 

Obwohl der hoffnungsfrohe brat-Sommer mit seiner gut gelaunten, instagramigen Werbekampagne ganz unterhaltsam war, bin ich zu keinem Zeitpunkt davon ausgegangen, dass in den USA eine Schwarze Frau Präsidentin werden kann. Wer dachte, dass ein giftgrüner Marketing-Plot, der erwachsene Frauen zu Gören stilisiert, gegen den tief verwurzelten Frauenhass und Rassismus ankommt, der nicht nur in Amerika die Gesellschaft durchzieht, der lebt wirklich in einer so dick wattierten Bubble, dass da kein Laut durchdringt. 

Auch in den letzten Jahren gab es am laufenden Band Gelegenheiten, sich daran zu erinnern, wie sehr die Welt Frauen hasst. 

Dieses einen Mal neulich, als ein reicher Musiker mit kommerziell erfolgreichen Vergewaltigungsfantasien hunderte Frauen betäubte und vergewaltigte, und nicht nur straffrei davonkam, sondern gerade auch wieder erfolgreich tourt. 

Dieses eine Mal neulich, als ein mächtiger Medienboss dutzende Frauen feuerte und beförderte, je nachdem, wies grad romantisch mit ihm lief, und straffrei davonkam. 

Dieses eine Mal neulich, als ein Mann eine Studentin sexuell missbrauchte und straffrei davonkam, weil sein Übergriff weniger als zehn Sekunden gedauert hatte und sich die Männer, die diese Gesetze gemacht haben und durchsetzen, darauf geeinigt haben, dass unter zehn Sekunden okay ist. 

Dieses eine Mal, als die Männer der Welt jubelten, als ein berühmter Schauspieler, der wegen häuslicher Gewalt an seiner Exfrau bekannt geworden (und straffrei davon gekommen war) Schadenersatz von ihr einklagte, weil sie einen Text über ihn geschrieben hatte.

Oder auch der gerade laufende Prozess in Frankreich, in dem ein Mann seine Ehefrau betäubt und anderen Männern zur Vergewaltigung angeboten hatte und die Strafverteidiger sich tatsächlich nicht zu schade waren, immer noch, im Jahr 2024, trotz und im Angesicht stundenlangen Videomaterials, das die Taten dokumentiert, ihr die Schuld dafür zu geben. 

Das sind nur die paar medienwirksamen Beispiele, und auch nur die aus den letzten drei Jahren. 

In einer Welt in der so Zeug Alltag ist, kommt es nicht so überraschend, dass auch die älteste Demokratie der Welt Frauen zu sehr hasst, ihnen die Herrschaft über den eigenen Körper zuzugestehen. Es ist keine Überraschung, dass Donald Grab-em-by-the-pussy Trump zum zweiten Mal der Anführer der Freien Welt geworden ist. Nein, wirklich, das ist absolut folgerichtig. Deprimierend folgerichtig. Die Welt hasst Frauen. Nicht nur Männer hassen Frauen. Auch Frauen hassen Frauen. 

Überraschend für Leute in progressiven Bubbles wie meiner ist nicht, dass Männer Frauen hassen — das wissen wir schon lange. Überraschend für mich war, dass auch die Männer in unserem engsten Umfeld sich im Zweifel nicht auf unsere Seite stellen. Damit habe ich nichts zu tun, sagten mir viele über die Jahre, Lover und Freunde und Freunde von Freundinnen, ich bin ein Mann, was interessiert mich das, wie könnte ich Feminist sein. Auf vielen Gesichtern sah ich Schadenfreude, als Amber Heard Entschädigung zahlen musste. Viele sind offen oder weniger offen befriedigt, wann immer ein mutmaßlicher Vergewaltiger davonkommt. Sind beruhigt, wenn mal wieder irgendwo irgendein mächtiger Mann seine Herrschaft über Frauen demonstriert. Dann ist die Welt noch in Ordnung. Und schon bald werden sie in Deutschland jemanden zum Kanzler machen, der dagegen gestimmt hat, dass Vergewaltigung durch einen Ehemann ein Straftatbestand wird.

Irgendwann in meinen frühen Dreißigern habe ich das verstanden: Wenn es hart auf hart kommt, dann sind die Typen nicht da, um uns zu helfen. Ich muss für offene Misogynie nicht die Kommentarspalten unter meinen Dating Kolumnen lesen, es reicht ein Blick nach links und nach rechts. Wir konnten und können uns nicht auf Männer verlassen. Sie sind nicht auf unserer Seite. Sie sind vielleicht bereit, Gleichberechtigung cool zu finden, solange sie sie nicht in ihrem Alltag stört. Aber sie werden nicht für sie kämpfen. 

Es war eine späte, teils bittere, aber irgendwie auch befreiende Erkenntnis. Wir sind auf uns allein gestellt. 

Am Mittwoch, als ich in Trump-World aufwachte, war ich deswegen zwar deprimiert, aber nicht überrascht. Mein persönliches Selbsthilfeprogramm ist seit einiger Zeit immer das gleiche:

Ich erinnere mich bewusst an meine maßlos vielen Privilegien. 

