TEXTE VOM VORHANDENSEIN
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TEIL 29: VOM TRÄUMEN
„We are like the dreamers, who dream and then live inside the dream. But who is the dreamer?”
(aus Twin Peaks: The Return, Ep. 14)
Ich habe gestern beim Vorbeiscrollen ein Meme gesehen, dessen Aussage ungefähr so war: „Zum Glück ist der Januar endlich vorbei. Das war ein ganz schön langes Jahr!“ Das damit transportierte Gefühl teile ich. Der erste Monat des neuen Jahres war direkt so voll mit Absurditäten und Nachrichten und Meldungen, die man gestern noch für undenkbar gehalten hat. Was schreibt man nach so einem ersten Monat mit Anschlägen, eingerissener Brandmauer, Amtseinführung inklusiver Hitlergruß und einer bevorstehenden Bundestagswahl? Zu alldem gibt es viel zu sagen und noch mehr zu tun, aber davon dann an anderer Stelle mehr.
Trotzdem ist im Januar auch noch etwas anderes geschehen, das mich zwar auch bestürzt hat, das aber doch Anlass bot, kurz innezuhalten, wertzuschätzen und wahrzunehmen. Und ehrlicherweise auch zu trauern, denn am 15. Januar ist der amerikanische Regisseur und Künstler David Lynch verstorben. Ich bin normalerweise immer eher vorsichtig, wenn es um Heldenverehrung geht oder darum Menschen auf ein Podest zu stellen und sie unreflektiert anzuhimmeln. Manche sagen ja „Never meet your heroes“, weil man am Ende ja doch nur enttäuscht werden wird. Andere schlagen eher vor, sich von vorneherein bessere Helden zu suchen, die keine Arschlöcher sind und die man deshalb gerne trifft, aber ich denke, beides greift zu kurz.
So oder so war David Lynch ein Künstler, den ich sehr bewundert und geschätzt und dessen Werke ich geliebt habe und die mich inspiriert haben, wie wenig andere Kunstschaffende. Nein, ehrlich gesagt, stimmt die Zeitform so auch gar nicht, denn was seine Werke betrifft, ist das nach wie vor und ganz gegenwärtig der Fall und wird wohl auch so bleiben. Ich kann dabei sehr gut verstehen, dass nicht alle mit seiner Kunst etwas anfangen können. Vielen meiner Freunde bin ich unangenehm oft auf den Sack gegangen, um sie dazu zu bewegen sich mal Twin Peaks, die von David Lynch geschaffene Fernsehserie oder einen seiner Filme anzuschauen. Viele haben genervt schon nach wenigen Folgen aufgegeben und konnten meine Faszination und Liebe dafür nur schwer nachvollziehen. Und gut möglich, dass du diesen Text gerade liest und überhaupt nicht weißt, wovon und von wem ich rede. Ich habe auf Youtube ein sehr schönes Video-Tribute zu David Lynch und seinem Werk gefunden, das einen schönen Eindruck in seine Bild- und Traumwelten gibt:
https://www.youtube.com/watch?v=purlzeSWYKI (Öffnet in neuem Fenster)Es gäbe natürlich unglaublich viel zu seinem Werk zu sagen und zu schreiben. David Lynch war nicht nur Regiessuer und Filmemacher, sondern vor allem auch bildender Künstler, der u.a. Gemälde und Fotografien geschaffen hat, aber auch sich auch als Musiker, Buch-Autor und Designer ausgedrückt hat. Dem nachzuspüren lohnt sich sehr. Ich möchte an dieser Stelle nur ein paar Punkte highlighten, die mich besonders fasziniert haben:
Er hinterfragte die Erwartung, dass Kunstwerke immer sinnvoll oder verstehbar sein müssten, wenn wir doch auf der anderen Seite den Fakt, dass das Leben an sich nicht immer sinnvoll und erklärbar ist hinnehmen und verweigerte stets die Antwort auf Interview-Fragen, die versuchten ihm eine Erklärung zu seinen Werken abzuringen:
David Lynch: „Believe it or not, Eraserhead is my most spiritual film.“
BAFTA Interviewer David Lean: „Elaborate on that, if you would.“
David Lynch: „No, I won’t.“
Diese Verweigerung von Interpretationen halte ich keineswegs für die Überheblichkeit eines exzentrischen Genies, das alle anderen für nicht klug genug hält, die von ihm geschaffene Großartigkeit zu verstehen. Es drückt eher die Haltung eines Künstlers aus, der sich des Rätselfaften und Abgründigen und Mehrdeutigen und Absurden bewusst war und das er nicht durch einfache Antworten klein machen wollte. Und ich vermute, er wusste auch um die kindliche Freude am Suchen und Finden und Entdecken, um das Ringen mit einem Werk, um das er den Betrachtenden nicht bringen wollte. Es gibt so manche Songs und Kunstwerke, wo ich wünschte, ich hätte die vom Künstler nahegelegte Interpretation nie gehört oder gelesen, weil sie allzuoft meine eigenen Assoziationen dadurch weggewischt haben.
