Wohlstandtrotz. Das könnte für mich zum Wort des Jahres 2021 werden. Während der afrikanische Kontinent weiter darbt, (nicht nur) was Impfstoff angeht, ziert sich der Deutsche: „Bitt‘schön, Biontech soll‘s scho sein, ansonsten wart‘ ich halt.“ Als wäre „Made in Germany“ ein relevanter Qualitätsfaktor für den Boost des Immunsystems. - Spoiler: Ist es nicht.
Wohlstandstrotz. Das beschreibt für mich auch die Debatte über die Impfpflicht für das Krankenhaus-/Altenheim-Personal. Da drängt sich mir das Bild einer Bevölkerung auf, die sinnbildlich von zahlenmäßig ausgedünnten Pflegekräften, Ärzt:innen, Hebammen, MFA, MTA & Co. unter höchster Kraftanstregnung in einer Sänfte durch die Krise getragen wird und die dennoch „Mehr Gleichschritt/Impfung, es ruckelt!“ ruft. Seit zwei Jahren ist das Gesundheitswesen im Ausnahmezustand. Und jetzt fordert das einst klatschende Volk von den Balkonen: Impfpflicht für jene, die an der Front stehen! Und bitt‘schön Coronabonus auch nur, wer geimpft ist! - Geht man so mit Helden in der 4. Welle um?
Wohlstandstrotz. Für mich ist es sehr bezeichnend, wie Politik aus dem warmen Büro der Regierungsgebäude heraus von ihrem Versagen ablenkt und nach Impfpflicht ruft. Einzig das Bundesland Bremen hat eine Impfrate von knapp über 80 %, weil es aber auch eine (u.a. mehrsprachige) Impf-Kampagne durchgezogen hat, die ihren Namen verdient. Hinein in Brennpunkte usw. Aus anderen Bundesländern oder gar aus dem Bund kam so etwas so konzertiert noch nicht. Auch 2G-Regeln wurden lange nicht eingeführt und dann schlicht nicht kontrolliert. Und jetzt machen die Politiker:innen dem Volk Vorwürfe, dass erst gut zwei Drittel geimpft seien. Wie entrückt. Wer nicht geimpft werden will, wird auch bei einer Impfpflicht Wege finden, dies zu umgehen.
Wohlstandstrotz. Uns geht es zu gut. Die gesellschaftliche Hängematte in Deutschland erlaubt Exzesse, für die es in anderen Ländern der EU keine Ressourcen gibt. Wer da nicht arbeiten und Geld verdienen kann, weil er an Corona erkrankt ist, ist eben schneller im Impfzentrum (siehe Portugal oder Italien). Bleibt abzuwarten, wie lange wir uns als Gesellschaft unseren „deutschen Sonderweg“ noch leisten können.
