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Mensile: Von A(stensionismo) bis Z(alone) – ein Süditalien-Alphabet

Wie tief die Süditalien-Frage wurzelt, das ist mir hin und wieder besonders heftig klar geworden. Zum Beispiel am 4. September 2005, unter der sengenden Sonne, auf dem steinharten Boden der Marina von Civitavecchia.

Es ist einer der letzten Tage der Sommerferien, mein Kumpel Gino und ich sind aus der Provinz Salerno (Öffnet in neuem Fenster) mit dem Zug hierher gefahren für ein lange ersehntes Konzert. Es soll noch Stunden dauern bis zum ersten Takt Musik, aber wir suchen uns schon einen Platz zum Hinhocken und Warten. Neben uns sitzt diese Gruppe aus Mailand, ein knappes Dutzend. Wir stellen einander vor, wir quatschen ein bisschen über das Konzert, über die Songs, die hoffentlich gespielt werden. Den Gesprächsfetzen, der dann folgt, habe ich heute noch sinngemäß im Kopf.

Der eine Mailänder sagt: Wir sind alle Süditaliener, ich Apulier, er hier Sarde, sie hier Kalabresin.

Und ich: Hä? Aber ihr seid doch alle aus Mailand.

Und er: Ja, alle in Mailand geboren und aufgewachsen. Aber terroni sind wir halt trotzdem.

Terroni, das Schimpfwort für Süditalienerinen und Süditaliener, das sie seit Jahrzehnten von Turin bis Triest verwenden und von Genua bis Gorizia. Und das sich viele Menschen aus Süditalien längst trotzig-stolz angeeignet haben.

Nächtlicher Blick von einem Hügle auf einen beleuchteten Ort, links davon das nachtschwarze Meer

Ausblick aufs Meer in Castellabate, Kampanien, Süditalien.

Dieses Dutzend Fans gepflegter Nu-Metal-Musik, das Gino und ich damals in Civitavecchia getroffen haben, es gehört zu den Millionen Menschen, deren Familiengeschichte verwoben ist mit der Auswanderung aus Süditalien nach Norditalien.

Eine massenhafte Süd-Nord-Wanderung, die selbst Jahrzehnte nach dem eigentlichen Umzug nachwirkt: Weil ein Teil Deiner Familie immer noch giù wohnt, unten in Battipaglia, Cefalù oder Locorotondo – und es im Sommer oder zu Weihnachten immer wieder auf Besuchsfahrt geht zu Cousins und Cousinen, zu Onkeln, Tanten und Großeltern. Weil Du feuchte Augen bekommst, wenn Du den lorbeerlastigen Duft eines fico ‘mbaccato (Öffnet in neuem Fenster) oder einer dahinköchelnden Genovese (Öffnet in neuem Fenster) riechst und an nonna denken musst. Weil Du Deine Freunde und Dich selbst terroni nennst, obwohl ihr immer in Mailand gelebt habt.

Greifbar und schmeckbar wird diese Nord-Süd-Zerrissenheit in den Leben so vieler Italiener in den pacchi da giù.

In den Care-Paketen also, die aus Süditalien stammenden jungen Erwachsenen von ihren Familien in ihre Wohnungen in Bologna, Mailand oder Brescia geschickt werden. Gefüllt mit Wurst, hausgemachten Tomatenkonserven, bestimmten Keksen. Mit Dingen also, die es im Norden tatsächlich oder vermeintlich nicht zu kaufen gibt.

https://x.com/gesooaiutamitu/status/1729909921028747668?s=20 (Öffnet in neuem Fenster)

Die Süditalien-Frage, die questione meridionale, ist das vermutlich größte – und sicherlich langlebigste und folgenschwerste – Problem der Geschichte Italiens seit der Einheit im Jahr 1861.

Meine Podcast-Episode Mezzogiorno (Öffnet in neuem Fenster)soll ein Schlüssel dazu sein, das Problem grundsätzlich zu verstehen.

Diese Mensile-Ausgabe soll diese Episode ergänzen.

Diese Mensile-Ausgabe soll ein kleines digitales Wörterbuch zum Mezzogiorno sein, von Astensionismo über Neoborbonici bis Zalone, Checco. Es geht um Heldenfiguren, um unterschätzte politische Probleme, um unverschämt gutes Essen, um Bourbonen-Nostalgie.

21 Schlaglichter auf Süditalien, eines für jeden Buchstaben des italienischen Alphabets (dem die Buchstaben J, K, W, X und Y fehlen).

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Alle Infos gibt es hier (Öffnet in neuem Fenster)

Kategorie Mensile

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