David Lynch ist es gelungen seine eigene Stimme, seinen ganz eigenen Stil und Ausdruck zu finden. Schaut man seine Filme und Kunstwerke an, weiß man meistens sofort, dass sie von ihm stammen, weil es wenig Vergleichbares gibt. Ich bewundere seinen Mut, den es gebraucht haben muss, dem eigenen Ausdruck gegen alle Trends und Vergleichsfallen so bedingungslos zu vertrauen. Wer wird schon gerne für weird gehalten?
Ich halte Neugier für eine essenzielle Haltung für ein kreatives, aber auch überhaupt für ein menschliches Leben. Und Neugier scheint auch in David Lynchs Werken ein zentraler Antrieb zu sein. Zu sehen, was hinter den Fasseden schlummert und lauert. Sich nicht zufrieden zu geben, mit dem was vordergründig nach einer heilen Welt aussehen mag. Den Dingen auf den Grund zu gehen, selbst auf die Gefahr hin sich auf dem Weg dorthin in allerlei weirden Welten zu verirren.
Er beschrieb das Empfangen von Ideen für ein neues Projekt oder ein neues Werk als Puzzleteile, die einzeln, eins nach nach dem anderen und nicht unbedingt in der richtigen Reihenfolge zu einem kommen. Im Nebenraum liegt das fertige Bild, das jetzt aber noch nicht sichtbar ist und schwebt gewissermaßen in seinen Einzelteilen hinüber durch den roten Vorhang zu einem Empfänger, der offen dafür ist sie in Empfang zu nehmen und sie mit der Zeit nach und nach zu etwas Neuem zusammenzusetzen.
Sein Werk ist oft ein Spiel mit Masken und dem Davor und Dahinter und der Frage, welche Seite ich gerade davon sehe? Und welche die „echte“ ist? Und ob es das überhaupt gibt? Tast- und Suchbewegung. Wenig Gewissheit. Verortet im Hier und Jetzt, in das Gewesenes hineinragt. Auf der Suche nach dem Ort hinter dem Vorhang. Ohne zu wissen, ob es überhaupt gut wäre dorthin zu gelangen. Ausloten der Beschaffenheit eines solchen Raumes. Irgendwo zwischen zwei Geheimnissen. Ein Ahnen. Das Beschreiben, das Bebildern, das Bennen der Suche oder des Weges mag vielleicht, ohne es zu wissen bereits ein vorläufiges Finden sein. Vielleicht sogar eine Art Gefunden-werden.
Ich halte seine Kunst und seine Filme für spirituelle Werke. Weil sie Raum für das Rätselhafte und das Fühl- aber nicht Erklärbare eröffnen. Weil sie sich bewusst der Eindeutigkeit und der Interpretation entziehen und so zum Träumen, zum Weiterdenken, zum Hinterfragen und Dran-abarbeiten einladen. Weil sie einkalkulieren, dass da immer etwas da ist, dass über das Sichtbare, das Vordergründige hinausgeht. Bewusste und unbewusst gelassene Leerstellen, wie das Weiß zwischen Gedichtzeilen um das Geschriebene herum. Wer möchte kann in diesem Gedanken ein Bild für Gott, das Göttliche, das Universum, Spiritualität oder einfach das Unaussprechliche finden, für das es ein Gefühl, ein Ahnen gibt, aber selten passende Vokabeln. David Lynch selbst scheint ein äußerst spiritueller Mensch gewesen zu sein, der über viele Jahre immer wieder davon erzählte, dass er täglich meditiert und wie diese Praxis ihm in seinem Leben und Arbeiten und dem Umgang mit anderen Menschen hilft.
