2. Januar 2022
Was bleibt von der Europapolitik des vergangenen Jahres? Die EU mischt nun auch in der Gesundheitspolitik mit – ohne durchschlagenden Erfolg. Rechtsstaat und Demokratie geraten unter die Räder – nicht nur in Ungarn und Polen. Und in der Russland-Politik verliert Europa den Anschluß.
Beginnen wir mit dem offiziellen Narrativ: 2021 war wieder ein erfolgreiches Jahr für die EU. Mitten in der Coronakrise hat sie den Grundstein für eine Gesundheitsunion gelegt, die Beschaffung von Impfstoff für alle 27 Mitgliedsländer organisiert und sogar Vakzine in alle Welt exportiert.
Mit dem Programm “Fit for 55” hat EUropa seine Führungsrolle in der Klimapolitik verteidigt. Zudem wurde die “Resilienz” – zu gut deutsch: Widerstandsfähigkeit – erhöht und im Konflikt mit Russland und Belarus die “Sprache der Macht” erlernt, was sich an diversen Sanktions-Beschlüssen zeigt.
Leider haben die Bürger von diesen Erfolgen nicht viel gehabt. 2021 war für die meisten EUropäer ein Krisenjahr voller enttäuschter Hoffnungen und herber Rückschläge. Auf das Impdebakel im Frühjahr folgte die Ernüchterung im Herbst – der Schutz der Impfung lässt nach, Europa ist wieder Epizentrum der Pandemie.
Trotz vieler Ankündigungen ist die EU nicht “fit for 55”. Selbst Deutschland liegt zurück, wie der neue grüne Superminister Habeck nach Weihnachten einräumte (Öffnet in neuem Fenster). Und von Sanktionen kann man sich nichts kaufen – im Gegenteil: Sie schaden nicht nur der anderen Seite, sondern auch der deutschen Wirtschaft.
EUropa ist schwächer geworden
Schlimmer noch: Mit ihrer neuen “Sprache der Macht” hat sich die EU außenpolitisch nicht etwa gestärkt, sondern geschwächt. Im Konflikt mit Russland ist sie abhängig von den USA und der Nato (Öffnet in neuem Fenster); von strategischer Autonomie keine Spur. Und mitreden dürfen wir auch nicht, wie der EU-Außenvertreter Borrell schmerzlich erfahren mußte (Öffnet in neuem Fenster).
Das Wort führen US-Präsident Biden und Nato-Generalsekretär Stoltenberg, nicht Borrell oder EU-Ratspräsident Michel. Sogar Deutschland und Frankreich haben sich an den Katzentisch verbannen (Öffnet in neuem Fenster) lassen – in der vagen Hoffnung, irgendwann das “Normandie-Format” mit Russland und der Ukraine wiederzubeleben.
Last but not least ist die EU im vergangenen Jahr schwächer geworden – nach außen und innen. Draußen in der Welt macht sich vor allem der Brexit negativ bemerkbar. Und drinnen im Club sorgen Ungarn, Polen und die zahllosen Corona-Notstandsgesetze für einen Verlust an Zusammenhalt und Rechtssicherheit.
Die Demokratie wurde ausgehöhlt
Demokratie und Rechtsstaat sind 2021 in der EU ausgehöhlt worden wie noch nie. Der Vorrang des EU-Rechts wurde offen infrage gestellt, und in vielen Mitgliedsländern wurden Grundrechte ausgesetzt oder gedehnt bis zur Unkenntlichkeit. Im Namen des Gesundheitsschutzes war fast alles möglich.
Wer gedacht hatte, dass die EU-Kommission das Recht schützen würde, sah sich getäuscht. Die von-der-Leyen-Behörde hat sich als allzu abhängig von den Mitgliedsstaaten erwiesen, bei manchen Themen wirkt sie wie gelähmt (Öffnet in neuem Fenster). Selbst eine Untätigkeitsklage des Europaparlaments brachte keine Besserung.
Die EU ist in schlechter Verfassung (Öffnet in neuem Fenster). Aus der “Polykrise” ist eine Permakrise (Öffnet in neuem Fenster) geworden, sogar der Frieden ist in Gefahr. Selten war das offizielle Narrativ, das nicht nur in Brüssel gepflegt wird, sondern auch von der neuen deutschen Bundesregierung in Berlin, so weit von der Realität entfernt wie heute…
P.S. Zu dieser Einschätzung passt leider auch der Vorschlag der EU-Kommission, Atomkraft und Naturgas unter bestimmten Bedingungen als nachhaltige Energieträger einzustufen. Berlin und Paris sind über diese Frage heillos zerstritten, der Vorschlag aus Brüssel kam kurz vor Mitternacht am 31.12.2021, sozusagen in Nacht und Nebel…
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