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Der schöne Darß

Liebe Kulturspalten-Freunde,

gestern führte ich ein Gespräch mit Dorothea Wagner für die SZ, ganz vorsichtig und einfühlsam zum Thema Trennungsscham und warum es so schwierig ist, zuzugeben, dass man verlassen wurde. Ob ich denn noch an die Liebe glauben würde, hat sie mich am Schluss gefragt und ich fand diese Frage sehr schön und gab eine Einschätzung ab. Später dann! Während ich das hier schreibe, piept irgendwas seit einer Stunde in meiner Wohnung, ich stand schon auf und hielt überall mein Ohr ran, am Kühlschrank, an den Feuermeldern, am Fernseher, aber die piepende Quelle wollte und wollte sich nicht von mir finden lassen, so vergeht hier die Zeit, draußen grau, drinnen piept es, ich schreibe jetzt erst mal über den Urlaub.

Schlagwörter

Ankommen

Blues

Der Darß

Das Dornenhaus

Ex-Freund

Fischbrötchen

Hotel

Kairos

Kunst

Matthias Reim

Meine Mutti

Sauna

Tiere

15. Juli 2023

Ankommen

Eine Woche in einem Fünf-Sterne-Hotel an der Ostsee übernachten, ist genauso, wie man sich eine Woche in einem Fünf-Sterne-Hotel an der Ostesse übernachten vorstellen kann, es ist himmlisch. Außenpool. Innenpool. Poolbar. Sauna. Buffet. Austern. Flatscreen. Matthias Reim. Einmal haben wir den Zimmer-Service ausprobiert.

Es ist ein merkwürdiger Urlaub, da bin ich ganz ehrlich, irgendwie aus dem Nichts heraus der Gedanke, wenigstens irgendwo zu sein, wenn nicht in Amerika, dann dort, wo es Wasser gibt und nicht zu weit von Berlin, damit der Junge später nicht doppelten An- und Abreisestress hat, wenn er in seinen zweiten Urlaub mit Peter und Barbara fliegt. Und ich lande ausgerechnet in so einem schicken Hotel, das mich für zwei Nächte eingeladen hat und für das ich dafür in einem Strandkorb sitzend aus einem Reiseführer vorlese. Merkwürdig, dass meine Haare hier plötzlich fluffigweich sind. Merkwürdig, dass Peter uns kurz besuchen kommt, mich gar nicht nervt, dass der erst mal Lampen kontrollieren muss, es mich schließlich doch nervt, dass der Lampen kontrolliert, wir aber anschließend fröhlich mit dem Jungen auf einem Steg den Sonnenuntergang und ein paar Angler beobachten und neben Peter stehen sich ganz gewöhnlich anfühlt, sodass ich langsam glaube, wir sind gar keine Experimentfamilie mehr. Die Haare trage ich offen. Am nächsten Tag. Meine Mutter kommt an, mit zwei Schleichfiguren in der Tasche, ein Tiger und ein Löwe, die der Junge beim letzten Übernachten vergessen hatte. Und wir liegen wenig später vor dem Pool, der Junge schwimmt mit seiner Poolfreundin Maya, meine Mutter liest einen Krimi von Cody McFayden, ich lese eine DDR-Geschichte von Jenny Erpenbeck und ich weiß nicht, wann wir das letzte Mal zusammen nebeneinander gelesen haben. Das ist alles so merkwürdig, nichts neues, aber selten und deswegen so schön. Am letzten Abend setze ich mich gegen zehn runter in die Hotelbar. 

1:30 Uhr. Im Fahrstuhl nach oben zu unserem Zimmer kommen mir vor Freude richtig die Tränen, die ich zurückhalte, damit meine Mutter sich nicht erschreckt, die ja so einen leichten Schlaf nur hat. Ich stehe vorm Bett und rufe: Ich habe gerade mit Matthias Reim an der Bar gesessen und getrunken. Meine Mutter: Wat?