Ich gehöre nicht zu der Gruppe Menschen, die bei einer Machtübernahme extrem Rechter am meisten leiden würde. Bei weitem nicht. Ich bin Weiß, cis-hetero, mittelalt, gebildet, gut vernetzt — Ich gehören zu keiner der Gruppen, die besonderen Schutz brauchen werden. Ich gehöre zu denen, die vor wenig Angst haben müssen. In einem sächsischen Dorf, in dem die Mehrheit extrem rechte Ansichten hat, könnte ich problemlos undercover unterwegs sein, ich könnte als eine von denen durchgehen, ich kenne deren Codes, ich spreche die Sprache, ich sehe aus wie die, ich habe den Pass.

Es ist für mich, und für Leute wie mich, nicht die Zeit zu verzweifeln und zu resignieren. Es ist gerade nicht mein Job, darüber nachzudenken, wohin man noch auswandern kann. Sondern es ist mein Job, mich auf die Seite von Leuten zu stellen, die nicht so privilegiert sind wie ich. Mein Job ist es, mich vor die zu stellen, die der Hass der Rechten als erstes trifft und die sich am wenigsten dagegen wehren können. Mein Job ist es, sicherzustellen, dass alle wissen, dass ich da bin, wenn jemand Hilfe braucht. Mein Job ist es, nüchtern zu bleiben und einen klaren Kopf zu haben. Mein Job ist es, die Erwachsene im Raum zu sein. 

Und das mache ich nicht mit Insta-Aktivismus. Die erneute Wahl Trumps zeigt einmal mehr, dass man auf sozialen Medien niemanden überzeugt oder aufklärt oder in seiner Meinung beeinflusst, egal, wie klar und eindeutig unsere sorgfältig recherchierten Wahrheiten auch sein mögen. Fakten bewegen die Welt nicht. Gefühle bewegen die Welt. Und nichts bewegt den Lauf der Welt gerade stärker als die verletzten Egos gekränkter Männer. 

Von Zeit zu Zeit gebe ich auch dem Bedürfnis nach, antifaschistische Instagram-Kacheln zu teilen. Aber ich bin mir bewusst, dass ich meine politischen Statements für mich selbst und für meine eigene Bubble mache. Und für den Algorithmus eines einflussreichen Medienmonopols. Dieser Algorithmus wird nicht von Solidariät und Zusammenhalt und differenzierten Analysen angetrieben, er läuft auf Spaltung, Wut und Aggression. 

Aber es gibt ja noch die echte Welt.

Es gibt Andockstellen für Zusammenhalt. Mindestens die Hälfte der Menschen wählt nicht rechts. Mindestens die Hälfte der Menschen will Demokratie. Die meisten Leute, egal, wo sie auf dem politischen Spektrum stehen, wollen ungefähr die gleichen paar Dinge: Sicherheit, familiären Frieden, ein gutes Essen, ihre verdammte Ruhe. 

Deswegen ist es jetzt an der Zeit, in die echte Welt rauszugehen. Wenn man Kapazitäten hat, sich politisch oder ehrenamtlich zu organisieren sollte man das unbedingt tun. Man sollte ein paar Stunden Screentime für ein paar Stunden in der echten Welt eintauschen. Auch die eigene Verzweiflung wird dadurch gemildert. Man kann Lesepatin werden, oder einen Buchclub gründen, oder Geld spenden, oder in Selbsthilfegruppen gehen, oder seine Nachbarn kennenlernen. Ich kenne eine Person, die einen  Schreibclub gegründet hat und dieser Schreibclub ist ein Anker geworden, ein Raum, der Leuten wichtig geworden ist. Ich kenne Leute, die für nichtdeutsche Kollegen Papierkram machen und dieses verdammte Amtsdeutsch übersetzen. Ich kenne superviele Leute, die sich in bestehenden Selbsthilfegruppen organisieren oder neue gegründet haben, und dort aktiv und effektiv Menschen ermöglichen, nüchtern zu werden und so ihr Leben retten. 

Ich habe gestern in einem kleinen Buchladen (Öffnet in neuem Fenster) gelesen, und dort haben sich ein paar unglaublich süße nüchterne Mitglieder unserer sober Bubble versammelt. Es waren welche von AA da und und welche aus dem SodaKlub, und eine ganze Delegation von Nathalies Berliner OAMN Gruppe. Das hat mir wirklich Hoffnung gegeben. Diese kleinen Gruppen von scheinbar so unterschiedlich zusammengewürfelten nüchternen Leuten, die gerade überall aufploppen und sich selbst organisieren und diesen kleinen Pakt miteinander schließen, beweisen, dass es geht. Dass wir nicht so alleine sind, wie wir manchmal denken. Dass wir unsere Gang finden können, wenn wir rausgehen und sie suchen. 

Wenn es hart auf hart kommt, müssen wir alle wissen, wer unsere Gang ist. 

🖤

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