Just Dance, Sanna Marin!
von Natalia Mleczko (Öffnet in neuem Fenster)

Sie kennen vermutlich Sanna Marin. Sie ist die Premierministerin Finnlands. Sanna Marin ist 36 Jahre alt, Sozialdemokratin und führt Finnland gerade unter schwierigen Bedingungen in die NATO hinein. Die Finnin sorgt seit ihrer Wahl 2019, damals als die jüngste Premierministerin der Welt, regelmäßig für Schlagzeilen. Über sie wird gesagt, dass sie durch ihr junges Alter die Politiklandschaft verändert. Ihr Habitus ist jugendlicher, nahbarer und authentischer. Sie interessiert sich für Dinge, für die sich 36-Jährige interessieren. Rock-Konzerte, Feiern mit Freund:innen und Soziale Medien – nur, dass eben jene 36-Jährige die Regierungschefin eines Staates ist. Finnlands Sicherheitspolitik wird aktuell neu aufgestellt, da Russland als Grenzland seit der Ukraine-Invasion als Bedrohung wahrgenommen wird. Eine schwere und ungewisse Zeit für Skandinaviens östlichstes Land. Nun sind eben mehrere Videoaufnahmen aufgetaucht von einer ausgelassenen Sanna Marin. Dieses Videomaterial ist in Sanna Marins Privatleben entstanden und ist durch ungeklärte Weise an die Öffentlichkeit geraten. Kritiker:innen versuchen die finnische Ministerpräsidentin in Verbindung mit Drogen-Missbrauch zu setzen. Sanna Marin äußerte sich dazu und versicherte, dass ihres Wissens nur Alkohol auf dieser Feier konsumiert wurde. Marins Kritiker:innen verlangten einen Drogentest von ihr. Die Premierministerin folgte der Aufforderung und das Test-Ergebniss ist negativ ausgefallen. Seitdem streitet Finnland, ob sich eine Premierministerin so zeigen darf.
Darf sich eine Politikerin so zeigen?
Bei dieser Debatte entsteht ein nicht allzu latentes sexistisches "Geschmäckle". Dass Sexismus in der Politik noch immer ein großes Thema ist und der doppelte Maßstab nach wie vor gilt, ist leider nichts Außergewöhnliches. In den Sozialen Medien tauchen massenweise Videos und Memes auf, in denen dieses auf verschiedene Weise zerlegt wird. Besonders viral gingen Videos von feiernden Finninnen. Diese Videos ähneln dem von Sanna Marins. Sie zeigen damit, dass Frauen Spaß haben können und trotzdem seriös im Leben stehende Frauen sind. Also, die Normalität von finnischen Frauen und gleichzeitig gelten diese Videos als eine Solidaritätsbekundung zur Premierministerin.
Es gibt Tanzvideos vom baldigen Ex-Premierminister Boris Johnson. Wir haben Donald Trump tanzen sehen. Alles kein Problem.
Diese Videos wurden wahrgenommen, es wurde geschmunzelt und es wurde schnell zu Business as usual geswitcht. Niemand hat gefragt, darf sich Johnson oder Trump so zeigen? Lasst uns einen Transfer an dieser Stelle nach Deutschland machen. Als vor wenigen Monaten ein Tanzvideo von dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz aufgetaucht ist, wurde darüber natürlich auch diskutiert, aber ganz anders. Über seine altgedienten Tanz-Move wurde eher geschmunzelt. Niemand stellte ihn als Person oder als Politiker in Frage. Niemand sprach ihm seine Fähigkeit zu Führen ab. Niemand forderte ihn zu einem Drogentest auf. Niemand fragte, ob er so etwas darf. Weil er natürlich feiern und dort tanzen darf. Aber wenn so etwas eine Politikerin tut, wird das massiv hinterfragt. Erinnert ihr Euch noch an Angela Merkels Kleid mit Ausschnitt bei den Bayreuther Festspielen im Jahr 2012? Eine sexistische Debatte aus der Steinzeit entbrannte. Auf Twitter schrieb jemand passend, dass es zwei Politikerinnen-Typen geben darf: Die der vielfachen Mutter á la Ursula von der Leyen und die der kinderlosen Macht-Politikerin wie Angela Merkel. Nur diese zwei Formen sind gestattet. Doch wie bei jeder Debatte, kann man sich entscheiden, welche Perspektive man dieser Debatte geben will. Anstatt darüber, ob sich eine hochrangige Politikerin so zeigen darf, kann man anstelle dessen darüber sprechen, weshalb immer noch so wenige und vor allem junge Frauen sich gegen den Politikbetrieb entscheiden. Diese Debatte gibt einen Einblick, wie doppeldeutig mit Frauen in der Politik umgegangen wird. Und man könnte darüber debattieren, welchen Politikertypus Politiker:innen der Zukunft haben sollten. Oder besser, wir lassen Politiker:innen auch als Menschen wachsen und sich entwickeln, anstelle, dass wir starre Endprodukte erwarten.
Bisher galten männliche Workaholics und zugeknöpfte, unnahbare Machtmenschen als der Prototyp eines erfolgreichen Politikers.
Ein weiterer Punkt, der spannend bleiben wird: Wie gehen junge Politiker:innen der Social-Media-Generation mit ihren Altlasten im Internet um, in welchen man noch nicht das polierte Endprodukt war? Das wird sich in den nächsten Jahren zeigen, wie dann damit umgegangen wird.
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Foto: Laura Kotila/Valtioneuvoston kanslia
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