Fakten über Matthias Reim, die meine Mutter beim Frühstück gegoogelt hat:

65 Jahre, Sternzeichen Schütze, am selben Tag wie mein Bruder, 7 Kinder, dreimal verheiratet, davon am längsten mit Michelle, früher verschuldet, aktuell geschätztes Vermögen 5,4 Million Euro.

Anmerkung der Redaktion: Das Strandhotel Zingst  (Öffnet in neuem Fenster)befindet sich direkt am Strand. Der Reiseführer vom Hotel heißt "Zingstliebe" und ist mit viel Liebe und Hingabe durch Jana Kaminski entstanden. Jana Kaminski macht die PR für das Hotel, hat so viele Ideen und ist ganz einfach eine wunderbare, wunderbare Frau. Vielen Dank! 

Entdeckung I

Karina's Fischgarten

Baguettebrötchen/Matjesfilet/Sanddornmarmelade/geröstete Pinienkerne

Baguttebrötchen/Bismarckhering/hausgemachte Remoulade/Apfel/Zwiebel

Roggensauerteigbrötchen/Zander im hausgemachten Bierteig/Ruccola/Remoulade

Es gibt Melonenschorle.

Zu finden in der Prerower Straße 1a, 18374 Zingst

Anmerkung der Redaktion: Sollten Sie einmal irgendwo in einer Strandbar sitzen, die zu einem Tanzparkette umfunktioniert wird, dann rennen Sie auf keinen Fall weg. Stellen Sie sich mit in den Kreis anderer tanzfreudiger Menschen auf, ganz besonders dann, wenn Sie überhaupt keine Ahnung vom Tanzen haben. Wonach ist Ihnen, wenn Sie jetzt Ihre Augen schließen? Swing? Oder lieber Rock 'n' Roll? Wir empfehlen Ihnen Blues. Ganz wichtig dabei ist, dass man zwar glücklich aussehen darf, aber tief drinnen muss man traurig sein. Als nächstes stellen Sie sich vor, Sie stehen in einem großen Topf mit Honig. Die Bewegung ist also langsam und geschmeidig. Mehr braucht es nicht, um Blues zu tanzen. Und auf den Takt dann eins, zwei, drei, vier Schritte zur Seite, Beine kreuzen und dann wieder eins, zwei, drei, vier Schritte zurück. Denken Sie an den Honig!

Tanzkurse in der Strandlounge "Zuckerhut" mit DJ Donald, An der Seebrücke Zingst

Entdeckung II

Tiere am Wegrand

In ein Heftchen notiert: Mauersegler, Lachmöwen/Wachmöwen, Kühe, Esel, Ochsen, Seeadler, Minipony, Pferd, Quallen, Heringe, tote Spinne, Hummeln, Wespen, Mücken, Bussard, Enten, Krähen, Schafe

Streiten 

Auf keinen Fall soll hier der Eindruck entstehen, es ginge in meinem Urlaub nur friedlich und harmonisch zu. Also bitte:

Situation Nummer 1/Vor einem Fischbrötchenstand in Prerow

Eine Frau.

Sie: Sie drängeln sich hier aber nicht vor!

Ich: Was motzen Sie mich denn gleich so an?

Sie: Ich war vor Ihnen dran.

Ich: Das war doch keine Absicht.

Sie: Ja, ja, das sagen Sie jetzt nur so.

Situation Nummer 2/ Mit dem Lastenrad von Zingst nach Born

Ein Mann.

Er: Boah, steh' da doch nicht dämmlich mit deinem Rad.

Ich: Ey, hier ist Schatten, wir wollen nur kurz was trinken.

Er: Aber nicht hier mitten auf dem Weg.

Ich: Haben Sie ein Kind dabei? Ich habe ein Kind dabei!

Er: Is mir doch egal, hier wird gefahren.

Da ist er dann vorbeigefahren.

Ich: Ach, Sie kommen ja doch vorbei.

Zum Sohn: So ein Vogel, wir trinken, wo wir wollen.

Der Sohn: Genau, wir haben ein Kind dabei.

