TEXTE VOM VORHANDENSEIN
TEIL 27: VOM PRÜFEN UND BEHALTEN
“Prüft aber alles und das Gute behaltet.”
(Die Bibel, 1.Brief an die Thessalonicher 5,21)
Vor Kurzem waren meine Podcast-Kollegen Jay und Gofi von Hossa Talk und ich als Gäste in einem anderen Podcast eingeladen. Lea und Anja von den Predigtbuddies haben sich mit uns über die sogenannte Jahreslosung für 2025 unterhalten. Nämlich diesen Bibelvers aus dem 1. Brief an die Thessalonicher: “Prüft aber alles und das Gute behaltet.” Dazu muss man vielleicht zunächst wissen, dass die Jahreslosung ein Bibelvers ist, der jedes Jahr neu von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen ausgewählt wird und Christen gewissermaßen als Überschrift, als Motto oder Leitmotiv für das jeweilige Jahr dienen kann.
Für das nächste Jahr also: “Prüft aber alles und das Gute behaltet.”
Je länger ich diesen kurzen Satz betrachte und über ihn nachdenke, desto interessanter finde ich ihn. Würde ich diesen Satz ernst nehmen, bedeutete das ja zunächst mal auch, dass ich selbst ihn, den Satz und seine Aussage, prüfen sollte.
“Prüft aber alles und das Gute behaltet.”
Prüfen heißt Fragen stellen. Viele Fragen. Gegen Ausrufezeichen hämmern und sehen, ob und wie lange sie stehen bleiben und warum sie dort gestanden haben?
Prüfen heißt Achtsamkeit. Betrachtung und Beschäftigung. Das geht wohl nicht einfach im Vorbeigehen. Es fordert Zeit und Aufmerksamkeit und Bereitschaft zum Dazulernen und Verstehen wollen.
Prüfen ist ergebnisoffen. Setzt voraus, dass ich noch nicht weiß, was am Ende des Prozesses stehen wird. Vielleicht werde ich übermäßig überrascht. Vielleicht werde ich extrem enttäuscht. Vielleicht mache ich eine Erfahrung, die irgendwo dazwischen liegt. Vielleicht ist das findbare Gute auch ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe oder als meine Denkkategorien oder Glaubenssätze es zulassen können.
Prüfen ist Suchen. Wenn ich das Gute behalten soll, am Ende (m)eines Prüfprozesses, dann gehe ich diesen mit einer Haltung an, die fest damit rechnet, hier etwas Gutes finden zu können. Auch wenn ich es noch nicht sehe oder vielleicht auch nicht damit rechne. Prüfen heißt, diese Möglichkeit immer in Betracht zu ziehen und darauf zu hoffen.
Prüfen bedeutet Mündigkeit. Der Schreiber dieser Zeilen hat diesen Briefempfängern offensichtlich zugetraut Gutes zu erkennen und vom Gegenteil zu unterscheiden.
Prüfen heißt fragen: Was ist eigentlich gut? Was ist das Gute? Was tut mir gut? Was ist ein guter Mensch? Was ist ein gutes Leben? Was ist ein guter Gott? Was…..?
“Prüft aber alles und das Gute behaltet.”
Alles heißt alles! Ohne Ausnahmen für scheinbar unhinterfragbar Heiliges. Ohne Ausnahme für scheinbar in Steingemeißeltes, das nun mal schon immer so war. Alles meint alles! Alle Systeme und Gebote und scheinbare Denkverbote, Machtstrukturen und Privilegien. Vor allem die eigenen.
Alles heißt alles! Aber ich glaube, es heißt nicht Misstrauen allem und jedem Gegenüber. Es heißt wohlwollend in Betracht zu ziehen, dass grundsätzlich überall Gutes zu finden ist. Personen, Gruppen und Gemeinschaften, die das Zweifeln und Hinterfragen klein halten, demotivieren oder sogar für böse und falsch halten (religiöse Gemeinschaften scheinen da besonders anfällig für zu sein), scheinen bei einer solchen Prüfbewegung nicht sonderlich gut abzuschneiden.
Alles heißt alles und inkludiert auch mich und meine Worte und Gewohnheiten und Taten und Unterlassungen und Sorgen und die Scham für die ich mich schäme und mein Vorhandensein mit ein. Vielleicht sollte ich im neuen Jahr anfangen mich selbst mehr zu prüfen, um das Gute an mir und in mir zu entdecken, das ich behalten möchte.
Alles heißt alles und gilt deshalb auch und besonders für diesen Text, der so tut, als wüsste er, wovon er spricht, wenn er vom prüfen redet.
“Prüft aber alles und das Gute behaltet.”
Wenn ich das Gute behalten soll, setzt das voraus, dass es etwas Gutes gibt und dass es irgendwo zu finden ist.
Wenn ich das Gute behalten soll, bedeutet das, dass all das Prüfen kein Selbstzweck ist.
Wenn ich das Gute behalten soll, traut mir das zu, erkennen zu können, was gut ist.
Wenn ich das Gute behalten soll und über das Gegenteil kein Wort verloren wird, sagt das viel über den Fokus. Wer ständig auf das Schlechte starrt, verliert das Gute aus dem Blick und den Sinn dafür allmählich.
Behalten bedeutet nicht, dass der Prozess damit ein für alle Mal abgeschlossen ist. Ich glaube, dieser Vers ist keine Aufforderung Museen oder Vorratskeller zu bauen, um das gefundene Gute dort zu konservieren. Es scheint vielmehr ein sich ständig wiederholendes Ereignis zu sein, wellenartig und horizonterweiternd.
