Die Dichotomie der Gefühle
von Natalia Mleczko (Öffnet in neuem Fenster)
Ich fühle mich unsicher. So verletzlich, voller Scham und Zweifel. Meine Ziele haben mich ausgebremst. Ich wollte zu sehr, und nun muss ich ein paar Schritte zurück gehen. Mich erholen und von vorne meine Ziele arretieren. Ich fühle mich dumm, dass ich immer wieder den gleichen Fehler begehe. Ist das fehlerhaft, oder ist das der Lauf der Dinge? Das Gefühl des nicht Genügens (Öffnet in neuem Fenster) überkommt nicht. Doch allmählich begreife ich, dass ich, dass nicht persönlich nehmen muss. Was wenn ich nicht genüge? Was aber wenn das System menschenfeindlich ist, und nicht die, die fehlerhaft sind? Was wenn ich genug tue, aber das System immer mehr von einem abverlangt? Einen in den Mund nimmt, einen aussaugt und zerkaut. Und ausspuckt. Und dann liegt man dort. Allein. Ohne nichts. Oder doch anders?
Dass ich das meinige System geschaffen habe und das ich auch das System zerschlagen kann, besser noch für meinen Gunsten verändern kann. Es ist eine Wucherung, die zurecht beschnitten werden muss. Zu dem was es einmal war, zu dem für das ich mich entschied habe. Manchmal ist das System nicht der Erdrücker, sondern der Mensch, der man gerade ist. Das man selbst zu einem Tyrannen geworden ist. Doch wie ent-tyrannisiert man sich selbst? Stress und Leid sind Anzeichen, dass etwas im Argen liegt. Eine Entscheidung ist dann der erste Schritt zur Lösung. Die Entscheidung sich zurückzunehmen, dass System, das man schuf zu verlassen, zu verändern oder vollständig aufzugeben.
Neulich sagte ich zu mir aus dem Moment heraus, 'Du musst ehrlich zu dir sein‘.
Und mein Unterbewusstsein hat Recht. Es ist wichtig zu sich selbst ehrlich zu sein. Auch wenn es weh tut. Auch wenn es heißt Entscheidungen zu treffen und gegen die Entscheidungen der Vergangenheit. ‚Sei nett zu dir‘, ist der Stoff, der die Bruchstücke zusammenklebt. Wärme zu sich selbst ist integral. Man braucht sich selbst als Freund in dieser stürmischen Zeit. Sonst ist man allein, einsam und isoliert. Diese Erkenntnis ist die größte und wichtigste, die ich für mich jemals getroffen habe. Immer mehr fällt mir diese Aufgabe einfacher. Es war schwer auf diesen Gedanken zu kommen. Niemand sagt, dass man sich selbst ein*e Freund*in sein soll. Es ist radikal. Gut, dass es mir einfach fällt. Hoffentlich werden wir bald beste Freundinnen sein.
In unserer Gesellschaft sind negative Emotionen verpönt, dann gilt man als aggressiv, überbordend und primitiv. Aber welcher Mensch empfindet nicht Wut, Scham und Aggression? Wo soll man sie rauslassen? Hinter verschlossenen Türen? Während positive Emotionen gefeiert werden, dass man authentisch sei - so sind die negativen Gefühle nicht vertreten. Wir verbannen sie in die Dichotomie. In gute und schlechte Gefühle. In valide und nicht valide Gefühle. Dass sie aber auf der gleichen Seite sind, wollen wir nicht wahrhaben. Nichts sind wir ohne sie. Aber wir bekennen uns nicht zu ihnen. Wir dürfen nicht. Sie sind Schattengefühle, wir schämen uns für sie. Wir würden sie gern abschneiden, die amputieren. Warum nur hassen wir unsere Palette an Gefühlen? Warum dürfen wir unsere Gefühle nicht zeigen? Warum dürfen sie keinen Platz in unserem Leben haben? Warum stoßen wir sie von uns? Denken wir, dass wir die besseren Menschen ohne sie sind? Ich glaube wir wären die ehrlicheren Menschen, und vielleicht dadurch ein stückweit besser. Und nun? Darf man so sein, wie man ist? Man muss es sich rausnehmen. Für sich. Für seinen eigenen kleinen, aber großen Frieden. Zu Beginn des Artikels fühlte ich eine Last, nun fühle ich mich erleichtert. Meine Gedanken sind geordnet. Mein Krieg bereinigt. Frieden ist nun eingekehrt. Jetzt erhole ich mich. Etwas Scham ist dennoch da, weil ‚War dieser kalte Krieg mit mir nötig?‘. Bin ich nun also unsicher? Nein, ich bin ein Mensch mit Gefühlen, Ambitionen, die beide verletzt werden können. Von mir. Durch andere. Durch Umstände. Wahre Freunde helfen einem durch diese Zeit. Und Zeit heilt zudem einige Wunden.
Hast du ähnliche Erfahrungen? Lass mich gern deine Geschichte in der Kommentarleiste wissen.