Diese Gedanken flossen auch stark in das Stück „Damn Good Coffee“ ein, das ich gemeinsam mit Manuel Steinhoff aufgenommen habe und das damals schon als kleine Hommage an David Lynch und Twin Peaks gedacht war. Sowohl im Text selbst als auch im Artwork und im Video haben wir David Lynch zitiert, uns an sein Werk angelehnt und sein Leerstellen-lassen letztendlich als eine Metapher verwendet für Gott oder das göttliche, das Unverfügbare, das sich meinem Verstehen-wollen entzieht.
https://www.youtube.com/watch?v=2E0sK6A0SAw (Öffnet in neuem Fenster)Ich glaube, was die Lyrik sehr gut kann, ist das Gefühl eines bestimmten Moments festzuhalten. Mehr als nur ein Schnappschuss. Bewegte Schnappschüsse würde David Lynch vielleicht sagen. Ich habe versucht den Moment, als ich die Nachricht von seinem Tod gelesen habe, in einem Gedicht festzuhalten, das mich an ihn, seine Kunst und nicht zuletzt an mein Gefühl bei der Auseinandersetzung mit seiner Kunst erinnert:

Machs gut, lieber David Lynch! Ich werde an dich denken beim Rauchen und beim Kaffeetrinken. Also ziemlich oft!
Wenn du Lust bekommen hast, dich mit diesem außergewöhnlichen Künstler und Menschen zu beschäftigen empfehle ich das Buch „Traumwelten: Ein Leben“ (Öffnet in neuem Fenster) und den tollen Doku-Film „The Art Life“ (Öffnet in neuem Fenster). David Lynchs Gedanken zu Kreativität und Ideen, findest du in dem großartigen kleinen Buch „Catching The Big Fish“ (Öffnet in neuem Fenster). Manchmal hilft es mir Zugang zum Werk eines Kunstschaffenden zu finden, wenn ich mir vorher ein wenig dessen Biografie angeschaut habe.
Aber ansonsten empfehle ich natürlich vor allem seine Filme und besonders die Serie Twin Peaks.
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Also lasst uns träumen und weird werden und versuchen der Absurdität des Vorhandenseins manchmal ein bisschen Humor, die ein oder andere gute Idee oder zumindest Zeit für einen verdammt guten Kaffee abringen.
Und wenn das mal nicht so ganz gelingt:

NEWS- NEWS- NEWS- NEWS- NEWS
DIE GERADE LINIE IST GOTTLOS PT. 1
.png?auto=compress&w=800&fit=max&dpr=2&fm=webp)
Am 24.01. ist unsere neue #poetrymeetsbeats EP erschienen. Drei neue Stücke von Manuel Steinhoff und mir, die du ab sofort auf allen Plattformen streamen und natürlich auch käuflich erwerben kannst.
Hier ist der Link zu allen gängigen Plattformen:
Die gerade Linie ist gottlos Pt.1 (Öffnet in neuem Fenster)
Ich freue mich sehr, wenn du reinhörst. Es hat sehr viel Freude gemacht an den neuen Stücken zu arbeiten und ich freue mich, dass wir sie jetzt auch endlich mit Menschen teilen dürfen. Und das war ja erst Teil 1. Da kommt bald noch mehr…
HOSSA TALK #252: Das göttliche Gebetsdilemma
In der aktuellen Folge unseres Podcasts “Hossa Talk” habe ich mit Jay und Gofi über Gebet geredet und wofür das überhaupt gut sein soll und wie das eigentlich ist, wenn zwei Personen oder Gruppen für Anliegen zu Gott beten, deren Erfüllung sich gegrnseitig ausschließen.
https://hossa-talk.de/252-das-goettliche-gebetsdilemma/ (Öffnet in neuem Fenster)Liebe Grüße aus Wien und wähle keine Nazis am 23.02.