Ich bin mir sicher, dass das Gute, das ich für behaltenswert halte, nicht unbedingt dasselbe ist, wie das, was du gefunden hast. Darum brauchen wir einander als Ergänzung und um uns gegenseitig das Gute zu zeigen, wo wir allein bisher nur das Gegenteil oder Langeweile entdecken.
Ich habe für mich einen Zweiklang als Zugangsschlüssel zu diesem ganzen Prüfen und Behalten entdeckt: NEUGIER und DEMUT. Neugierig sein und neugierig bleiben. Sich nicht abfinden mit dem, was vorhanden ist und mit unbefriedigenden Antworten. Achtsam und unterwegs sein. Im Bewusstsein, dass sich in jedem kleinen Alltagsdetails vielleicht ein Bild, eine Idee, ein Prinzip, eine Formulierung finden lässt, die vorher noch nicht da war. Oder mir bisher nie aufgefallen ist und die ich mit meiner Vorstellungskraft und Beobachtung, meinem Leben und Erleben ins Dasein schreibe. Neugierige Menschen geben sich nicht mit dem Status Quo zufrieden. Schauen hinter Wänden die Rückseiten an und sind in der Lage Utopien zu träumen. Und zu einem neugierigen und authentischen Ausdruck gehören meiner Meinung nach auch sämtliche Emotionen des menschlichen Vorhandenseins dazu. Lasst uns doch mal der Wut nachspüren, anstatt Angst vor ihr zu haben und sie zu unterdrücken. Vielleicht ist sie berechtigt und muss für uns (und vielleicht stellvertretend für viele) auch mal verbalisiert werden. Dasselbe gilt für Trauer. Für Klage. Ein Halleluja, dass nach dem Hinterfragen und aus der Schmerzerfahrung, vielleicht sogar nach den menschlich verständlichen Rachegedanken kommt, wie in der Poesie der Psalmen, berührt mich meistens mehr, als ständig eingeforderte Proklamationen (die selbstverständlich ihren Platz und ihre Berechtigung haben, nur eben in Balance).
Und Demut als Anker und Rückbindung. Als Erdung. Als Haltung. Als Bewusstsein, dass ich weder die Weisheit mit Löffeln gefressen habe noch die Welt retten kann, oder muss. Dass ich einfach hier bin mit dem, was ich tue und was ich beizutragen habe. Mit meiner Stimme, meinem Schreiben, meinen persönlichen Ausdruck. Meine Perspektive ist das, was ich beitragen kann. Die habe nämlich nur ich und die fehlt, wenn ich mich nicht in den Diskurs einbringe. Wer davor stehen bleibt und davon etwas mitnehmen kann, wer darin seinen eigenen Ausdruck findet und Worte, die er oder sie selbst nicht hatte, aber sich nun zu eigen machen kann, darf das gerne tun. Genauso darf auch jeder daran vorbei gehen und damit nichts anfangen können.
Lasst uns Erzählgemeinschaft sein und einander das Gute zeigen und davon erzählen, was wir nach dem mitunter manchmal schmerzhaften Akt des Prüfens als behaltenswert gefunden haben. Neugierig, wieso ich das, was du als gut erachtest nicht mal entdeckt habe und demütig, dass da so viel mehr zu finden ist, als ich wahrnehmen konnte.
Am Ende des Podcast-Gesprächs mit den Predigtbuddies kam auch die Frage auf, wie wir den Vers jeweils künstlerisch bearbeiten würden. Das hier wäre so etwas wie ein erster Versuch meinerseits:
NEWS- NEWS- NEWS- NEWS- NEWS
NEUES VON #POETRYMEETSBEATS
Ich freue mich sehr, dass Du zu den ersten Personen gehörst, denen ich erzählen darf, dass es schon ganz bald Neues aus dem Haus #poetrymeetsbeats geben wird. Manuel Steinhoff und ich haben intensiv in Manus monkeylab-Studio in Marburg an neuen Dingen gebastelt, die es Anfang 2025 dann zu hören geben wird. Und über das Jahr hinweg kommt sogar noch mehr dazu. Die Details erfährst du hier natürlich zuerst. Und wir werden auch wieder gemeinsam auf Tour gehen. Ein paar Termine für das komende Jahr sind schon fix, aber wir haben sehr viel Bock, dass da noch einige dazu kommen. Falls du Lust hast uns einzuladen oder jemanden kennst, für den oder die das spannend sein könnte, schreib uns gerne eine Mail an info@marcomichalzik.com. Wir freuen uns sehr aufs nächste Jahr. #diegeradelinieistgottlos
HOSSA TALK BEI DEN PREDIGTBUDDIES
Wie im Text bereits erwähnt, waren Jay, Gofi und ich im Podcast der Predigtbuddies Anja und Lea zu Gast und haben mit ihnen über die Jahreslosung geredet. Ich finde, es ist ein sehr schönes, kurzweiliges und inspirierendes Gespräch über das Prüfen und Behalten geworden.
Hier kanst du direkt reinhören und ansonsten findest Du die Folge auch überall, wo es Podcast gibt:
https://open.spotify.com/episode/44qlrtjBcR20qopdaYYUXj?si=OF_eDgByTUOvDXXX8_eIcw (Öffnet in neuem Fenster)ONLINE SCHREIB- UND KÖRPERARBEITSWORKSHOP
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Liebe Grüße und bleib neugierig
Marco
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