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Festnest

„Mutabor! M – u – t – a – b – o - r! Nun mach doch mal mit. Streng dich an!“ Gisela konnte richtig ungeduldig werden. Bei ihrem Lieblingsspiel. Damals, kurz nachdem wir zusammen diese Schallplatte gehört hatten. Bei ihren Eltern. In der guten Stube. Großmutter sah es gern, wenn ich mit Gisela spielte, sie besuchte. Meinte, dass das ein guter Umgang für mich sei; schließlich war sie die Tochter von Pastor Ludewig. Trotzdem konnte sie richtig gut fluchen. Vor allem, wenn es nicht klappen wollte, das mit dem Mutabor. Mit roten Wangen und aufgelösten Zöpfen neigte sie sich wie wild nach dort, wo sie dieses Mekka vermutete. Immer und immer wieder. Schimpfte wie ein Rohrspatz, dass ich der dümmste Großwesir der Welt sei.

Ich weiß gar nicht mehr, ob ich sie wirklich doll gemocht habe. Womöglich sogar ein bisschen in sie verliebt gewesen bin. Aber ich habe sie vermisst. Als sie auf einmal verschwunden war. Wenig später. Nicht wieder heimkam vom Blumenpflücken im Bruch. Was für eine Aufregung war das! Was für eine Sucherei! Was für eine Traurigkeit! Doch mir hat ja keiner glauben wollen. Und ich weiß, dass ich mich jedes Jahr aufs Neuefreue, wenn sie wiederkehrt. Aus dem Süden. Und ihr altes Nest bezieht, wo sie auf ihren Mann wartet und nachher auf die Kinder. Manchmal…

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