Kunst

Ein Kunstnest namens Ahrenshoop

Es gibt drei Wünsche in Ahrenshoop. Meine Mutter will Baden, ich will Kunst und der Junge ein Krokodil. Das Gute an Ahrenshoop ist, dass man nach nichts suchen muss, es ist so klein, man stolpert in alles rein. Vor allem in Kunst. So stehen wir als erstes vor einer Skulptur mit einem Schild vorne dran, auf das steht in schwarzen Buchstaben: PEGASUS 1990-1997 TERZIT VON INGEBORG HUNZIGER. "Reicht das Mama als Wunsch", fragt der Junge seine Oma, als ich gerade aus allen nur erdenklichen Winkeln die Skulptur fotografiere. Jaja, das reicht mir. Als wir zehn Minuten später aus einem Laden für Souvenirs mit einem Nashorn in einer Papiertüte treten, stehe ich vor einem Wegweiser. Das Dornenhaus, lese ich laut vor, wurde um 1660 gebaut und gehört zu den ältesten Rohrdachhäusern von Ahrenshoop. La, la, la, von Weißdornbäumen, la, la, la, beherbergte Seefahrer, la, la, war ein Zollhaus, ein Kindergarten, mein Gott Mutti, weißt du, wer dort in den Fünfzigern zu Besuch war? Bertolt Brecht und Helene Weigel! Ab zum Dornenhaus, rufe ich in die Runde. Der Junge erkundigt sich vorsichtig, wenn ich dann jetzt zwei Wünsche kriege, ob er noch ein Spielzeug bekommt. Ich finde wir drei, mein Junge 5 und meine Mutter 62, wir sind wirklich eine niedliche Reisegruppe.

Das Dornenhaus hat drinnen eine kleine Keramikausstellung. Tafeln verraten, dass hier auch Lesungen stattfinden. Der blumige Garten ist voll mit Malerein, Holzarbeiten und Skulpturen. Zweimal waren Bertolt Brecht und Helene Weigel im Dornenhaus Gäste. Hier feilten sie einen Sommer lang an der Münchner Inszenierung von Mutter Courage. Nebenan steht eine Windmühle, dort kann man sitzen, Kuchen essen, Kaffee trinken, eben idylisch beisammen sein und sich gegenseitig sagen, wie idylisch man alles findet.

Anschließend ist meine Mutter mit ihren Wunsch dran. Seit ich denken kann, liebt sie es, sich in die Wellen zu stürzen. Ich schaue mir das Meer ja vor allem gerne an. Oder schließe meine Augen, um es zu hören. Liege einfach da wie eine Robbe. Aber meine Mutti ist da ganz anders. Wir hören ihre Jubelrufe von weit draußen. Der Junge und ich winken vom Strand aus.

Von Greifswald dann mit dem Bus nach Ahrenshoop, gerade noch rechtzeitig ist sie nachmittags am Strand angelangt. Hans in Badehose plus Frau und Sohn, das Kopfkissen aus Sand, die Büchse mit Apfelstücken und Möhren.

Aus Jenny Erpenbecks Kairos.

Postkartengruß via meiner Agentur

Amrum 2023

Liebe Judith Poznan,

da ich die Instagram-Posts mag und auch Newsletter-Abonnent bin, dachte ich mir, warum nicht mal ne Karte. Wir sind zum zwanzigsten Mal auf unserer Lieblingsinsel, hatten hier wieder top Erholung und uns über Altbewährtes gefreut und Neues genossen.

Beste Grüße Marian L. und Familie

Irgendwo ankommen und dann vor einem großen Meer stehen, fünf Möwen am Himmel, ein langer Steg, vielleicht zählt das zu den besten Sachen, die es im Leben so gibt. In mein Handy notierte ich: Das Meer ist niemandem egal. Der Junge und ich waren jedenfalls begeistert von unserem Urlaub. Auch wenn das Wetter gemacht hat, was es will. Das Tiertagebuch, welches der Junge und ich zur neuen Urlaubstradition erklärt haben, wurde am Mittwochabend vertraulich in Barbaras Hände für Griechenland überreicht. Eine Fledermaus wurde bereits notiert.

Habt es gut. Euer Ostseemädel!

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